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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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sich solcher Orte keine, sondern daß sich zu viele nennen ließen. In dieser
Hinsicht war der einzige mir bekannt gewordene Versuch -- ich weiß nicht
mehr, welches Commentators -- die Lücke mit zwei deutschen Strömen aus¬
zufüllen, umfassend genug. Er meinte, es sei zu lesen: "zwischen Donau
Und dem Rhein." Kein Zweifel, daß in diesem weitgegriffenen Bereich
Vogelbauerverfertiger und Vogelverkäufer mehrfach anzutreffen waren und
sind. Freilich nicht minder in sehr vielen andern Länderstrichen. Vor allem
aber, wenn der Dichter so geschrieben, was konnte ihn bewegen, eine so un¬
bestimmt weite, harmlose Grenzenbezeichnung in der Ausgabe für den Druck
ZU streichen? -- Anzüglich kann nur das speciell Bezeichnete sein. In der
That find die Ortsnamen, welche die Tiefurter Handschrift gibt, ganz specielle:


Und zwar mag es nicht etwa seyn,
Wie zwischen Cassel und Weißenstein

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und sobald ich sie vor Augen bekam (es war vor vielen Jahren) warfen sie
mir ein scharfes Licht über den treffenden Sinn der an sie geknüpften Vor¬
stellung. Er leuchtete mir ein unabhängig von der Bestätigung, die ich
erst vor kurzem von einem Eingeborenen Cassels erhielt, daß zwischen Cassel
und Weißenstein (wie bekanntlich der Hügel heißt, an welchem die Wilhelms¬
höhe liegt) das Strafarbeitshaus gelegen sei, in welchem bis in die neuere
Zeit die Sträflinge mit Verfertigung von Vogelbauern sich nützlich machen
müssen. Dies congruente Accidens macht die Anführung des Dichters ver¬
antwortlicher und neckischer zugleich. Es erschöpft aber keineswegs die An¬
wendung und erklärt auch nicht das Zurückziehen der Ortsbenennung aus
dem zur Verbreitung bestimmten Text. Denn wenn weiter nichts gemeint
War, als eine so glimpfliche Anstrengung und mäßige Verwerthung der Ar¬
beitskräfte von Sträflingen, so durfte laut gesagt werden, wo diese löbliche
Einrichtung bestehe. Aber es ist ein ungleich Schlimmeres, was aus dem
Zusammenhang hervorblitzt. Der Zusammenhang ist dieser. Gleich im Ein¬
gang wird auf die Erweiterung von Plunderswetlern durch neue Gebäude
aufmerksam gemacht. Und dabei gehe es nicht etwa so, wie zwischen Cassel
und Weißenstein, wo man rastlos Vogelbauer aus den Kauf mache und die
Vögel in die weite Welt verkaufe, sondern in die neuen Häuser von Plun¬
dersweilern drängen sich die Leute, um für ihr Geld sich einzumiethen zum
^sen, zum Hinausschauen auf die öffentlichen Vorläufe und um, wie es
nachher weiter ausgeführt wird, als Autoren ihre Werke unter Dach zu
bringen, als Recensenten im Serail der Kritikzu Hausen u. s. w. Die Vogelbauer
find also das contrastirende Gegenbild der Literatur-Institute, die Vögel
Gegenbild der literaturdurstigen und von der Literatur Fach machenden Leute.
Die Letzteren werden nach eigener Begierde und Bestrebung in den Salons,
Gemächern und Hallen von Plundersweilern aufgenommen und ergeht, unter-


sich solcher Orte keine, sondern daß sich zu viele nennen ließen. In dieser
Hinsicht war der einzige mir bekannt gewordene Versuch — ich weiß nicht
mehr, welches Commentators — die Lücke mit zwei deutschen Strömen aus¬
zufüllen, umfassend genug. Er meinte, es sei zu lesen: „zwischen Donau
Und dem Rhein." Kein Zweifel, daß in diesem weitgegriffenen Bereich
Vogelbauerverfertiger und Vogelverkäufer mehrfach anzutreffen waren und
sind. Freilich nicht minder in sehr vielen andern Länderstrichen. Vor allem
aber, wenn der Dichter so geschrieben, was konnte ihn bewegen, eine so un¬
bestimmt weite, harmlose Grenzenbezeichnung in der Ausgabe für den Druck
ZU streichen? — Anzüglich kann nur das speciell Bezeichnete sein. In der
That find die Ortsnamen, welche die Tiefurter Handschrift gibt, ganz specielle:


Und zwar mag es nicht etwa seyn,
Wie zwischen Cassel und Weißenstein

N. 8

und sobald ich sie vor Augen bekam (es war vor vielen Jahren) warfen sie
mir ein scharfes Licht über den treffenden Sinn der an sie geknüpften Vor¬
stellung. Er leuchtete mir ein unabhängig von der Bestätigung, die ich
erst vor kurzem von einem Eingeborenen Cassels erhielt, daß zwischen Cassel
und Weißenstein (wie bekanntlich der Hügel heißt, an welchem die Wilhelms¬
höhe liegt) das Strafarbeitshaus gelegen sei, in welchem bis in die neuere
Zeit die Sträflinge mit Verfertigung von Vogelbauern sich nützlich machen
müssen. Dies congruente Accidens macht die Anführung des Dichters ver¬
antwortlicher und neckischer zugleich. Es erschöpft aber keineswegs die An¬
wendung und erklärt auch nicht das Zurückziehen der Ortsbenennung aus
dem zur Verbreitung bestimmten Text. Denn wenn weiter nichts gemeint
War, als eine so glimpfliche Anstrengung und mäßige Verwerthung der Ar¬
beitskräfte von Sträflingen, so durfte laut gesagt werden, wo diese löbliche
Einrichtung bestehe. Aber es ist ein ungleich Schlimmeres, was aus dem
Zusammenhang hervorblitzt. Der Zusammenhang ist dieser. Gleich im Ein¬
gang wird auf die Erweiterung von Plunderswetlern durch neue Gebäude
aufmerksam gemacht. Und dabei gehe es nicht etwa so, wie zwischen Cassel
und Weißenstein, wo man rastlos Vogelbauer aus den Kauf mache und die
Vögel in die weite Welt verkaufe, sondern in die neuen Häuser von Plun¬
dersweilern drängen sich die Leute, um für ihr Geld sich einzumiethen zum
^sen, zum Hinausschauen auf die öffentlichen Vorläufe und um, wie es
nachher weiter ausgeführt wird, als Autoren ihre Werke unter Dach zu
bringen, als Recensenten im Serail der Kritikzu Hausen u. s. w. Die Vogelbauer
find also das contrastirende Gegenbild der Literatur-Institute, die Vögel
Gegenbild der literaturdurstigen und von der Literatur Fach machenden Leute.
Die Letzteren werden nach eigener Begierde und Bestrebung in den Salons,
Gemächern und Hallen von Plundersweilern aufgenommen und ergeht, unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/357>, abgerufen am 01.09.2024.