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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Klage, daß die Gewogenheit, in der seit Anfang des Jahres verschiedene,
meist ungenannte Korrespondenten den Merkur mit Beiträgen beschenken,
ihn in Verlegenheit setze. Aehnlich die nächsten Verse der Bildererklärung:


Es schaut zu ihm ein großer Haus
Von mancherlei Bewunderern auf;
Doch diesen Pack, so schwer und groß,
Wird er wohl schwerlich jemals los.

Und nun die Vision:


Wie ist mir? wie erscheint ein Engel!
In Wolken mit dem Lilienstengel!
Er bringt einen Lorberkranz hernieder,
Er sieht sich um und sucht sich Brüder.

V. 208

Hier weiß auch der Zuhörer und Zuschauer nicht recht, wie ihm ist. Er
fühlt sich im Horizont von Plundersweilern, empor an dem hochschreitenden
Merkur, hinaufgeklommen in die oberste Region und feinste Luft, Es liegt
ihm am nächsten, daß hier das Erscheinen des anmuthigen Kindgenius (zumal
er auch auf dem Bilde gerade im Zenith des gebückten Flügelbotenkopfes
hervortritt) dem himmlisch irdischen Merkurius gelte. Dieser, dem vor einem
Jahr für seinen Oberon Goethe einen Lorberkranz gesandt, -- dieser ist es doch
wohl, für den der holde Knabe seinen Lorberkranz herniederbringt. Aber was
thut er? Er hängt ja doch den Kranz nicht an der Stelzenspitze auf, sondern:
er sieht sich um und sucht sich Brüder. Wäre etwa sein Lilienstengel
nicht der des Engelgrußes, sondern gäbe ihn als den schönen Zwerg Oberon
zu erkennen, kommend mit dem Lorberkranz, den er vor einem Jahr davon
getragen, und sich umsehend nach einem heurigen seines Gleichen? Allein
als Oberon hätten billig ihn Bild und Vers -- wie es leicht war -- kennt¬
licher gezeichnet. Gesagt wird nur, daß der lieblich grüßende, ruhmverheißende
Engel sucht, nicht, daß er gefunden. Der unmittelbare Uebergang zu den
ferneren Dichterkranzbewerbern scheint vielmehr den im Suchen verlassenen
Genius einfach auf die Bedeutung eines reineren und höheren Himmelsboten
und Kampfrichters als der bestelzte mit Zepter und Ruthe ist, zu beschränken,
der mit seiner schönen Neigung in der Schwebe bleibt. Nun steht aber in
der Ttefurter Handschrift statt dieses: "Er sieht sich um und sucht sich Brüder" :


Er bringt einen Lorbeerkranz hernieder
Und kehrt betrübt zum Himmel wieder.

In dieser Form -- auf welchen Theil der angeregten Vorstellungen man
auch die Absicht des Engels beziehe -- auf den Bewunderer-Pack, den Wie--
land nicht los wird -- auf die Knaben, die ihn vergeblich aus seiner Richter¬
höhe werfen wollen -- auf seinen eigenen verdienten Preis, oder endlich
ganz allgemein auf die bisher gezeigten und die serner vorzuführenden Pra.-


Klage, daß die Gewogenheit, in der seit Anfang des Jahres verschiedene,
meist ungenannte Korrespondenten den Merkur mit Beiträgen beschenken,
ihn in Verlegenheit setze. Aehnlich die nächsten Verse der Bildererklärung:


Es schaut zu ihm ein großer Haus
Von mancherlei Bewunderern auf;
Doch diesen Pack, so schwer und groß,
Wird er wohl schwerlich jemals los.

Und nun die Vision:


Wie ist mir? wie erscheint ein Engel!
In Wolken mit dem Lilienstengel!
Er bringt einen Lorberkranz hernieder,
Er sieht sich um und sucht sich Brüder.

V. 208

Hier weiß auch der Zuhörer und Zuschauer nicht recht, wie ihm ist. Er
fühlt sich im Horizont von Plundersweilern, empor an dem hochschreitenden
Merkur, hinaufgeklommen in die oberste Region und feinste Luft, Es liegt
ihm am nächsten, daß hier das Erscheinen des anmuthigen Kindgenius (zumal
er auch auf dem Bilde gerade im Zenith des gebückten Flügelbotenkopfes
hervortritt) dem himmlisch irdischen Merkurius gelte. Dieser, dem vor einem
Jahr für seinen Oberon Goethe einen Lorberkranz gesandt, — dieser ist es doch
wohl, für den der holde Knabe seinen Lorberkranz herniederbringt. Aber was
thut er? Er hängt ja doch den Kranz nicht an der Stelzenspitze auf, sondern:
er sieht sich um und sucht sich Brüder. Wäre etwa sein Lilienstengel
nicht der des Engelgrußes, sondern gäbe ihn als den schönen Zwerg Oberon
zu erkennen, kommend mit dem Lorberkranz, den er vor einem Jahr davon
getragen, und sich umsehend nach einem heurigen seines Gleichen? Allein
als Oberon hätten billig ihn Bild und Vers — wie es leicht war — kennt¬
licher gezeichnet. Gesagt wird nur, daß der lieblich grüßende, ruhmverheißende
Engel sucht, nicht, daß er gefunden. Der unmittelbare Uebergang zu den
ferneren Dichterkranzbewerbern scheint vielmehr den im Suchen verlassenen
Genius einfach auf die Bedeutung eines reineren und höheren Himmelsboten
und Kampfrichters als der bestelzte mit Zepter und Ruthe ist, zu beschränken,
der mit seiner schönen Neigung in der Schwebe bleibt. Nun steht aber in
der Ttefurter Handschrift statt dieses: „Er sieht sich um und sucht sich Brüder" :


Er bringt einen Lorbeerkranz hernieder
Und kehrt betrübt zum Himmel wieder.

In dieser Form — auf welchen Theil der angeregten Vorstellungen man
auch die Absicht des Engels beziehe — auf den Bewunderer-Pack, den Wie--
land nicht los wird — auf die Knaben, die ihn vergeblich aus seiner Richter¬
höhe werfen wollen — auf seinen eigenen verdienten Preis, oder endlich
ganz allgemein auf die bisher gezeigten und die serner vorzuführenden Pra.-


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[0355] Klage, daß die Gewogenheit, in der seit Anfang des Jahres verschiedene, meist ungenannte Korrespondenten den Merkur mit Beiträgen beschenken, ihn in Verlegenheit setze. Aehnlich die nächsten Verse der Bildererklärung: Es schaut zu ihm ein großer Haus Von mancherlei Bewunderern auf; Doch diesen Pack, so schwer und groß, Wird er wohl schwerlich jemals los. Und nun die Vision: Wie ist mir? wie erscheint ein Engel! In Wolken mit dem Lilienstengel! Er bringt einen Lorberkranz hernieder, Er sieht sich um und sucht sich Brüder. V. 208 Hier weiß auch der Zuhörer und Zuschauer nicht recht, wie ihm ist. Er fühlt sich im Horizont von Plundersweilern, empor an dem hochschreitenden Merkur, hinaufgeklommen in die oberste Region und feinste Luft, Es liegt ihm am nächsten, daß hier das Erscheinen des anmuthigen Kindgenius (zumal er auch auf dem Bilde gerade im Zenith des gebückten Flügelbotenkopfes hervortritt) dem himmlisch irdischen Merkurius gelte. Dieser, dem vor einem Jahr für seinen Oberon Goethe einen Lorberkranz gesandt, — dieser ist es doch wohl, für den der holde Knabe seinen Lorberkranz herniederbringt. Aber was thut er? Er hängt ja doch den Kranz nicht an der Stelzenspitze auf, sondern: er sieht sich um und sucht sich Brüder. Wäre etwa sein Lilienstengel nicht der des Engelgrußes, sondern gäbe ihn als den schönen Zwerg Oberon zu erkennen, kommend mit dem Lorberkranz, den er vor einem Jahr davon getragen, und sich umsehend nach einem heurigen seines Gleichen? Allein als Oberon hätten billig ihn Bild und Vers — wie es leicht war — kennt¬ licher gezeichnet. Gesagt wird nur, daß der lieblich grüßende, ruhmverheißende Engel sucht, nicht, daß er gefunden. Der unmittelbare Uebergang zu den ferneren Dichterkranzbewerbern scheint vielmehr den im Suchen verlassenen Genius einfach auf die Bedeutung eines reineren und höheren Himmelsboten und Kampfrichters als der bestelzte mit Zepter und Ruthe ist, zu beschränken, der mit seiner schönen Neigung in der Schwebe bleibt. Nun steht aber in der Ttefurter Handschrift statt dieses: „Er sieht sich um und sucht sich Brüder" : Er bringt einen Lorbeerkranz hernieder Und kehrt betrübt zum Himmel wieder. In dieser Form — auf welchen Theil der angeregten Vorstellungen man auch die Absicht des Engels beziehe — auf den Bewunderer-Pack, den Wie-- land nicht los wird — auf die Knaben, die ihn vergeblich aus seiner Richter¬ höhe werfen wollen — auf seinen eigenen verdienten Preis, oder endlich ganz allgemein auf die bisher gezeigten und die serner vorzuführenden Pra.-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/355>, abgerufen am 01.09.2024.