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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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hat. zumal im Dezember 1868 während der verunglückten Adreßdebatte, wo
Sick das bekannte Amendement für ausdrückliche Anerkennung der Verträge
hineinwarf und dadurch die Phalanx der Gegner derangirte. Er scheint jedoch
diesmal einer Combination nicht getraut zu haben, die allerdings an Wider¬
sprüchen leidet und sich lieber für größere Dauer versprechende Eventualitäten
aufzusparen. Auch ist es ein öffentliches Geheimniß, daß er das Ausscheiden
Varnbüler's zur Bedingung seines Eintritts gemacht hätte, wie denn für
diesen Minister die ganze Krisis ein verständliches memellto war. Jetzt ist
für das Departement des Innern der Staatsrath v. Scheurlen ernannt, eine
robuste, cyklopische Natur, von scharfem Verstand und lebhaftem Ehrgeiz;
schon seit geraumer Zeit schien er an unterdrücktem Thatendrang zu leiden,
denn man sah ihn das einemal als Begleiter des Herrn v. Succow zu den
Militärconferenzen in München pilgern, das anderemal den Posten eines
Oberintendanten des officiellen Staatsanzeigers übernehmen. Er ist ein
strenger Conservativer, antinational, aber vor Allem antidemokratisch, der
schon vor zwanzig Jahren sich in einer UnPopularität gefiel, die er aufsuchte.
Seine Ernennung gilt ohne Zweifel zunächst der Agitation der Volkspartei.
Ueberhaupt bedeutet das Ministerium eine conservative Wendung, es ist ein
"Ministerium der Energie", vor Allem soll die Autorität der Regierung
wiederhergestellt werden, dies ist es wenigstens, was man von dem aus
wenig sympathischen Persönlichkeiten zusammengesetzten Ministerium erwartet.
Ist dann eine Zeit lang eine wirkliche Regierungsgewalt wieder in Function
gewesen, gelingt es. die überschattende Nebenregierung der Volkspartei gründ¬
lich zu beseitigen, dann wird man auch eventuell an eine Auflösung der
Kammer denken können, falls diese mit den gemachten Zugeständnissen noch
nicht zufrieden sein sollte.

Und dies ist die Antwort auf die 130.000 Unterschriften, welche die
Volkspartei im Schweiß ihres Angesichts für ihre Antimilitäradresse zu¬
sammengebracht hatte. Wie ein kurzer märchenhafter Traum, dem ein rasches
unerwünschtes Erwachen folgt, muß ihr der 17tägige Landtag erscheinen.
So nah dem Ziele, und diese gründliche Enttäuschung! Die Bestürzung,
welche sich auf den Gesichtern im Halbmondssaal an dem verhängnißvollen
24. März, dem Datum unserer Zollparlamentswahlen, malte, stammelte in
den demokratischen und ultramontanen Blättern des Abends Worte schmerz¬
lichster Ueberraschung. "Das Land wird aufschauern", stöhnte der Beobachter,
..über solche Wirkung seiner Bewegung, die das Gegentheil bringt von dem.
was es damit wollte." Als eine "preußische Antwort", als ein "Schlag
ins Gesicht" der Patrioten wurde die Lösung bezeichnet. Gleichwohl ist
vorauszusehen. daß man im Lande die eingetretene Wendung ungleich ge¬
lassener aufnehmen wird, als man nach der mehrmonatlichen Agitation mit


hat. zumal im Dezember 1868 während der verunglückten Adreßdebatte, wo
Sick das bekannte Amendement für ausdrückliche Anerkennung der Verträge
hineinwarf und dadurch die Phalanx der Gegner derangirte. Er scheint jedoch
diesmal einer Combination nicht getraut zu haben, die allerdings an Wider¬
sprüchen leidet und sich lieber für größere Dauer versprechende Eventualitäten
aufzusparen. Auch ist es ein öffentliches Geheimniß, daß er das Ausscheiden
Varnbüler's zur Bedingung seines Eintritts gemacht hätte, wie denn für
diesen Minister die ganze Krisis ein verständliches memellto war. Jetzt ist
für das Departement des Innern der Staatsrath v. Scheurlen ernannt, eine
robuste, cyklopische Natur, von scharfem Verstand und lebhaftem Ehrgeiz;
schon seit geraumer Zeit schien er an unterdrücktem Thatendrang zu leiden,
denn man sah ihn das einemal als Begleiter des Herrn v. Succow zu den
Militärconferenzen in München pilgern, das anderemal den Posten eines
Oberintendanten des officiellen Staatsanzeigers übernehmen. Er ist ein
strenger Conservativer, antinational, aber vor Allem antidemokratisch, der
schon vor zwanzig Jahren sich in einer UnPopularität gefiel, die er aufsuchte.
Seine Ernennung gilt ohne Zweifel zunächst der Agitation der Volkspartei.
Ueberhaupt bedeutet das Ministerium eine conservative Wendung, es ist ein
„Ministerium der Energie", vor Allem soll die Autorität der Regierung
wiederhergestellt werden, dies ist es wenigstens, was man von dem aus
wenig sympathischen Persönlichkeiten zusammengesetzten Ministerium erwartet.
Ist dann eine Zeit lang eine wirkliche Regierungsgewalt wieder in Function
gewesen, gelingt es. die überschattende Nebenregierung der Volkspartei gründ¬
lich zu beseitigen, dann wird man auch eventuell an eine Auflösung der
Kammer denken können, falls diese mit den gemachten Zugeständnissen noch
nicht zufrieden sein sollte.

Und dies ist die Antwort auf die 130.000 Unterschriften, welche die
Volkspartei im Schweiß ihres Angesichts für ihre Antimilitäradresse zu¬
sammengebracht hatte. Wie ein kurzer märchenhafter Traum, dem ein rasches
unerwünschtes Erwachen folgt, muß ihr der 17tägige Landtag erscheinen.
So nah dem Ziele, und diese gründliche Enttäuschung! Die Bestürzung,
welche sich auf den Gesichtern im Halbmondssaal an dem verhängnißvollen
24. März, dem Datum unserer Zollparlamentswahlen, malte, stammelte in
den demokratischen und ultramontanen Blättern des Abends Worte schmerz¬
lichster Ueberraschung. „Das Land wird aufschauern", stöhnte der Beobachter,
..über solche Wirkung seiner Bewegung, die das Gegentheil bringt von dem.
was es damit wollte." Als eine „preußische Antwort", als ein „Schlag
ins Gesicht" der Patrioten wurde die Lösung bezeichnet. Gleichwohl ist
vorauszusehen. daß man im Lande die eingetretene Wendung ungleich ge¬
lassener aufnehmen wird, als man nach der mehrmonatlichen Agitation mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/33>, abgerufen am 27.07.2024.