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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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führte, wie die süddeutschen Staaten durch das Interesse ihrer Selbsterhal¬
tung nicht minder, als durch das nationale Ehrgefühl auf die engste, loyalste
Verbindung mit dem norddeutschen Bund angewiesen seien. Dies ist der
neue würtenbergische Kriegsminister, von dem man annehmen darf, daß er in
dem Cabinet nicht eine Nebenrolle zu spielen gedenkt.

Und fast noch bezeichnender als diese Ernennung ist die Entlassung des
Cultusministers Golther, welche, wie es heißt, von Succow geradezu zur
Bedingung seines Eintritts in das Ministerium gemacht wurde. Denn
Golther war, wie heute die volksparteilichen und ultramontanen Organe in
die Wette jammern, das einzige aufrichtig großdeutsche Mitglied des Mini¬
steriums, d. h. er war -- entgegen der bloßen Opportunitätspolitik des
Herrn v. Varnbüler -- von einem principiellen Hasse gegen Preußen beseelt,
ein Anhänger Oestreichs, bekannt durch die Maßregelungen nationalgesinn¬
ter Beamter in seinem Ressort; unvergessen ist insbesondere die kleinliche
Rache, die er im Herbst 1866 an Prof. Pauli übte. In seinem Departe¬
ment war er nicht ohne Verdienste, obwohl er -- ein Beust im Kleinen --
diese schmälerte durch eine übertriebene Geschäftigkeit und maßlose Selbst¬
gefälligkeit. Jetzt ist er -- nicht etwa zum Professor in Schönthal, aber zum
Präsidenten des evangelischen Konsistoriums ernannt, eine Stelle, die eben
erledigt war.

Endlich aber benutzte man die Ministerkrisis, um Geßler, den bisherigen
Minister des Innern zu beseitigen. Dabei waren in erster Linie wohl nicht
politische Motive im Spiel. Seine Unthätigkeit und Indolenz in größeren
Fragen, seine derben Manieren in kleineren Dingen machten im Interesse
der öffentlichen Verwaltung längst einen Wechsel erwünscht. Seine Unthätig¬
keit gipfelte allerdings zuletzt in dem olympischen Gleichmuth, den er der
demokratischen Agitation entgegensetzte, auch als dieselbe bereits anfing, we¬
nigstens die ländlichen Behörden in ihren Dienst zu ziehen, wie sie denn
überhaupt durch das zweideutige Schweigen der Regierung ermuthigt, zum
offenbaren Hohn gegen die Autorität der Gesetze ausartete. Wirklich soll
ihm als Grund seiner Entlassung ausdrücklich diese seine Haltung gegenüber
der "Landesagitation" genannt worden sein, obwohl diejenigen seiner Col-
legen, welche geblieben sind, diese Schuld jedenfalls theilten und selbst in der
Kammersitzung vom 12. März die Unthätigkeit der Regierung, wenn auch
unglücklich genug, zu rechtfertigen suchten.

Als sein Nachfolger war zuerst Sick, der Oberbürgermeister der Resi¬
denzstadt ausersehen, der längst für einen Zukunftsministereandidaten gilt,
ein Mann von lebhaftem Temperament, gewinnenden Manieren und tüchti¬
ger Arbeitskraft, doch in politischer Beziehung leicht beweglich und unsicher,
der aber dem Ministerium Varnbüler wiederholt nützliche Dienste geleistet


führte, wie die süddeutschen Staaten durch das Interesse ihrer Selbsterhal¬
tung nicht minder, als durch das nationale Ehrgefühl auf die engste, loyalste
Verbindung mit dem norddeutschen Bund angewiesen seien. Dies ist der
neue würtenbergische Kriegsminister, von dem man annehmen darf, daß er in
dem Cabinet nicht eine Nebenrolle zu spielen gedenkt.

Und fast noch bezeichnender als diese Ernennung ist die Entlassung des
Cultusministers Golther, welche, wie es heißt, von Succow geradezu zur
Bedingung seines Eintritts in das Ministerium gemacht wurde. Denn
Golther war, wie heute die volksparteilichen und ultramontanen Organe in
die Wette jammern, das einzige aufrichtig großdeutsche Mitglied des Mini¬
steriums, d. h. er war — entgegen der bloßen Opportunitätspolitik des
Herrn v. Varnbüler — von einem principiellen Hasse gegen Preußen beseelt,
ein Anhänger Oestreichs, bekannt durch die Maßregelungen nationalgesinn¬
ter Beamter in seinem Ressort; unvergessen ist insbesondere die kleinliche
Rache, die er im Herbst 1866 an Prof. Pauli übte. In seinem Departe¬
ment war er nicht ohne Verdienste, obwohl er — ein Beust im Kleinen —
diese schmälerte durch eine übertriebene Geschäftigkeit und maßlose Selbst¬
gefälligkeit. Jetzt ist er — nicht etwa zum Professor in Schönthal, aber zum
Präsidenten des evangelischen Konsistoriums ernannt, eine Stelle, die eben
erledigt war.

Endlich aber benutzte man die Ministerkrisis, um Geßler, den bisherigen
Minister des Innern zu beseitigen. Dabei waren in erster Linie wohl nicht
politische Motive im Spiel. Seine Unthätigkeit und Indolenz in größeren
Fragen, seine derben Manieren in kleineren Dingen machten im Interesse
der öffentlichen Verwaltung längst einen Wechsel erwünscht. Seine Unthätig¬
keit gipfelte allerdings zuletzt in dem olympischen Gleichmuth, den er der
demokratischen Agitation entgegensetzte, auch als dieselbe bereits anfing, we¬
nigstens die ländlichen Behörden in ihren Dienst zu ziehen, wie sie denn
überhaupt durch das zweideutige Schweigen der Regierung ermuthigt, zum
offenbaren Hohn gegen die Autorität der Gesetze ausartete. Wirklich soll
ihm als Grund seiner Entlassung ausdrücklich diese seine Haltung gegenüber
der „Landesagitation" genannt worden sein, obwohl diejenigen seiner Col-
legen, welche geblieben sind, diese Schuld jedenfalls theilten und selbst in der
Kammersitzung vom 12. März die Unthätigkeit der Regierung, wenn auch
unglücklich genug, zu rechtfertigen suchten.

Als sein Nachfolger war zuerst Sick, der Oberbürgermeister der Resi¬
denzstadt ausersehen, der längst für einen Zukunftsministereandidaten gilt,
ein Mann von lebhaftem Temperament, gewinnenden Manieren und tüchti¬
ger Arbeitskraft, doch in politischer Beziehung leicht beweglich und unsicher,
der aber dem Ministerium Varnbüler wiederholt nützliche Dienste geleistet


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[0032] führte, wie die süddeutschen Staaten durch das Interesse ihrer Selbsterhal¬ tung nicht minder, als durch das nationale Ehrgefühl auf die engste, loyalste Verbindung mit dem norddeutschen Bund angewiesen seien. Dies ist der neue würtenbergische Kriegsminister, von dem man annehmen darf, daß er in dem Cabinet nicht eine Nebenrolle zu spielen gedenkt. Und fast noch bezeichnender als diese Ernennung ist die Entlassung des Cultusministers Golther, welche, wie es heißt, von Succow geradezu zur Bedingung seines Eintritts in das Ministerium gemacht wurde. Denn Golther war, wie heute die volksparteilichen und ultramontanen Organe in die Wette jammern, das einzige aufrichtig großdeutsche Mitglied des Mini¬ steriums, d. h. er war — entgegen der bloßen Opportunitätspolitik des Herrn v. Varnbüler — von einem principiellen Hasse gegen Preußen beseelt, ein Anhänger Oestreichs, bekannt durch die Maßregelungen nationalgesinn¬ ter Beamter in seinem Ressort; unvergessen ist insbesondere die kleinliche Rache, die er im Herbst 1866 an Prof. Pauli übte. In seinem Departe¬ ment war er nicht ohne Verdienste, obwohl er — ein Beust im Kleinen — diese schmälerte durch eine übertriebene Geschäftigkeit und maßlose Selbst¬ gefälligkeit. Jetzt ist er — nicht etwa zum Professor in Schönthal, aber zum Präsidenten des evangelischen Konsistoriums ernannt, eine Stelle, die eben erledigt war. Endlich aber benutzte man die Ministerkrisis, um Geßler, den bisherigen Minister des Innern zu beseitigen. Dabei waren in erster Linie wohl nicht politische Motive im Spiel. Seine Unthätigkeit und Indolenz in größeren Fragen, seine derben Manieren in kleineren Dingen machten im Interesse der öffentlichen Verwaltung längst einen Wechsel erwünscht. Seine Unthätig¬ keit gipfelte allerdings zuletzt in dem olympischen Gleichmuth, den er der demokratischen Agitation entgegensetzte, auch als dieselbe bereits anfing, we¬ nigstens die ländlichen Behörden in ihren Dienst zu ziehen, wie sie denn überhaupt durch das zweideutige Schweigen der Regierung ermuthigt, zum offenbaren Hohn gegen die Autorität der Gesetze ausartete. Wirklich soll ihm als Grund seiner Entlassung ausdrücklich diese seine Haltung gegenüber der „Landesagitation" genannt worden sein, obwohl diejenigen seiner Col- legen, welche geblieben sind, diese Schuld jedenfalls theilten und selbst in der Kammersitzung vom 12. März die Unthätigkeit der Regierung, wenn auch unglücklich genug, zu rechtfertigen suchten. Als sein Nachfolger war zuerst Sick, der Oberbürgermeister der Resi¬ denzstadt ausersehen, der längst für einen Zukunftsministereandidaten gilt, ein Mann von lebhaftem Temperament, gewinnenden Manieren und tüchti¬ ger Arbeitskraft, doch in politischer Beziehung leicht beweglich und unsicher, der aber dem Ministerium Varnbüler wiederholt nützliche Dienste geleistet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/32>, abgerufen am 27.07.2024.