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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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kratie an die Beamten erlassen werden solle, um sie zum Ungehorsam gegen
die Weisungen des Ministeriums aufzufordern! Unter diesen ministeriellen
Kundgebungen hat am meisten Aufsehen gemacht ein vertrauliches Rund¬
schreiben des Justizministers an seine Bezirksbeamten. Man fand es unerhört,
daß auch die Justiz in das politische Interesse hereingezogen und mit Wei¬
sungen in dieser Beziehung versehen werden solle. Zur Entschuldigung des
Herrn v. Mittnacht ist nur dies zu sagen, daß er keineswegs etwas uner¬
hörtes that, daß es vielmehr in ähnlichen Fällen immer Stil in Würtem-
berg war, mit einer sanften Mahnung auch an die Gerichtsbehörden sich zu
wenden. Nur seiner angehängten Aufforderung, gelegentlich Stimmungs¬
berichte einzusenden, konnte man einen leichten polizeilichen Beigeschmack nicht
wohl absprechen. Und auffallend war auch dies, daß derselbe Minister jetzt
ein Entgegentreten gegen die Agitation empfahl, der noch wenige Tage vor
der Katastrophe des 24. März gegenüber der von der deutschen Partei aus¬
gedrückten Verwunderung die bisherige Unthätigkeit der Regierung scherzend
vertheidigt und blos den Ständesaal als geeigneten Ort für ihre Meinungs¬
kundgebungen bezeichnet hatte. Unverkennbar war es, daß zwischen so ver¬
schiedenen Aeußerungen sehr bestimmte Entschlüsse liegen mußten.

Und nun zieht sich allerdings ein rother Faden durch die Erlasse und
Rundschreiben der Minister: ihre Absicht ist, die Zügel straffer anzuziehen
und wieder etwas wie eine Regierung im Lande herzustellen. Die Beamten
der verschiedenen Departements sind entschieden an ihre Pflichten erinnert
Worden und der neue Minister des Innern hat nicht gesäumt, neben seinem
Rundschreiben vom 27. März sich auch persönlich mit den Bezirksbeamten
ins Einvernehmen zu setzen. Diese Schritte waren zu erwarten und aller¬
dings ist es das nächste Bedürfniß, daß der Einfluß der radikalen Wühlerei
im Lande gebrochen, und die versetzten Gemüther wieder in eine regelrechte
Verfassung gebracht werden. Man erkennt zugleich die Absicht, wenigstens
die Möglichkeit einer Kammerauflösung vorzubreiten, die unmittelbar nach
der Agitation der Volkspartei nutzlos gewesen wäre. Allein die Frage ist,
ob die Regierung diese Umstimmung bewirken kann, ohne dem Volke mehr
in Aussicht zu stellen als die Erhaltung des Status puo. Mehr haben aber
ihre Kundgebungen bisher nicht geboten, und es wäre wohl auch unbillig,
mehr zu verlangen von einem Ministerium, in welchem Varnbüler und Mitt¬
nacht geblieben sind.

Das Rundschreiben des Ministers des Innern hebt zwar kräftig hervor,
daß die Regierung an dem Alltanzvertrag "unverbrüchlich festhält und die
dadurch von ihr unternommenen Pflichten ehrlich und in patriotischem Sinn
erfüllen wird, daß sie demzufolge ein aufrichtig freundliches Verhältniß zum
norddeutschen Bund zu erhalten bestrebt ist", und man hat bemerkt, daß


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kratie an die Beamten erlassen werden solle, um sie zum Ungehorsam gegen
die Weisungen des Ministeriums aufzufordern! Unter diesen ministeriellen
Kundgebungen hat am meisten Aufsehen gemacht ein vertrauliches Rund¬
schreiben des Justizministers an seine Bezirksbeamten. Man fand es unerhört,
daß auch die Justiz in das politische Interesse hereingezogen und mit Wei¬
sungen in dieser Beziehung versehen werden solle. Zur Entschuldigung des
Herrn v. Mittnacht ist nur dies zu sagen, daß er keineswegs etwas uner¬
hörtes that, daß es vielmehr in ähnlichen Fällen immer Stil in Würtem-
berg war, mit einer sanften Mahnung auch an die Gerichtsbehörden sich zu
wenden. Nur seiner angehängten Aufforderung, gelegentlich Stimmungs¬
berichte einzusenden, konnte man einen leichten polizeilichen Beigeschmack nicht
wohl absprechen. Und auffallend war auch dies, daß derselbe Minister jetzt
ein Entgegentreten gegen die Agitation empfahl, der noch wenige Tage vor
der Katastrophe des 24. März gegenüber der von der deutschen Partei aus¬
gedrückten Verwunderung die bisherige Unthätigkeit der Regierung scherzend
vertheidigt und blos den Ständesaal als geeigneten Ort für ihre Meinungs¬
kundgebungen bezeichnet hatte. Unverkennbar war es, daß zwischen so ver¬
schiedenen Aeußerungen sehr bestimmte Entschlüsse liegen mußten.

Und nun zieht sich allerdings ein rother Faden durch die Erlasse und
Rundschreiben der Minister: ihre Absicht ist, die Zügel straffer anzuziehen
und wieder etwas wie eine Regierung im Lande herzustellen. Die Beamten
der verschiedenen Departements sind entschieden an ihre Pflichten erinnert
Worden und der neue Minister des Innern hat nicht gesäumt, neben seinem
Rundschreiben vom 27. März sich auch persönlich mit den Bezirksbeamten
ins Einvernehmen zu setzen. Diese Schritte waren zu erwarten und aller¬
dings ist es das nächste Bedürfniß, daß der Einfluß der radikalen Wühlerei
im Lande gebrochen, und die versetzten Gemüther wieder in eine regelrechte
Verfassung gebracht werden. Man erkennt zugleich die Absicht, wenigstens
die Möglichkeit einer Kammerauflösung vorzubreiten, die unmittelbar nach
der Agitation der Volkspartei nutzlos gewesen wäre. Allein die Frage ist,
ob die Regierung diese Umstimmung bewirken kann, ohne dem Volke mehr
in Aussicht zu stellen als die Erhaltung des Status puo. Mehr haben aber
ihre Kundgebungen bisher nicht geboten, und es wäre wohl auch unbillig,
mehr zu verlangen von einem Ministerium, in welchem Varnbüler und Mitt¬
nacht geblieben sind.

Das Rundschreiben des Ministers des Innern hebt zwar kräftig hervor,
daß die Regierung an dem Alltanzvertrag „unverbrüchlich festhält und die
dadurch von ihr unternommenen Pflichten ehrlich und in patriotischem Sinn
erfüllen wird, daß sie demzufolge ein aufrichtig freundliches Verhältniß zum
norddeutschen Bund zu erhalten bestrebt ist", und man hat bemerkt, daß


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[0273] kratie an die Beamten erlassen werden solle, um sie zum Ungehorsam gegen die Weisungen des Ministeriums aufzufordern! Unter diesen ministeriellen Kundgebungen hat am meisten Aufsehen gemacht ein vertrauliches Rund¬ schreiben des Justizministers an seine Bezirksbeamten. Man fand es unerhört, daß auch die Justiz in das politische Interesse hereingezogen und mit Wei¬ sungen in dieser Beziehung versehen werden solle. Zur Entschuldigung des Herrn v. Mittnacht ist nur dies zu sagen, daß er keineswegs etwas uner¬ hörtes that, daß es vielmehr in ähnlichen Fällen immer Stil in Würtem- berg war, mit einer sanften Mahnung auch an die Gerichtsbehörden sich zu wenden. Nur seiner angehängten Aufforderung, gelegentlich Stimmungs¬ berichte einzusenden, konnte man einen leichten polizeilichen Beigeschmack nicht wohl absprechen. Und auffallend war auch dies, daß derselbe Minister jetzt ein Entgegentreten gegen die Agitation empfahl, der noch wenige Tage vor der Katastrophe des 24. März gegenüber der von der deutschen Partei aus¬ gedrückten Verwunderung die bisherige Unthätigkeit der Regierung scherzend vertheidigt und blos den Ständesaal als geeigneten Ort für ihre Meinungs¬ kundgebungen bezeichnet hatte. Unverkennbar war es, daß zwischen so ver¬ schiedenen Aeußerungen sehr bestimmte Entschlüsse liegen mußten. Und nun zieht sich allerdings ein rother Faden durch die Erlasse und Rundschreiben der Minister: ihre Absicht ist, die Zügel straffer anzuziehen und wieder etwas wie eine Regierung im Lande herzustellen. Die Beamten der verschiedenen Departements sind entschieden an ihre Pflichten erinnert Worden und der neue Minister des Innern hat nicht gesäumt, neben seinem Rundschreiben vom 27. März sich auch persönlich mit den Bezirksbeamten ins Einvernehmen zu setzen. Diese Schritte waren zu erwarten und aller¬ dings ist es das nächste Bedürfniß, daß der Einfluß der radikalen Wühlerei im Lande gebrochen, und die versetzten Gemüther wieder in eine regelrechte Verfassung gebracht werden. Man erkennt zugleich die Absicht, wenigstens die Möglichkeit einer Kammerauflösung vorzubreiten, die unmittelbar nach der Agitation der Volkspartei nutzlos gewesen wäre. Allein die Frage ist, ob die Regierung diese Umstimmung bewirken kann, ohne dem Volke mehr in Aussicht zu stellen als die Erhaltung des Status puo. Mehr haben aber ihre Kundgebungen bisher nicht geboten, und es wäre wohl auch unbillig, mehr zu verlangen von einem Ministerium, in welchem Varnbüler und Mitt¬ nacht geblieben sind. Das Rundschreiben des Ministers des Innern hebt zwar kräftig hervor, daß die Regierung an dem Alltanzvertrag „unverbrüchlich festhält und die dadurch von ihr unternommenen Pflichten ehrlich und in patriotischem Sinn erfüllen wird, daß sie demzufolge ein aufrichtig freundliches Verhältniß zum norddeutschen Bund zu erhalten bestrebt ist", und man hat bemerkt, daß 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/273>, abgerufen am 01.09.2024.