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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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diese Stellen noch entschiedener lauten als in dem Ministerprogramm, das
der "Staatsanzeiger" am 23. März brachte. Aber zugleich versichert Herr
Scheurlen, daß zu Befürchtungen, als sei "eine Aenderung in den politischen
Verhältnissen Würtembergs" beabsichtigt, entfernt kein Anlaß und Grund vor¬
liegt." Noch bestimmter wies Herr v. Varnbüler die Deutungen zurück, welche
der Eintritt des Generals von Succow in das Cabinet anfangs gesunden hatte.
In einem Artikel der Allg. Ztg., den man auf jene Inspiration zurückführte,
wurde der Meinung, als sei der partielle Ministerwechsel "im sogenannten
preußischen Sinne", entschieden entgegengetreten und dagegen versichert, die
im Ministerium zurückgebliebenen Minister geben eine Garantie dafür, "daß
die Politik der würtembergischen Regierung fortan die Erhaltung des Status
ciuo in Deutschland und ein stetes und herzliches Zusammengehen mit Baiern"
sein werde. Das Letztere war nun eine ganz neue Nuance der würtem¬
bergischen Politik, offenbar ermöglicht erst durch den Rücktritt des Fürsten
Hohenlohe. Denn vom Programm des Grafen Bray, das die Lage Baierns
als nicht blos vollkommen haltbar, sondern sogar unangreifbar prädicirte,
so daß also irgend welche Anlehnung, auch an Preußen, nicht nothwendig sei,
sprach der eben genannte Artikel mit einer Art von Enthusiasmus. Und in
der That sind verschiedene Anzeichen dafür vorhanden, daß man in Würtem-
berg, wo die Lage nicht mit gleicher Zuversicht als haltbar und unangreif¬
bar empfunden wird und das Bedürfniß einer Anlehnung nicht abgewiesen
zu werden scheint, diese Anlehnung -- in Baiern suchen will, eine Anlehnung,
zu dem ausgesprochenen Zweck, mit aller Entschiedenheit den Status quo in
Deutschland festzuhalten!

Es ist schwer, diese bairisch-würtenbergische Allianz ernsthaft zu behandeln,
die in der Reise der Minister Bray und Lutz nach Stuttgart ihre demon¬
strative Einweihung erhalten hat. Man wird einen unvermeidlichen Schritt'
wie den Abschluß des Jurisdictionsvertrags mit dem norddeutschen Bund
in ostensibler Weise gemeinsam unternehmen, oder andere Schritte in dieser
Richtung gemeinsam ablehnen können. Aber so lange sich beide Regierungen
noch nicht einmal über ihre Eisenbahnanschlüsse einigen können, so lange sie
über der gemeinsamen Festung Ulm in eifersüchtigen Zank liegen, werden
einige Zweifel an der Intimität und Dauerhaftigkeit des Verhältnisses erlaubt
sein. Als Kern aller Phrasen bleibt blos der Entschluß, jeder politischen
Verbindung mit dem norddeutschen Bund sich zu erwehren, und dies recht¬
fertigt nachträglich die Zurückhaltung, welche die deutsche Partei von Anfang
an dem Ministerwechsel gegenüber eingenommen hat, unbeirrt durch die Fluth
von Superlativen Declamationen, mit welchen die Volkspartei ihrerseits auf
den "Schlag ins Gesicht" antworten zu müssen glaubte.

Die Beschlüsse und die Reden der Landesversammlung, welche die deutsche


diese Stellen noch entschiedener lauten als in dem Ministerprogramm, das
der „Staatsanzeiger" am 23. März brachte. Aber zugleich versichert Herr
Scheurlen, daß zu Befürchtungen, als sei „eine Aenderung in den politischen
Verhältnissen Würtembergs" beabsichtigt, entfernt kein Anlaß und Grund vor¬
liegt." Noch bestimmter wies Herr v. Varnbüler die Deutungen zurück, welche
der Eintritt des Generals von Succow in das Cabinet anfangs gesunden hatte.
In einem Artikel der Allg. Ztg., den man auf jene Inspiration zurückführte,
wurde der Meinung, als sei der partielle Ministerwechsel „im sogenannten
preußischen Sinne", entschieden entgegengetreten und dagegen versichert, die
im Ministerium zurückgebliebenen Minister geben eine Garantie dafür, „daß
die Politik der würtembergischen Regierung fortan die Erhaltung des Status
ciuo in Deutschland und ein stetes und herzliches Zusammengehen mit Baiern"
sein werde. Das Letztere war nun eine ganz neue Nuance der würtem¬
bergischen Politik, offenbar ermöglicht erst durch den Rücktritt des Fürsten
Hohenlohe. Denn vom Programm des Grafen Bray, das die Lage Baierns
als nicht blos vollkommen haltbar, sondern sogar unangreifbar prädicirte,
so daß also irgend welche Anlehnung, auch an Preußen, nicht nothwendig sei,
sprach der eben genannte Artikel mit einer Art von Enthusiasmus. Und in
der That sind verschiedene Anzeichen dafür vorhanden, daß man in Würtem-
berg, wo die Lage nicht mit gleicher Zuversicht als haltbar und unangreif¬
bar empfunden wird und das Bedürfniß einer Anlehnung nicht abgewiesen
zu werden scheint, diese Anlehnung — in Baiern suchen will, eine Anlehnung,
zu dem ausgesprochenen Zweck, mit aller Entschiedenheit den Status quo in
Deutschland festzuhalten!

Es ist schwer, diese bairisch-würtenbergische Allianz ernsthaft zu behandeln,
die in der Reise der Minister Bray und Lutz nach Stuttgart ihre demon¬
strative Einweihung erhalten hat. Man wird einen unvermeidlichen Schritt'
wie den Abschluß des Jurisdictionsvertrags mit dem norddeutschen Bund
in ostensibler Weise gemeinsam unternehmen, oder andere Schritte in dieser
Richtung gemeinsam ablehnen können. Aber so lange sich beide Regierungen
noch nicht einmal über ihre Eisenbahnanschlüsse einigen können, so lange sie
über der gemeinsamen Festung Ulm in eifersüchtigen Zank liegen, werden
einige Zweifel an der Intimität und Dauerhaftigkeit des Verhältnisses erlaubt
sein. Als Kern aller Phrasen bleibt blos der Entschluß, jeder politischen
Verbindung mit dem norddeutschen Bund sich zu erwehren, und dies recht¬
fertigt nachträglich die Zurückhaltung, welche die deutsche Partei von Anfang
an dem Ministerwechsel gegenüber eingenommen hat, unbeirrt durch die Fluth
von Superlativen Declamationen, mit welchen die Volkspartei ihrerseits auf
den „Schlag ins Gesicht" antworten zu müssen glaubte.

Die Beschlüsse und die Reden der Landesversammlung, welche die deutsche


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[0274] diese Stellen noch entschiedener lauten als in dem Ministerprogramm, das der „Staatsanzeiger" am 23. März brachte. Aber zugleich versichert Herr Scheurlen, daß zu Befürchtungen, als sei „eine Aenderung in den politischen Verhältnissen Würtembergs" beabsichtigt, entfernt kein Anlaß und Grund vor¬ liegt." Noch bestimmter wies Herr v. Varnbüler die Deutungen zurück, welche der Eintritt des Generals von Succow in das Cabinet anfangs gesunden hatte. In einem Artikel der Allg. Ztg., den man auf jene Inspiration zurückführte, wurde der Meinung, als sei der partielle Ministerwechsel „im sogenannten preußischen Sinne", entschieden entgegengetreten und dagegen versichert, die im Ministerium zurückgebliebenen Minister geben eine Garantie dafür, „daß die Politik der würtembergischen Regierung fortan die Erhaltung des Status ciuo in Deutschland und ein stetes und herzliches Zusammengehen mit Baiern" sein werde. Das Letztere war nun eine ganz neue Nuance der würtem¬ bergischen Politik, offenbar ermöglicht erst durch den Rücktritt des Fürsten Hohenlohe. Denn vom Programm des Grafen Bray, das die Lage Baierns als nicht blos vollkommen haltbar, sondern sogar unangreifbar prädicirte, so daß also irgend welche Anlehnung, auch an Preußen, nicht nothwendig sei, sprach der eben genannte Artikel mit einer Art von Enthusiasmus. Und in der That sind verschiedene Anzeichen dafür vorhanden, daß man in Würtem- berg, wo die Lage nicht mit gleicher Zuversicht als haltbar und unangreif¬ bar empfunden wird und das Bedürfniß einer Anlehnung nicht abgewiesen zu werden scheint, diese Anlehnung — in Baiern suchen will, eine Anlehnung, zu dem ausgesprochenen Zweck, mit aller Entschiedenheit den Status quo in Deutschland festzuhalten! Es ist schwer, diese bairisch-würtenbergische Allianz ernsthaft zu behandeln, die in der Reise der Minister Bray und Lutz nach Stuttgart ihre demon¬ strative Einweihung erhalten hat. Man wird einen unvermeidlichen Schritt' wie den Abschluß des Jurisdictionsvertrags mit dem norddeutschen Bund in ostensibler Weise gemeinsam unternehmen, oder andere Schritte in dieser Richtung gemeinsam ablehnen können. Aber so lange sich beide Regierungen noch nicht einmal über ihre Eisenbahnanschlüsse einigen können, so lange sie über der gemeinsamen Festung Ulm in eifersüchtigen Zank liegen, werden einige Zweifel an der Intimität und Dauerhaftigkeit des Verhältnisses erlaubt sein. Als Kern aller Phrasen bleibt blos der Entschluß, jeder politischen Verbindung mit dem norddeutschen Bund sich zu erwehren, und dies recht¬ fertigt nachträglich die Zurückhaltung, welche die deutsche Partei von Anfang an dem Ministerwechsel gegenüber eingenommen hat, unbeirrt durch die Fluth von Superlativen Declamationen, mit welchen die Volkspartei ihrerseits auf den „Schlag ins Gesicht" antworten zu müssen glaubte. Die Beschlüsse und die Reden der Landesversammlung, welche die deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/274>, abgerufen am 01.09.2024.