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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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muthen lassen könnten. In solchen vertraulichen Handbillets machte er bis¬
weilen dem Unmuthe Luft, wenn die Kaiserin ihn nicht rücksichtsvoll genug
behandelte oder ihm seinen Antheil an der bei einer Theilung der Türke?
zu erwartenden Beute zu schmälern Miene machte. Einzelne Briefe an die
Kaiserin sind der Art, daß wir an Joseph's Bewunderung sür Katharina
nicht zu zweifeln vermögen, nur die Plaudereien mit Kaunitz zeigen, daß
diese Bewunderung ihre Grenzen hatte. Indessen müssen solche Momente
tiefer Verstimmung doch nur vorübergehend gewesen sein; im Wesentlichen
ward bei ihm die Ueberzeugung, daß ein enges Bündniß mit Rußland für
Oestreich heilsam sei, gestützt von wirklich freundschaftlichen Empfindungen
für Katharina. Die Wonne, mit welcher Joseph die persönlichen Verhältnisse
der Kaiserin bespricht, geht offenbar über die Formen gewöhnlicher Courtoisie
hinaus; die lebhafte Erregung, in welcher der sterbende Joseph der Kaiserin
zum letzten Male für ihre Freundschaft dankt, ist mehr als bloße Phrase.
Sie hatte ihn in seinem Schmerz wegen des Aufstandes in den Niederlanden,
wegen der Gefahr von Preußen her, wegen seiner tödtlichen Krankheit zu
trösten versucht. Er antwortete, der Eindruck des Briefes der Kaiserin in
dem Augenblicke, da er von Stunde zu Stunde den Tod erwarte, sei nicht zu
beschreiben. "Man muß so beschaffen sein wie Sie, um alles dies zu fühlen,
zu wollen und zu können, was Sie mir sagen; Ihre Worte sind geheiligt",
ruft er der Kaiserin zu, indem er sie bittet, die für ihn gehegte Freundschaft
auch auf Leopold zu übertragen; es sei ihm dieses ein Trost in seiner schreck¬
lichen Lage. "Nie mehr", schließt Joseph seinen letzten Brief an Katharina,
"werde ich die Schriftzüge Eurer Majestät sehen, welche mich so sehr beglückten,
und ich fühle den ganzen Schmerz, der darin liegt, daß ich zum letzten Male
Sie meiner zärtlichen Freundschaft und hohen Achtung versichern kann."*)

Auch Katharina wußte Joseph's II. ausgezeichnete Eigenschaften zu schätzen,
aber sie warf ihm bisweilen Ueberstürzung. Unüberlegtheit, politischen Dilet¬
tantismus vor. Friedrich der Große hatte wohl die Bemerkung gemacht,
Joseph II. thue oft den zweiten Schritt, ehe er den ersten gethan habe.
Etwas Aehnliches äußerte Katharina über den Kaiser während der Reise im
Jahre 1787. Joseph machte sich viel zu schaffen, war stets früh Morgens
schon auf den Beinen, unternahm allerlei Ausflüge in die Umgegend der
Städte, welche die Reisegesellschaft besuchte und suchte Alles so genau wie
möglich in Augenschein zu nehmen. Der Kaiserin erschien dieses wunderlich.
Sie sagte: "Ich sehe und höre Alles, obgleich ich nicht überall umherlaufe
wie der Kaiser. Er hat viel gelesen und viele Kenntnisse; aber weil er so
streng ist gegen sich selbst, so verlangt er auch von Anderen dieselbe Uner¬
müdlichkeit und eine unmögliche Vollkommenheit.. Katharina erwähnt hier



') Arneth S. 389.

muthen lassen könnten. In solchen vertraulichen Handbillets machte er bis¬
weilen dem Unmuthe Luft, wenn die Kaiserin ihn nicht rücksichtsvoll genug
behandelte oder ihm seinen Antheil an der bei einer Theilung der Türke?
zu erwartenden Beute zu schmälern Miene machte. Einzelne Briefe an die
Kaiserin sind der Art, daß wir an Joseph's Bewunderung sür Katharina
nicht zu zweifeln vermögen, nur die Plaudereien mit Kaunitz zeigen, daß
diese Bewunderung ihre Grenzen hatte. Indessen müssen solche Momente
tiefer Verstimmung doch nur vorübergehend gewesen sein; im Wesentlichen
ward bei ihm die Ueberzeugung, daß ein enges Bündniß mit Rußland für
Oestreich heilsam sei, gestützt von wirklich freundschaftlichen Empfindungen
für Katharina. Die Wonne, mit welcher Joseph die persönlichen Verhältnisse
der Kaiserin bespricht, geht offenbar über die Formen gewöhnlicher Courtoisie
hinaus; die lebhafte Erregung, in welcher der sterbende Joseph der Kaiserin
zum letzten Male für ihre Freundschaft dankt, ist mehr als bloße Phrase.
Sie hatte ihn in seinem Schmerz wegen des Aufstandes in den Niederlanden,
wegen der Gefahr von Preußen her, wegen seiner tödtlichen Krankheit zu
trösten versucht. Er antwortete, der Eindruck des Briefes der Kaiserin in
dem Augenblicke, da er von Stunde zu Stunde den Tod erwarte, sei nicht zu
beschreiben. „Man muß so beschaffen sein wie Sie, um alles dies zu fühlen,
zu wollen und zu können, was Sie mir sagen; Ihre Worte sind geheiligt",
ruft er der Kaiserin zu, indem er sie bittet, die für ihn gehegte Freundschaft
auch auf Leopold zu übertragen; es sei ihm dieses ein Trost in seiner schreck¬
lichen Lage. „Nie mehr", schließt Joseph seinen letzten Brief an Katharina,
„werde ich die Schriftzüge Eurer Majestät sehen, welche mich so sehr beglückten,
und ich fühle den ganzen Schmerz, der darin liegt, daß ich zum letzten Male
Sie meiner zärtlichen Freundschaft und hohen Achtung versichern kann."*)

Auch Katharina wußte Joseph's II. ausgezeichnete Eigenschaften zu schätzen,
aber sie warf ihm bisweilen Ueberstürzung. Unüberlegtheit, politischen Dilet¬
tantismus vor. Friedrich der Große hatte wohl die Bemerkung gemacht,
Joseph II. thue oft den zweiten Schritt, ehe er den ersten gethan habe.
Etwas Aehnliches äußerte Katharina über den Kaiser während der Reise im
Jahre 1787. Joseph machte sich viel zu schaffen, war stets früh Morgens
schon auf den Beinen, unternahm allerlei Ausflüge in die Umgegend der
Städte, welche die Reisegesellschaft besuchte und suchte Alles so genau wie
möglich in Augenschein zu nehmen. Der Kaiserin erschien dieses wunderlich.
Sie sagte: „Ich sehe und höre Alles, obgleich ich nicht überall umherlaufe
wie der Kaiser. Er hat viel gelesen und viele Kenntnisse; aber weil er so
streng ist gegen sich selbst, so verlangt er auch von Anderen dieselbe Uner¬
müdlichkeit und eine unmögliche Vollkommenheit.. Katharina erwähnt hier



') Arneth S. 389.
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[0251] muthen lassen könnten. In solchen vertraulichen Handbillets machte er bis¬ weilen dem Unmuthe Luft, wenn die Kaiserin ihn nicht rücksichtsvoll genug behandelte oder ihm seinen Antheil an der bei einer Theilung der Türke? zu erwartenden Beute zu schmälern Miene machte. Einzelne Briefe an die Kaiserin sind der Art, daß wir an Joseph's Bewunderung sür Katharina nicht zu zweifeln vermögen, nur die Plaudereien mit Kaunitz zeigen, daß diese Bewunderung ihre Grenzen hatte. Indessen müssen solche Momente tiefer Verstimmung doch nur vorübergehend gewesen sein; im Wesentlichen ward bei ihm die Ueberzeugung, daß ein enges Bündniß mit Rußland für Oestreich heilsam sei, gestützt von wirklich freundschaftlichen Empfindungen für Katharina. Die Wonne, mit welcher Joseph die persönlichen Verhältnisse der Kaiserin bespricht, geht offenbar über die Formen gewöhnlicher Courtoisie hinaus; die lebhafte Erregung, in welcher der sterbende Joseph der Kaiserin zum letzten Male für ihre Freundschaft dankt, ist mehr als bloße Phrase. Sie hatte ihn in seinem Schmerz wegen des Aufstandes in den Niederlanden, wegen der Gefahr von Preußen her, wegen seiner tödtlichen Krankheit zu trösten versucht. Er antwortete, der Eindruck des Briefes der Kaiserin in dem Augenblicke, da er von Stunde zu Stunde den Tod erwarte, sei nicht zu beschreiben. „Man muß so beschaffen sein wie Sie, um alles dies zu fühlen, zu wollen und zu können, was Sie mir sagen; Ihre Worte sind geheiligt", ruft er der Kaiserin zu, indem er sie bittet, die für ihn gehegte Freundschaft auch auf Leopold zu übertragen; es sei ihm dieses ein Trost in seiner schreck¬ lichen Lage. „Nie mehr", schließt Joseph seinen letzten Brief an Katharina, „werde ich die Schriftzüge Eurer Majestät sehen, welche mich so sehr beglückten, und ich fühle den ganzen Schmerz, der darin liegt, daß ich zum letzten Male Sie meiner zärtlichen Freundschaft und hohen Achtung versichern kann."*) Auch Katharina wußte Joseph's II. ausgezeichnete Eigenschaften zu schätzen, aber sie warf ihm bisweilen Ueberstürzung. Unüberlegtheit, politischen Dilet¬ tantismus vor. Friedrich der Große hatte wohl die Bemerkung gemacht, Joseph II. thue oft den zweiten Schritt, ehe er den ersten gethan habe. Etwas Aehnliches äußerte Katharina über den Kaiser während der Reise im Jahre 1787. Joseph machte sich viel zu schaffen, war stets früh Morgens schon auf den Beinen, unternahm allerlei Ausflüge in die Umgegend der Städte, welche die Reisegesellschaft besuchte und suchte Alles so genau wie möglich in Augenschein zu nehmen. Der Kaiserin erschien dieses wunderlich. Sie sagte: „Ich sehe und höre Alles, obgleich ich nicht überall umherlaufe wie der Kaiser. Er hat viel gelesen und viele Kenntnisse; aber weil er so streng ist gegen sich selbst, so verlangt er auch von Anderen dieselbe Uner¬ müdlichkeit und eine unmögliche Vollkommenheit.. Katharina erwähnt hier ') Arneth S. 389.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/251>, abgerufen am 01.09.2024.