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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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die Unruhen in Ungarn und in den Niederlanden. Ebenso tadelte sie den
Kaiser in einem Briefe an Potemkin vom Anfange des Jahres 1790, worin
sie meldet, der Kaiser klage über den Aufstand in den Niederlanden. Hierin,
sagt sie. könne sie ihn nicht rechtfertigen; wie viele Veränderungen habe es
da unaufhörlich gegeben; bald habe er Freiheiten verliehen, bald sie wieder
entzogen; bei so viel Geist und Kenntnissen habe er doch nicht einen Ver¬
trauten gehabt, der ihm hätte den Rath ertheilen können, die Unterthanen
nicht mit allerlei Spielereien zu reizen: jetzt sterbe er von Allen gehaßt; die
Ungarn hätten doch im Jahre 1740 seine Mutter gerettet; er hätte sie dafür
auf Händen tragen sollen.*)

Wie Joseph, so war auch Katharina von der Ueberzeugung durchdrungen,
daß das Bündniß zwischen Rußland und Oestreich für beide Staaten der
größte Vortheil sei. Solche politische Rücksichten verbanden sich mit der per¬
sönlichen Zuneigung und Freundschaft, welche Katharina für Joseph hegte.
Auch ihre Theilnahme bei seinem Unglück in den Niederlanden, bei seiner
Krankheit, ihr Schmerz bei seinem Tode waren nicht erheuchelt. Aber die
Art. wie sie von ihrer Verehrung für Joseph spricht, wie sie in ihren
Briefen die ärgsten Schmeicheleien häuft, wie sie sich am liebsten in lauter
Superlativen ergeht, ist bisweilen gradezu lächerlich. Joseph sucht sie in
diesen extravaganten Ausdrücken zu überbieten. So hoffen Beide am
leichtesten miteinander zum Ziele zu kommen. Nach jeder Zusammenkunft
und Trennung klagen Beide, wie sie einander vermissen; vor der Reise von
1787 und dem Wiedersehen im Süden von Rußland haschen Beide nach
allerlei Ausdrücken, um ihre Ungeduld und Freude zu bezeichnen; immer
wieder lobt Katharina die Weisheit Joseph's, seine Ausklärung, seine religiöse
Duldung, seine Arbeitskraft, seine väterliche Fürsorge für die Unterthanen;
immer wieder preist Joseph den Ruhm der Kaiserin, ihr Ansehen bei den
Fürsten Europa's, ihre Verdienste um die östreichische Politik; Beide werden
nicht müde zu wiederholen, daß sie einander unaussprechlich, viel verdanken,
daß die Interessen ihrer beiderseitigen Staaten zusammengehen müßten, und
daß ein starkes Bündniß zwischen Oestreich und Rußland zu den glänzendsten
Ergebnissen führen würde.

Man weiß wie Europa, wie namentlich Preußen über dieses Bündniß
dachte, daß man von dieser Seite nichts unversucht ließ, dasselbe zu lockern,
und eifrig darnach strebte, preußischerseits auf den Großfürsten Paul zu
wirken. Es mußte die Aufgabe Joseph's und Katharina's sein, ihrem
Bündniß eine bleibende Dauer auch über ihren Tod hinaus zu geben.
Daher entstand in Katharina und Joseph II. der Wunsch, den Neffen des
letzteren, Franz mit der Schwester der Gemahlin des Großfürsten zu ver-



") Solowjow, Polen" Fall (russisch) S. 200 u. 201.?

die Unruhen in Ungarn und in den Niederlanden. Ebenso tadelte sie den
Kaiser in einem Briefe an Potemkin vom Anfange des Jahres 1790, worin
sie meldet, der Kaiser klage über den Aufstand in den Niederlanden. Hierin,
sagt sie. könne sie ihn nicht rechtfertigen; wie viele Veränderungen habe es
da unaufhörlich gegeben; bald habe er Freiheiten verliehen, bald sie wieder
entzogen; bei so viel Geist und Kenntnissen habe er doch nicht einen Ver¬
trauten gehabt, der ihm hätte den Rath ertheilen können, die Unterthanen
nicht mit allerlei Spielereien zu reizen: jetzt sterbe er von Allen gehaßt; die
Ungarn hätten doch im Jahre 1740 seine Mutter gerettet; er hätte sie dafür
auf Händen tragen sollen.*)

Wie Joseph, so war auch Katharina von der Ueberzeugung durchdrungen,
daß das Bündniß zwischen Rußland und Oestreich für beide Staaten der
größte Vortheil sei. Solche politische Rücksichten verbanden sich mit der per¬
sönlichen Zuneigung und Freundschaft, welche Katharina für Joseph hegte.
Auch ihre Theilnahme bei seinem Unglück in den Niederlanden, bei seiner
Krankheit, ihr Schmerz bei seinem Tode waren nicht erheuchelt. Aber die
Art. wie sie von ihrer Verehrung für Joseph spricht, wie sie in ihren
Briefen die ärgsten Schmeicheleien häuft, wie sie sich am liebsten in lauter
Superlativen ergeht, ist bisweilen gradezu lächerlich. Joseph sucht sie in
diesen extravaganten Ausdrücken zu überbieten. So hoffen Beide am
leichtesten miteinander zum Ziele zu kommen. Nach jeder Zusammenkunft
und Trennung klagen Beide, wie sie einander vermissen; vor der Reise von
1787 und dem Wiedersehen im Süden von Rußland haschen Beide nach
allerlei Ausdrücken, um ihre Ungeduld und Freude zu bezeichnen; immer
wieder lobt Katharina die Weisheit Joseph's, seine Ausklärung, seine religiöse
Duldung, seine Arbeitskraft, seine väterliche Fürsorge für die Unterthanen;
immer wieder preist Joseph den Ruhm der Kaiserin, ihr Ansehen bei den
Fürsten Europa's, ihre Verdienste um die östreichische Politik; Beide werden
nicht müde zu wiederholen, daß sie einander unaussprechlich, viel verdanken,
daß die Interessen ihrer beiderseitigen Staaten zusammengehen müßten, und
daß ein starkes Bündniß zwischen Oestreich und Rußland zu den glänzendsten
Ergebnissen führen würde.

Man weiß wie Europa, wie namentlich Preußen über dieses Bündniß
dachte, daß man von dieser Seite nichts unversucht ließ, dasselbe zu lockern,
und eifrig darnach strebte, preußischerseits auf den Großfürsten Paul zu
wirken. Es mußte die Aufgabe Joseph's und Katharina's sein, ihrem
Bündniß eine bleibende Dauer auch über ihren Tod hinaus zu geben.
Daher entstand in Katharina und Joseph II. der Wunsch, den Neffen des
letzteren, Franz mit der Schwester der Gemahlin des Großfürsten zu ver-



") Solowjow, Polen» Fall (russisch) S. 200 u. 201.?
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[0252] die Unruhen in Ungarn und in den Niederlanden. Ebenso tadelte sie den Kaiser in einem Briefe an Potemkin vom Anfange des Jahres 1790, worin sie meldet, der Kaiser klage über den Aufstand in den Niederlanden. Hierin, sagt sie. könne sie ihn nicht rechtfertigen; wie viele Veränderungen habe es da unaufhörlich gegeben; bald habe er Freiheiten verliehen, bald sie wieder entzogen; bei so viel Geist und Kenntnissen habe er doch nicht einen Ver¬ trauten gehabt, der ihm hätte den Rath ertheilen können, die Unterthanen nicht mit allerlei Spielereien zu reizen: jetzt sterbe er von Allen gehaßt; die Ungarn hätten doch im Jahre 1740 seine Mutter gerettet; er hätte sie dafür auf Händen tragen sollen.*) Wie Joseph, so war auch Katharina von der Ueberzeugung durchdrungen, daß das Bündniß zwischen Rußland und Oestreich für beide Staaten der größte Vortheil sei. Solche politische Rücksichten verbanden sich mit der per¬ sönlichen Zuneigung und Freundschaft, welche Katharina für Joseph hegte. Auch ihre Theilnahme bei seinem Unglück in den Niederlanden, bei seiner Krankheit, ihr Schmerz bei seinem Tode waren nicht erheuchelt. Aber die Art. wie sie von ihrer Verehrung für Joseph spricht, wie sie in ihren Briefen die ärgsten Schmeicheleien häuft, wie sie sich am liebsten in lauter Superlativen ergeht, ist bisweilen gradezu lächerlich. Joseph sucht sie in diesen extravaganten Ausdrücken zu überbieten. So hoffen Beide am leichtesten miteinander zum Ziele zu kommen. Nach jeder Zusammenkunft und Trennung klagen Beide, wie sie einander vermissen; vor der Reise von 1787 und dem Wiedersehen im Süden von Rußland haschen Beide nach allerlei Ausdrücken, um ihre Ungeduld und Freude zu bezeichnen; immer wieder lobt Katharina die Weisheit Joseph's, seine Ausklärung, seine religiöse Duldung, seine Arbeitskraft, seine väterliche Fürsorge für die Unterthanen; immer wieder preist Joseph den Ruhm der Kaiserin, ihr Ansehen bei den Fürsten Europa's, ihre Verdienste um die östreichische Politik; Beide werden nicht müde zu wiederholen, daß sie einander unaussprechlich, viel verdanken, daß die Interessen ihrer beiderseitigen Staaten zusammengehen müßten, und daß ein starkes Bündniß zwischen Oestreich und Rußland zu den glänzendsten Ergebnissen führen würde. Man weiß wie Europa, wie namentlich Preußen über dieses Bündniß dachte, daß man von dieser Seite nichts unversucht ließ, dasselbe zu lockern, und eifrig darnach strebte, preußischerseits auf den Großfürsten Paul zu wirken. Es mußte die Aufgabe Joseph's und Katharina's sein, ihrem Bündniß eine bleibende Dauer auch über ihren Tod hinaus zu geben. Daher entstand in Katharina und Joseph II. der Wunsch, den Neffen des letzteren, Franz mit der Schwester der Gemahlin des Großfürsten zu ver- ") Solowjow, Polen» Fall (russisch) S. 200 u. 201.?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/252>, abgerufen am 06.10.2024.