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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Briefwechsel doch reich an glänzenden Apercu's und zierlicher Grazie. Man
sieht es wohl, daß es beiden Correspondenten um die gegenseitige Hochachtung
und Anerkennung zu thun ist; beide wollen nicht nur zeigen, daß sie den
Geschäften gewachsen sind, sondern auch, daß sie auf den Höhen aufgeklärter
Bildung stehen. Nonchalance in der Behandlung sehr ernster politischer
Fragen, spielende Ironie, boshafter Witz gelten für eine Sache des guten
Tons. Wie Joseph und Katharina sich im Jahre 1787 unmittelbar nach
dem Rausch einer Vergnügungstour im größten Stil, nach ihrer Krimreise,
in die Gefahren des Türkenkrieges stürzten, wie noch im Jahre 1814 und Is
in spielender Weise, bei unaufhörlichem Geräusch von Theater, Bällen und
Auffahrten in Wien über das Schicksal aller Staaten und Völker gehandelt
wurde, so erinnern die Briefe Joseph's und der Kaiserin durchaus an den
Salon, an die Conversation, deren Reiz noch Talleyrand als das höchste
Glück preist, das der Mensch erleben könne. Man witzelt über Papst und
Sultan, man spottet über Friedrich den Großen und die englischen Minister;
man amüsirt sich über die Vielgeschäftigkeit und Berstellungskunst Gustavs III.;
man lacht über die Holländer, über Baiern und den Herzog von Zweibrücken,
und, was das wichtigste zu sein scheint: man macht einander Complimente.

Joseph und Katharina hielten einander für grenzenlos eitel. Durch
starke Schmeicheleien suchte Jeder auf den andern zu wirken. Sie mochten
einander recht hoch stellen, aber in diesem Punkte erschien Jeder dem andern
unsäglich schwach. Wenn Joseph II. im Jahre 1781 den Entwurf eines
Briefes an die Kaiserin dem Fürsten Kaunitz zur Begutachtung zusendet, be¬
merkt er: "Man darf nicht vergessen, daß man es mit einer Frau zu thun
hat, die um Rußlands Wohl sich ebensowenig kümmert als ich; man muß sie
also krauen (ainsi it kaut la ora,toui11er) . . Ihre Eitelkeit ist ihr Götze; ihr
rasendes Glück so wie der Wetteifer ganz Europas in übertriebenen Huldi¬
gungen für sie haben sie verdorben. Man muß schon mit den Wölfen
heulen, wenn nur das Gute geschieht, liegt wenig an der Form, in welcher
man es erreicht."") Das "Gute", welches Joseph II. durch solche Mittel
zu erreichen hoffte, war aber der Abschluß eines Vertrages zum Zweck
einer Theilung der Türkei. Nicht ohne Cynismus wurden solche Geschäfte
betrieben.

Die Zettel, welche Joseph II, häufig an den Fürsten Kaunitz zu richten
pflegte und welche Herr von Arneth bisweilen in Anmerkungen mittheilt,
sind von großem Werthe. Sie lassen uns einen Blick thun in die Stim¬
mungen des Kaisers, der durchaus nicht immer so entzückt war von der
Kaiserin, als die glatte Form und die schönen Phrasen seiner Briefe ver-



-) S. 3S. bei Arueth.

Briefwechsel doch reich an glänzenden Apercu's und zierlicher Grazie. Man
sieht es wohl, daß es beiden Correspondenten um die gegenseitige Hochachtung
und Anerkennung zu thun ist; beide wollen nicht nur zeigen, daß sie den
Geschäften gewachsen sind, sondern auch, daß sie auf den Höhen aufgeklärter
Bildung stehen. Nonchalance in der Behandlung sehr ernster politischer
Fragen, spielende Ironie, boshafter Witz gelten für eine Sache des guten
Tons. Wie Joseph und Katharina sich im Jahre 1787 unmittelbar nach
dem Rausch einer Vergnügungstour im größten Stil, nach ihrer Krimreise,
in die Gefahren des Türkenkrieges stürzten, wie noch im Jahre 1814 und Is
in spielender Weise, bei unaufhörlichem Geräusch von Theater, Bällen und
Auffahrten in Wien über das Schicksal aller Staaten und Völker gehandelt
wurde, so erinnern die Briefe Joseph's und der Kaiserin durchaus an den
Salon, an die Conversation, deren Reiz noch Talleyrand als das höchste
Glück preist, das der Mensch erleben könne. Man witzelt über Papst und
Sultan, man spottet über Friedrich den Großen und die englischen Minister;
man amüsirt sich über die Vielgeschäftigkeit und Berstellungskunst Gustavs III.;
man lacht über die Holländer, über Baiern und den Herzog von Zweibrücken,
und, was das wichtigste zu sein scheint: man macht einander Complimente.

Joseph und Katharina hielten einander für grenzenlos eitel. Durch
starke Schmeicheleien suchte Jeder auf den andern zu wirken. Sie mochten
einander recht hoch stellen, aber in diesem Punkte erschien Jeder dem andern
unsäglich schwach. Wenn Joseph II. im Jahre 1781 den Entwurf eines
Briefes an die Kaiserin dem Fürsten Kaunitz zur Begutachtung zusendet, be¬
merkt er: „Man darf nicht vergessen, daß man es mit einer Frau zu thun
hat, die um Rußlands Wohl sich ebensowenig kümmert als ich; man muß sie
also krauen (ainsi it kaut la ora,toui11er) . . Ihre Eitelkeit ist ihr Götze; ihr
rasendes Glück so wie der Wetteifer ganz Europas in übertriebenen Huldi¬
gungen für sie haben sie verdorben. Man muß schon mit den Wölfen
heulen, wenn nur das Gute geschieht, liegt wenig an der Form, in welcher
man es erreicht."") Das „Gute", welches Joseph II. durch solche Mittel
zu erreichen hoffte, war aber der Abschluß eines Vertrages zum Zweck
einer Theilung der Türkei. Nicht ohne Cynismus wurden solche Geschäfte
betrieben.

Die Zettel, welche Joseph II, häufig an den Fürsten Kaunitz zu richten
pflegte und welche Herr von Arneth bisweilen in Anmerkungen mittheilt,
sind von großem Werthe. Sie lassen uns einen Blick thun in die Stim¬
mungen des Kaisers, der durchaus nicht immer so entzückt war von der
Kaiserin, als die glatte Form und die schönen Phrasen seiner Briefe ver-



-) S. 3S. bei Arueth.
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[0250] Briefwechsel doch reich an glänzenden Apercu's und zierlicher Grazie. Man sieht es wohl, daß es beiden Correspondenten um die gegenseitige Hochachtung und Anerkennung zu thun ist; beide wollen nicht nur zeigen, daß sie den Geschäften gewachsen sind, sondern auch, daß sie auf den Höhen aufgeklärter Bildung stehen. Nonchalance in der Behandlung sehr ernster politischer Fragen, spielende Ironie, boshafter Witz gelten für eine Sache des guten Tons. Wie Joseph und Katharina sich im Jahre 1787 unmittelbar nach dem Rausch einer Vergnügungstour im größten Stil, nach ihrer Krimreise, in die Gefahren des Türkenkrieges stürzten, wie noch im Jahre 1814 und Is in spielender Weise, bei unaufhörlichem Geräusch von Theater, Bällen und Auffahrten in Wien über das Schicksal aller Staaten und Völker gehandelt wurde, so erinnern die Briefe Joseph's und der Kaiserin durchaus an den Salon, an die Conversation, deren Reiz noch Talleyrand als das höchste Glück preist, das der Mensch erleben könne. Man witzelt über Papst und Sultan, man spottet über Friedrich den Großen und die englischen Minister; man amüsirt sich über die Vielgeschäftigkeit und Berstellungskunst Gustavs III.; man lacht über die Holländer, über Baiern und den Herzog von Zweibrücken, und, was das wichtigste zu sein scheint: man macht einander Complimente. Joseph und Katharina hielten einander für grenzenlos eitel. Durch starke Schmeicheleien suchte Jeder auf den andern zu wirken. Sie mochten einander recht hoch stellen, aber in diesem Punkte erschien Jeder dem andern unsäglich schwach. Wenn Joseph II. im Jahre 1781 den Entwurf eines Briefes an die Kaiserin dem Fürsten Kaunitz zur Begutachtung zusendet, be¬ merkt er: „Man darf nicht vergessen, daß man es mit einer Frau zu thun hat, die um Rußlands Wohl sich ebensowenig kümmert als ich; man muß sie also krauen (ainsi it kaut la ora,toui11er) . . Ihre Eitelkeit ist ihr Götze; ihr rasendes Glück so wie der Wetteifer ganz Europas in übertriebenen Huldi¬ gungen für sie haben sie verdorben. Man muß schon mit den Wölfen heulen, wenn nur das Gute geschieht, liegt wenig an der Form, in welcher man es erreicht."") Das „Gute", welches Joseph II. durch solche Mittel zu erreichen hoffte, war aber der Abschluß eines Vertrages zum Zweck einer Theilung der Türkei. Nicht ohne Cynismus wurden solche Geschäfte betrieben. Die Zettel, welche Joseph II, häufig an den Fürsten Kaunitz zu richten pflegte und welche Herr von Arneth bisweilen in Anmerkungen mittheilt, sind von großem Werthe. Sie lassen uns einen Blick thun in die Stim¬ mungen des Kaisers, der durchaus nicht immer so entzückt war von der Kaiserin, als die glatte Form und die schönen Phrasen seiner Briefe ver- -) S. 3S. bei Arueth.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/250>, abgerufen am 18.12.2024.