Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

leistete, und an Ludwigs Eitelkeit sich wendend , der in Allem ein Halbgott
sein wollte, geht Leibnizens nächstes Bestreben darauf, ihn gerade in diesen
Friedenswerken zu bestärken, und diese Bahn als diejenige zu bezeichnen, auf
der ihm noch reiche neue Lorbeeren winken, nachdem er aus dem Schlachtfeld
die Palme längst davongetragen. Dies gibt den Schlüssel für verschiedene
Gedichte und Aufsätze dieser Zeit, in welchen Leibniz sich an Frankreich und
Ludwig wendet, und die. wenn man seine schriftstellerische Thätigkeit im
Ganzen überblickt, in der That unmöglich mißverstanden werden können.
Sie sind eingegeben von der ernstlichen Sorge für Deutschland, dessen
Schwächen er genugsam erprobt hatte, und von dem redlichen Bestreben,
daß Ludwig seine unbestreitbare Machtstellung Krs allgemeine Wohl und
sein eigenes besser anwenden möge, als er that. Selbst vor dem gewagten
Gedanken. Ludwig sich als Haupt der europäischen Geistesarbeit vorzustellen,
schreckte er in dieser Zeit nicht zurück. Er machte hier Vorschläge, die er
kurze Zeit darauf wesentlich an die Idee einer deutschen Academie knüpfte.

Doch nur. solang der Friede währte, führte der unverwüstliche kosmo¬
politische Sinn in ihm die Herrschaft. Bald genug steht er wieder in den
Reihen der Gegner Ludwigs. Der spanische Erbfolgekrieg ruft ihn aufs Neue
nicht blos zur Feder, sondern auch zu lebendiger persönlicher Theilnahme.
Zu Anfang und zu Ende dieses Kriegs befindet er sich in voller Thätigkeit
zu Wien. Die Schriften, welche dieser Zeit angehören, füllen -- allerdings
ganz ungeordnet -- bei Foucher de Careil nicht weniger als 1'/- Bände.
Gemeinsam ist ihnen allen das Bemühen, die europäischen Mächte zu un¬
zertrennlicher Gesammttheilnahme an dem Kampf zu ermuntern, da ja auch
die Gefahr schließlich einem Jeden mittelbar oder unmittelbar drohe. Eins
seiner Gedichte aus dem Jahr 1702, an dem freilich weniger die Poesie als
die Gesinnung zu loben ist. schließt mit den Worten -
.


Nun ist es hohe Zeit und auf das Höchste kommen,
Soll anders uns der Trost nicht gänzlich sein benommen.
Es kommt auf Freiheit nun und aufs Gewissen an,
Da wagt das Leben selbst ein rechter Biedermann.
Es ist nach Gottes Rath; will der sich bei uns stellen.
So kann ein Strahl von ihm die große Rüstung fällen.
Und soll's verloren sein, so bleibt das höchste Gut
Dem, der vor's Vaterland und Gott vergießt das Blut!

Schon im Jahre 1701 richtete Leibniz eine "Denkschrift über politische
Sachen" an den Kaiser, um ihm ans Herz zu legen, daß Frankreich keine
weiteren Bündnisse im Reich schließe, wie dies bereits mit Bayern und Köln
geschehen. Gleichzeitig wendet er sich w eigenen Schriften an Venedig, an


3"

leistete, und an Ludwigs Eitelkeit sich wendend , der in Allem ein Halbgott
sein wollte, geht Leibnizens nächstes Bestreben darauf, ihn gerade in diesen
Friedenswerken zu bestärken, und diese Bahn als diejenige zu bezeichnen, auf
der ihm noch reiche neue Lorbeeren winken, nachdem er aus dem Schlachtfeld
die Palme längst davongetragen. Dies gibt den Schlüssel für verschiedene
Gedichte und Aufsätze dieser Zeit, in welchen Leibniz sich an Frankreich und
Ludwig wendet, und die. wenn man seine schriftstellerische Thätigkeit im
Ganzen überblickt, in der That unmöglich mißverstanden werden können.
Sie sind eingegeben von der ernstlichen Sorge für Deutschland, dessen
Schwächen er genugsam erprobt hatte, und von dem redlichen Bestreben,
daß Ludwig seine unbestreitbare Machtstellung Krs allgemeine Wohl und
sein eigenes besser anwenden möge, als er that. Selbst vor dem gewagten
Gedanken. Ludwig sich als Haupt der europäischen Geistesarbeit vorzustellen,
schreckte er in dieser Zeit nicht zurück. Er machte hier Vorschläge, die er
kurze Zeit darauf wesentlich an die Idee einer deutschen Academie knüpfte.

Doch nur. solang der Friede währte, führte der unverwüstliche kosmo¬
politische Sinn in ihm die Herrschaft. Bald genug steht er wieder in den
Reihen der Gegner Ludwigs. Der spanische Erbfolgekrieg ruft ihn aufs Neue
nicht blos zur Feder, sondern auch zu lebendiger persönlicher Theilnahme.
Zu Anfang und zu Ende dieses Kriegs befindet er sich in voller Thätigkeit
zu Wien. Die Schriften, welche dieser Zeit angehören, füllen — allerdings
ganz ungeordnet — bei Foucher de Careil nicht weniger als 1'/- Bände.
Gemeinsam ist ihnen allen das Bemühen, die europäischen Mächte zu un¬
zertrennlicher Gesammttheilnahme an dem Kampf zu ermuntern, da ja auch
die Gefahr schließlich einem Jeden mittelbar oder unmittelbar drohe. Eins
seiner Gedichte aus dem Jahr 1702, an dem freilich weniger die Poesie als
die Gesinnung zu loben ist. schließt mit den Worten -
.


Nun ist es hohe Zeit und auf das Höchste kommen,
Soll anders uns der Trost nicht gänzlich sein benommen.
Es kommt auf Freiheit nun und aufs Gewissen an,
Da wagt das Leben selbst ein rechter Biedermann.
Es ist nach Gottes Rath; will der sich bei uns stellen.
So kann ein Strahl von ihm die große Rüstung fällen.
Und soll's verloren sein, so bleibt das höchste Gut
Dem, der vor's Vaterland und Gott vergießt das Blut!

Schon im Jahre 1701 richtete Leibniz eine „Denkschrift über politische
Sachen" an den Kaiser, um ihm ans Herz zu legen, daß Frankreich keine
weiteren Bündnisse im Reich schließe, wie dies bereits mit Bayern und Köln
geschehen. Gleichzeitig wendet er sich w eigenen Schriften an Venedig, an


3"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0025" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123645"/>
          <p xml:id="ID_47" prev="#ID_46"> leistete, und an Ludwigs Eitelkeit sich wendend , der in Allem ein Halbgott<lb/>
sein wollte, geht Leibnizens nächstes Bestreben darauf, ihn gerade in diesen<lb/>
Friedenswerken zu bestärken, und diese Bahn als diejenige zu bezeichnen, auf<lb/>
der ihm noch reiche neue Lorbeeren winken, nachdem er aus dem Schlachtfeld<lb/>
die Palme längst davongetragen. Dies gibt den Schlüssel für verschiedene<lb/>
Gedichte und Aufsätze dieser Zeit, in welchen Leibniz sich an Frankreich und<lb/>
Ludwig wendet, und die. wenn man seine schriftstellerische Thätigkeit im<lb/>
Ganzen überblickt, in der That unmöglich mißverstanden werden können.<lb/>
Sie sind eingegeben von der ernstlichen Sorge für Deutschland, dessen<lb/>
Schwächen er genugsam erprobt hatte, und von dem redlichen Bestreben,<lb/>
daß Ludwig seine unbestreitbare Machtstellung Krs allgemeine Wohl und<lb/>
sein eigenes besser anwenden möge, als er that. Selbst vor dem gewagten<lb/>
Gedanken. Ludwig sich als Haupt der europäischen Geistesarbeit vorzustellen,<lb/>
schreckte er in dieser Zeit nicht zurück. Er machte hier Vorschläge, die er<lb/>
kurze Zeit darauf wesentlich an die Idee einer deutschen Academie knüpfte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_48"> Doch nur. solang der Friede währte, führte der unverwüstliche kosmo¬<lb/>
politische Sinn in ihm die Herrschaft. Bald genug steht er wieder in den<lb/>
Reihen der Gegner Ludwigs. Der spanische Erbfolgekrieg ruft ihn aufs Neue<lb/>
nicht blos zur Feder, sondern auch zu lebendiger persönlicher Theilnahme.<lb/>
Zu Anfang und zu Ende dieses Kriegs befindet er sich in voller Thätigkeit<lb/>
zu Wien. Die Schriften, welche dieser Zeit angehören, füllen &#x2014; allerdings<lb/>
ganz ungeordnet &#x2014; bei Foucher de Careil nicht weniger als 1'/- Bände.<lb/>
Gemeinsam ist ihnen allen das Bemühen, die europäischen Mächte zu un¬<lb/>
zertrennlicher Gesammttheilnahme an dem Kampf zu ermuntern, da ja auch<lb/>
die Gefahr schließlich einem Jeden mittelbar oder unmittelbar drohe. Eins<lb/>
seiner Gedichte aus dem Jahr 1702, an dem freilich weniger die Poesie als<lb/>
die Gesinnung zu loben ist. schließt mit den Worten -<lb/>
.</p><lb/>
          <quote> Nun ist es hohe Zeit und auf das Höchste kommen,<lb/>
Soll anders uns der Trost nicht gänzlich sein benommen.<lb/>
Es kommt auf Freiheit nun und aufs Gewissen an,<lb/>
Da wagt das Leben selbst ein rechter Biedermann.<lb/>
Es ist nach Gottes Rath; will der sich bei uns stellen.<lb/>
So kann ein Strahl von ihm die große Rüstung fällen.<lb/>
Und soll's verloren sein, so bleibt das höchste Gut<lb/>
Dem, der vor's Vaterland und Gott vergießt das Blut!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_49" next="#ID_50"> Schon im Jahre 1701 richtete Leibniz eine &#x201E;Denkschrift über politische<lb/>
Sachen" an den Kaiser, um ihm ans Herz zu legen, daß Frankreich keine<lb/>
weiteren Bündnisse im Reich schließe, wie dies bereits mit Bayern und Köln<lb/>
geschehen.  Gleichzeitig wendet er sich w eigenen Schriften an Venedig, an</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 3"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] leistete, und an Ludwigs Eitelkeit sich wendend , der in Allem ein Halbgott sein wollte, geht Leibnizens nächstes Bestreben darauf, ihn gerade in diesen Friedenswerken zu bestärken, und diese Bahn als diejenige zu bezeichnen, auf der ihm noch reiche neue Lorbeeren winken, nachdem er aus dem Schlachtfeld die Palme längst davongetragen. Dies gibt den Schlüssel für verschiedene Gedichte und Aufsätze dieser Zeit, in welchen Leibniz sich an Frankreich und Ludwig wendet, und die. wenn man seine schriftstellerische Thätigkeit im Ganzen überblickt, in der That unmöglich mißverstanden werden können. Sie sind eingegeben von der ernstlichen Sorge für Deutschland, dessen Schwächen er genugsam erprobt hatte, und von dem redlichen Bestreben, daß Ludwig seine unbestreitbare Machtstellung Krs allgemeine Wohl und sein eigenes besser anwenden möge, als er that. Selbst vor dem gewagten Gedanken. Ludwig sich als Haupt der europäischen Geistesarbeit vorzustellen, schreckte er in dieser Zeit nicht zurück. Er machte hier Vorschläge, die er kurze Zeit darauf wesentlich an die Idee einer deutschen Academie knüpfte. Doch nur. solang der Friede währte, führte der unverwüstliche kosmo¬ politische Sinn in ihm die Herrschaft. Bald genug steht er wieder in den Reihen der Gegner Ludwigs. Der spanische Erbfolgekrieg ruft ihn aufs Neue nicht blos zur Feder, sondern auch zu lebendiger persönlicher Theilnahme. Zu Anfang und zu Ende dieses Kriegs befindet er sich in voller Thätigkeit zu Wien. Die Schriften, welche dieser Zeit angehören, füllen — allerdings ganz ungeordnet — bei Foucher de Careil nicht weniger als 1'/- Bände. Gemeinsam ist ihnen allen das Bemühen, die europäischen Mächte zu un¬ zertrennlicher Gesammttheilnahme an dem Kampf zu ermuntern, da ja auch die Gefahr schließlich einem Jeden mittelbar oder unmittelbar drohe. Eins seiner Gedichte aus dem Jahr 1702, an dem freilich weniger die Poesie als die Gesinnung zu loben ist. schließt mit den Worten - . Nun ist es hohe Zeit und auf das Höchste kommen, Soll anders uns der Trost nicht gänzlich sein benommen. Es kommt auf Freiheit nun und aufs Gewissen an, Da wagt das Leben selbst ein rechter Biedermann. Es ist nach Gottes Rath; will der sich bei uns stellen. So kann ein Strahl von ihm die große Rüstung fällen. Und soll's verloren sein, so bleibt das höchste Gut Dem, der vor's Vaterland und Gott vergießt das Blut! Schon im Jahre 1701 richtete Leibniz eine „Denkschrift über politische Sachen" an den Kaiser, um ihm ans Herz zu legen, daß Frankreich keine weiteren Bündnisse im Reich schließe, wie dies bereits mit Bayern und Köln geschehen. Gleichzeitig wendet er sich w eigenen Schriften an Venedig, an 3"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/25
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/25>, abgerufen am 27.07.2024.