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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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verdienen wir Deutsche, die in der schwersten Gefahr Zeit haben für Lumpen¬
sragen, weiß nicht worüber, die niemals etwas zur rechten Zeit thun können.
Wir hätten selbst mit viel mehr Schneide und Wucht angreifen, hätten die
Holländer und Engländer in ihrer Bedrängniß kräftiger unterstützen sollen,
wollten wir bei" Friedensschluß nicht zu kurz kommen. Die Deutschen
hätten mehr leisten können, sie hätten auf den Verfasser des vor einigen Jah¬
ren erschienenen Büchleins "Auch vom Feinde darf man lernen" (eben jene
Leibnizische Schrift von der Geschwinden Kriegsverfassung) hören sollen.
Allerdings sind die zwei tröstlichen Ereignisse nicht zu verachten, die Nieder¬
lage der Türken und die Erfolge des neuen Polenkönigs. Aber wir Deutschen
sind nur zu geneigt, uns solchen Tröstungen hinzugeben und die alten Schä¬
den zu vergessen; das möchte recht gut sein, wenn wir nicht wieder in die
frühere Erstarrung zurücksänken. Ich fürchte in der That, daß diese glück¬
lichen Ereignisse die Todeswunde nicht heilen, welche nuk dieser über alle
Maßen unbillige Frieden geschlagen. Ist der Oberrhein verloren, so ist klar,
daß ein großer Theil Deutschlands dem Fremden doch nicht entrinnen kann;
es steht zu fürchten, daß das Uebel weiter frißt." Und im December 1698
nach dem Frieden: "So oft ich den gefährlichen Stand der Dinge und da¬
gegen unsere dermalige Schläfrigkeit und Kopflosigkeit erwäge, so oft schäme
ich mich für uns vor der Nachwelt. Ums Große unbekümmert, streiten wir
uns um des Kaisers Bart. Dies macht, daß "s mich beinahe anekelt, an
unsere dermalige Geschichte auch nur zu denken. So sehr bestätigen wir
Deutsche durch?unser Handeln die schlimmen Urtheile, welche das Ausland
über uns fällt."

Unter den Eindrücken dieses Friedens wandte sich Leibniz in den nächsten
Jahren vorzugsweise inneren deutschen Fragen und friedlichen Interessen zu.
In diese Zeit fallen feine Bestrebungen, das hannoversche Erstgeburtsrecht
festzustellen, und durch Erlangung des Kurhuts für Hannover einen Ersatz
für die geschwächten und ganz unter französischem Einfluß stehenden west-
nnd südwestlichen Kurfürstenthümer zu gewinnen. Um eben diese Zeit strebte
er mehr und mehr nach dem Berliner Hof hin, um dort einen festen Kern¬
punkt inmitten der allgemeinen Zerfahrenheit zu finden, um hier besonders
seine gewaltigen Bestrebungen in Sachen der Kircheneinigung, der Bildung
und Aufklärung zu verwirklichen. Die schönste Frucht dieser Bemühungen
ist die Gründung der Berliner Academie, mit ihren weittragenden, hoch Wer
bloße Stubengelehrsamkeit hinausragenden Plänen und Zielen.

Auch von Frankreich hoffte jetzt Leibniz, nachdem es die Höhe seines
Ruhmes, erreicht, eine Friedensaera, wenigstens wünschte er sie. ES sollte
jetzt, übersättigt vom Kriegsruhm. einmal dem Friedensruhm sich zuwenden.
Anknüpfend den das wirklich Große, was damals die französische Literatur


verdienen wir Deutsche, die in der schwersten Gefahr Zeit haben für Lumpen¬
sragen, weiß nicht worüber, die niemals etwas zur rechten Zeit thun können.
Wir hätten selbst mit viel mehr Schneide und Wucht angreifen, hätten die
Holländer und Engländer in ihrer Bedrängniß kräftiger unterstützen sollen,
wollten wir bei« Friedensschluß nicht zu kurz kommen. Die Deutschen
hätten mehr leisten können, sie hätten auf den Verfasser des vor einigen Jah¬
ren erschienenen Büchleins „Auch vom Feinde darf man lernen" (eben jene
Leibnizische Schrift von der Geschwinden Kriegsverfassung) hören sollen.
Allerdings sind die zwei tröstlichen Ereignisse nicht zu verachten, die Nieder¬
lage der Türken und die Erfolge des neuen Polenkönigs. Aber wir Deutschen
sind nur zu geneigt, uns solchen Tröstungen hinzugeben und die alten Schä¬
den zu vergessen; das möchte recht gut sein, wenn wir nicht wieder in die
frühere Erstarrung zurücksänken. Ich fürchte in der That, daß diese glück¬
lichen Ereignisse die Todeswunde nicht heilen, welche nuk dieser über alle
Maßen unbillige Frieden geschlagen. Ist der Oberrhein verloren, so ist klar,
daß ein großer Theil Deutschlands dem Fremden doch nicht entrinnen kann;
es steht zu fürchten, daß das Uebel weiter frißt." Und im December 1698
nach dem Frieden: „So oft ich den gefährlichen Stand der Dinge und da¬
gegen unsere dermalige Schläfrigkeit und Kopflosigkeit erwäge, so oft schäme
ich mich für uns vor der Nachwelt. Ums Große unbekümmert, streiten wir
uns um des Kaisers Bart. Dies macht, daß «s mich beinahe anekelt, an
unsere dermalige Geschichte auch nur zu denken. So sehr bestätigen wir
Deutsche durch?unser Handeln die schlimmen Urtheile, welche das Ausland
über uns fällt."

Unter den Eindrücken dieses Friedens wandte sich Leibniz in den nächsten
Jahren vorzugsweise inneren deutschen Fragen und friedlichen Interessen zu.
In diese Zeit fallen feine Bestrebungen, das hannoversche Erstgeburtsrecht
festzustellen, und durch Erlangung des Kurhuts für Hannover einen Ersatz
für die geschwächten und ganz unter französischem Einfluß stehenden west-
nnd südwestlichen Kurfürstenthümer zu gewinnen. Um eben diese Zeit strebte
er mehr und mehr nach dem Berliner Hof hin, um dort einen festen Kern¬
punkt inmitten der allgemeinen Zerfahrenheit zu finden, um hier besonders
seine gewaltigen Bestrebungen in Sachen der Kircheneinigung, der Bildung
und Aufklärung zu verwirklichen. Die schönste Frucht dieser Bemühungen
ist die Gründung der Berliner Academie, mit ihren weittragenden, hoch Wer
bloße Stubengelehrsamkeit hinausragenden Plänen und Zielen.

Auch von Frankreich hoffte jetzt Leibniz, nachdem es die Höhe seines
Ruhmes, erreicht, eine Friedensaera, wenigstens wünschte er sie. ES sollte
jetzt, übersättigt vom Kriegsruhm. einmal dem Friedensruhm sich zuwenden.
Anknüpfend den das wirklich Große, was damals die französische Literatur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/24>, abgerufen am 27.07.2024.