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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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schiedenen einer strengen Gesammtleitung entbehrenden Truppentheile abzu¬
stellen. Dieser Punkt macht die Schrift historisch besonders interessant, denn
sie gewährt einen deutlichen Einblick in das durch den dreißigjährigen Krieg
verwilderte und verrohte Soldatenwesen. Auch fehlt es nicht an eindring¬
lichen Ermahnungen an den Wiener Hof, die Sache des Reichs nicht mehr
nur so gelegentlich (pg,r mamöre ä'aeiuit) neben den ungarischen Dingen zu
behandeln. Der rastlos erfinderische Geist Leibnizens macht Streifzüge selbst
in die eigentliche Strategie, indem er im Jahr 1692 den Plan einer Landung
in Biscaya erörtert: "kroßst ac äeseeute en Lisch^k", um den Seesieg der
Engländer bei la Hogue gründlich auszunützen.

Was Leibniz für den Fall fortdauernder Halbheit und Schläfrigkeit vor¬
ausgesagt hatte, konnte nicht ausbleiben. Das Grundübel sah er in der
Vielstaaterei. Im Januar 1693 schrieb er an seinen Freund Ludolf in Wien:
"Es ist, wie Du sagst, daß man im Reich nicht verfährt, wie sichs gehört.
Aber ich sehe auch kaum ab, wie dies bei der großen Menge von Fürsten
und Herrn anders sein kann. Die Maschine ist zu verwickelt, so daß sie gar
leicht versagt. Möchten doch wenigstens die Mächtigeren sich des Allgemeinen
annehmen, statt nach einigen elenden Vortheilchen für sich oder vielmehr für
ihre Leute zu haschen. Möchten sie das Wohl ihrer Bundesgenossen für so
wichtig erachten, wie das ,eigene; nur so ist das Vaterland zu retten. Denn
wo es sich um Sein oder Nichtsein, um Selbständigkeit und Freiheit handelt,
ist es ja wahnwitzig, erbärmlichen Kleinigkeiten nachzujagen." -- Das Ende
war der Rvßwicker Friede im Jahr 1698, der Straßburg und die elsäßischen
Reunionen für immer dem Gegner überlieferte. Aus der Zeit der Ryßwicker
Unterhandlungen waren bis jetzt keine Schriften von Leibniz bekannt. Die
Ausgabe von Ouro Klopp geht, so weit sie vorliegt, nur bis ins Jahr
1688--1689. Pfleiderer aber weiß diese empfindliche Lücke wieder durch ein
Paar Schriften auszufüllen, welche zeigen, daß Leibniz auch in dieser Zeit auf
seinem Freiwilligenposten stand und das Mögliche that, um die Schmach
abzuwenden. Diese Schriften gehen unmittelbar gegen den beabsichtigten
Friedensschluß und weisen die schwere Schädigung nach, welche Deutschland
und mittelbar Europa durch seine Bedingungen erleiden würde. Es ist ins¬
besondere die Herausgabe von Straßburg und Luxemburg, dem "Hauptschlüssel"
Deutschlands gegen Frankreich, die Leibniz nachdrücklich verlangt. Wie ihm
persönlich vor und nach diesem demüthigenden Frieden zu Muthe war, ersieht
man weniger aus diesen wesentlich staatsmännischen Schriften, als aus den
Privatbriefen, die er in dieser Zeit an seinen Freund Ludolf schrieb. So in
einem Brief aus dem Jahr 1697: "Ich kann gar nicht sagen, wie mich die
Nachricht ergrissen hat, daß wir Straßburg für immer verlieren sollen. Aber das


Grenzbotin II. 1870. 2

schiedenen einer strengen Gesammtleitung entbehrenden Truppentheile abzu¬
stellen. Dieser Punkt macht die Schrift historisch besonders interessant, denn
sie gewährt einen deutlichen Einblick in das durch den dreißigjährigen Krieg
verwilderte und verrohte Soldatenwesen. Auch fehlt es nicht an eindring¬
lichen Ermahnungen an den Wiener Hof, die Sache des Reichs nicht mehr
nur so gelegentlich (pg,r mamöre ä'aeiuit) neben den ungarischen Dingen zu
behandeln. Der rastlos erfinderische Geist Leibnizens macht Streifzüge selbst
in die eigentliche Strategie, indem er im Jahr 1692 den Plan einer Landung
in Biscaya erörtert: „kroßst ac äeseeute en Lisch^k", um den Seesieg der
Engländer bei la Hogue gründlich auszunützen.

Was Leibniz für den Fall fortdauernder Halbheit und Schläfrigkeit vor¬
ausgesagt hatte, konnte nicht ausbleiben. Das Grundübel sah er in der
Vielstaaterei. Im Januar 1693 schrieb er an seinen Freund Ludolf in Wien:
„Es ist, wie Du sagst, daß man im Reich nicht verfährt, wie sichs gehört.
Aber ich sehe auch kaum ab, wie dies bei der großen Menge von Fürsten
und Herrn anders sein kann. Die Maschine ist zu verwickelt, so daß sie gar
leicht versagt. Möchten doch wenigstens die Mächtigeren sich des Allgemeinen
annehmen, statt nach einigen elenden Vortheilchen für sich oder vielmehr für
ihre Leute zu haschen. Möchten sie das Wohl ihrer Bundesgenossen für so
wichtig erachten, wie das ,eigene; nur so ist das Vaterland zu retten. Denn
wo es sich um Sein oder Nichtsein, um Selbständigkeit und Freiheit handelt,
ist es ja wahnwitzig, erbärmlichen Kleinigkeiten nachzujagen." — Das Ende
war der Rvßwicker Friede im Jahr 1698, der Straßburg und die elsäßischen
Reunionen für immer dem Gegner überlieferte. Aus der Zeit der Ryßwicker
Unterhandlungen waren bis jetzt keine Schriften von Leibniz bekannt. Die
Ausgabe von Ouro Klopp geht, so weit sie vorliegt, nur bis ins Jahr
1688—1689. Pfleiderer aber weiß diese empfindliche Lücke wieder durch ein
Paar Schriften auszufüllen, welche zeigen, daß Leibniz auch in dieser Zeit auf
seinem Freiwilligenposten stand und das Mögliche that, um die Schmach
abzuwenden. Diese Schriften gehen unmittelbar gegen den beabsichtigten
Friedensschluß und weisen die schwere Schädigung nach, welche Deutschland
und mittelbar Europa durch seine Bedingungen erleiden würde. Es ist ins¬
besondere die Herausgabe von Straßburg und Luxemburg, dem „Hauptschlüssel"
Deutschlands gegen Frankreich, die Leibniz nachdrücklich verlangt. Wie ihm
persönlich vor und nach diesem demüthigenden Frieden zu Muthe war, ersieht
man weniger aus diesen wesentlich staatsmännischen Schriften, als aus den
Privatbriefen, die er in dieser Zeit an seinen Freund Ludolf schrieb. So in
einem Brief aus dem Jahr 1697: „Ich kann gar nicht sagen, wie mich die
Nachricht ergrissen hat, daß wir Straßburg für immer verlieren sollen. Aber das


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[0023] schiedenen einer strengen Gesammtleitung entbehrenden Truppentheile abzu¬ stellen. Dieser Punkt macht die Schrift historisch besonders interessant, denn sie gewährt einen deutlichen Einblick in das durch den dreißigjährigen Krieg verwilderte und verrohte Soldatenwesen. Auch fehlt es nicht an eindring¬ lichen Ermahnungen an den Wiener Hof, die Sache des Reichs nicht mehr nur so gelegentlich (pg,r mamöre ä'aeiuit) neben den ungarischen Dingen zu behandeln. Der rastlos erfinderische Geist Leibnizens macht Streifzüge selbst in die eigentliche Strategie, indem er im Jahr 1692 den Plan einer Landung in Biscaya erörtert: „kroßst ac äeseeute en Lisch^k", um den Seesieg der Engländer bei la Hogue gründlich auszunützen. Was Leibniz für den Fall fortdauernder Halbheit und Schläfrigkeit vor¬ ausgesagt hatte, konnte nicht ausbleiben. Das Grundübel sah er in der Vielstaaterei. Im Januar 1693 schrieb er an seinen Freund Ludolf in Wien: „Es ist, wie Du sagst, daß man im Reich nicht verfährt, wie sichs gehört. Aber ich sehe auch kaum ab, wie dies bei der großen Menge von Fürsten und Herrn anders sein kann. Die Maschine ist zu verwickelt, so daß sie gar leicht versagt. Möchten doch wenigstens die Mächtigeren sich des Allgemeinen annehmen, statt nach einigen elenden Vortheilchen für sich oder vielmehr für ihre Leute zu haschen. Möchten sie das Wohl ihrer Bundesgenossen für so wichtig erachten, wie das ,eigene; nur so ist das Vaterland zu retten. Denn wo es sich um Sein oder Nichtsein, um Selbständigkeit und Freiheit handelt, ist es ja wahnwitzig, erbärmlichen Kleinigkeiten nachzujagen." — Das Ende war der Rvßwicker Friede im Jahr 1698, der Straßburg und die elsäßischen Reunionen für immer dem Gegner überlieferte. Aus der Zeit der Ryßwicker Unterhandlungen waren bis jetzt keine Schriften von Leibniz bekannt. Die Ausgabe von Ouro Klopp geht, so weit sie vorliegt, nur bis ins Jahr 1688—1689. Pfleiderer aber weiß diese empfindliche Lücke wieder durch ein Paar Schriften auszufüllen, welche zeigen, daß Leibniz auch in dieser Zeit auf seinem Freiwilligenposten stand und das Mögliche that, um die Schmach abzuwenden. Diese Schriften gehen unmittelbar gegen den beabsichtigten Friedensschluß und weisen die schwere Schädigung nach, welche Deutschland und mittelbar Europa durch seine Bedingungen erleiden würde. Es ist ins¬ besondere die Herausgabe von Straßburg und Luxemburg, dem „Hauptschlüssel" Deutschlands gegen Frankreich, die Leibniz nachdrücklich verlangt. Wie ihm persönlich vor und nach diesem demüthigenden Frieden zu Muthe war, ersieht man weniger aus diesen wesentlich staatsmännischen Schriften, als aus den Privatbriefen, die er in dieser Zeit an seinen Freund Ludolf schrieb. So in einem Brief aus dem Jahr 1697: „Ich kann gar nicht sagen, wie mich die Nachricht ergrissen hat, daß wir Straßburg für immer verlieren sollen. Aber das Grenzbotin II. 1870. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/23>, abgerufen am 27.07.2024.