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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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auf folgende kräftige Weise: "Man verzagt in Deutschland nicht: den Türken,
den Brecher der alten Verträge, hat man gebändigt und zu Boden geworfen;
man wird auch noch den Franzosen, den Brecher der frischen Verträge, nieder¬
werfen können!"

Leibniz ist also jetzt für energische Führung des Kriegs. Noch in dem¬
selben Jahr, als inzwischen schon die Dinge übel gingen, schrieb er die kleine
für Deutschland insbesondere berechnete Schrift: "Die geschwinde Kriegsver¬
fassung", worin er eine "Verordnung, so weiland König Ludwig XIII. in
Frankreich in einer dringenden Noth ergehen lassen, um Völker in Eil auf¬
zubringen", reproducirt und mit einem geharnischten Vorwort begleitet, das
die Schläfer Angesichts der drohenden Fremdherrschaft aufwecken soll. "Da
doch der gemeine Mann bedenken sollte, daß das französische Joch unerträg¬
lich, und die Teutschen von ihnen nichts besser als Sclaven geachtet, wie süß
sie ihnen auch anjetzo pfeifen. Gewiß, man weiß, wie die Franzosen schon
längst verächtlich von den Deutschen und Holländern reden, als warens
grobe, ungeschickte Leute, gut zur Arbeit und weiter nichts. Da kann man
sich die Rechnung machen, was einsmals von der französischen Herrschaft zu
erwarten. Es ist noch Zeit aufzuwachen; aber es ist ein Donnerschlag nöthig
die Teutschen munter zu machen. Das kann die letzte Niederlage in Schwaben
wirken. In Dingen, die wenig wichtig, zeigen wir Muth und Verstand;
wo es aber auf die allgemeine Wohlfahrt ankommt, da sind wir gleichsam
ohne Geist und Seele. Kommt mir vor, als ob ein großer König nichts
als Tanzen gelernt hätte. Hat mancher mit seinem Nachbar eine Kleinig¬
keit wegen eines Grenzsteins oder Jagdgerechtigkeit, da weiß man Alles rege
zu machen. Aber wo der ganze Staat auf dem Spiel steht, will man sich
ruhig drein geben und mit dem Kto entschuldigen, was man sich selbst ge¬
schmiedet. Der Himmel hat noch kein Edikt für Frankreich ausgehen lassen.
Gott ist vor die, so sich der von ihm gegebenen Vernunft und Mittel be¬
dienen, vor die besten Regimenter und vor die guten Rathschläge."

Schon in dieser Schrift, deren Grundgedanke ist, daß man auch vom
Feind lernen möge, wurde die Ueberlegenheit des französischen Heerwesens
über das deutsche in den wesentlichsten Zügen klar und überzeugend ent¬
wickelt. Zur eingehenderen Beantwortung der Frage, woher das unabänder
liebe Mißgeschick der deutschen Waffen komme, schrieb Leibniz Ende 1691 die
neue Schrift: Lousultatwu sur leg "Faires A6u6i-g.l68 a 1a, den as la eampasne
as 1691. Eine bessere Regelung der militärischen Verhältnisse erscheint ihm
als die Hauptsache. Zu dem Ende wird wiederum mit größtem Nachdruck
vor Allem die Einigung innerhalb Deutschlands gefordert und eine Art von
Partieularbündniß der Staaten, denen es Ernst ist, vorgeschlagen, diesmal
zu dem besonderen Zweck, die gegenseitigen Beeinträchtigungen durch die ver-


auf folgende kräftige Weise: „Man verzagt in Deutschland nicht: den Türken,
den Brecher der alten Verträge, hat man gebändigt und zu Boden geworfen;
man wird auch noch den Franzosen, den Brecher der frischen Verträge, nieder¬
werfen können!"

Leibniz ist also jetzt für energische Führung des Kriegs. Noch in dem¬
selben Jahr, als inzwischen schon die Dinge übel gingen, schrieb er die kleine
für Deutschland insbesondere berechnete Schrift: „Die geschwinde Kriegsver¬
fassung", worin er eine „Verordnung, so weiland König Ludwig XIII. in
Frankreich in einer dringenden Noth ergehen lassen, um Völker in Eil auf¬
zubringen", reproducirt und mit einem geharnischten Vorwort begleitet, das
die Schläfer Angesichts der drohenden Fremdherrschaft aufwecken soll. „Da
doch der gemeine Mann bedenken sollte, daß das französische Joch unerträg¬
lich, und die Teutschen von ihnen nichts besser als Sclaven geachtet, wie süß
sie ihnen auch anjetzo pfeifen. Gewiß, man weiß, wie die Franzosen schon
längst verächtlich von den Deutschen und Holländern reden, als warens
grobe, ungeschickte Leute, gut zur Arbeit und weiter nichts. Da kann man
sich die Rechnung machen, was einsmals von der französischen Herrschaft zu
erwarten. Es ist noch Zeit aufzuwachen; aber es ist ein Donnerschlag nöthig
die Teutschen munter zu machen. Das kann die letzte Niederlage in Schwaben
wirken. In Dingen, die wenig wichtig, zeigen wir Muth und Verstand;
wo es aber auf die allgemeine Wohlfahrt ankommt, da sind wir gleichsam
ohne Geist und Seele. Kommt mir vor, als ob ein großer König nichts
als Tanzen gelernt hätte. Hat mancher mit seinem Nachbar eine Kleinig¬
keit wegen eines Grenzsteins oder Jagdgerechtigkeit, da weiß man Alles rege
zu machen. Aber wo der ganze Staat auf dem Spiel steht, will man sich
ruhig drein geben und mit dem Kto entschuldigen, was man sich selbst ge¬
schmiedet. Der Himmel hat noch kein Edikt für Frankreich ausgehen lassen.
Gott ist vor die, so sich der von ihm gegebenen Vernunft und Mittel be¬
dienen, vor die besten Regimenter und vor die guten Rathschläge."

Schon in dieser Schrift, deren Grundgedanke ist, daß man auch vom
Feind lernen möge, wurde die Ueberlegenheit des französischen Heerwesens
über das deutsche in den wesentlichsten Zügen klar und überzeugend ent¬
wickelt. Zur eingehenderen Beantwortung der Frage, woher das unabänder
liebe Mißgeschick der deutschen Waffen komme, schrieb Leibniz Ende 1691 die
neue Schrift: Lousultatwu sur leg »Faires A6u6i-g.l68 a 1a, den as la eampasne
as 1691. Eine bessere Regelung der militärischen Verhältnisse erscheint ihm
als die Hauptsache. Zu dem Ende wird wiederum mit größtem Nachdruck
vor Allem die Einigung innerhalb Deutschlands gefordert und eine Art von
Partieularbündniß der Staaten, denen es Ernst ist, vorgeschlagen, diesmal
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/22>, abgerufen am 27.07.2024.