Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auch vom Standpunkte geschichtlicher Betrachtung die Consequenzen der
hussitischen Bewegung als Thatsachen anerkennen. Sicherlich erscheint es
ungerecht, die bewundernde Hochachtung, welche uns die Persönlichkeit des
Johann Hus, die Reinheit seines Lebens, der bis zum Tode getreue Muth
der Ueberzeugung abnöthigen, dadurch erniedern zu lassen, daß thatsächlich sein
Wirken ein dem Deutschthum feindliches war. Wir gönnen ihm auch den
Platz am Wormser Lutherdenkmal. Stellt doch dieses Monument Luther
nicht blos als nationalen Helden der Deutschen hin, sondern als die Ver¬
körperung eines großen welthistorischen Principes, und es scheint wohl gerecht¬
fertigt, daß auch fremde Männer, die minder siegreich als der deutsche Refor¬
mator für dieselbe Idee zu kämpfen und zu leiden verstanden haben, ihren
Platz fanden. Dorthin an die Seite von Savonarola, Petrus Waldus,
Wilkes gehört auch Hus. Nur weiter zu gehen ist nicht erlaubt. So wenig
die Lehre von Hus einen Einfluß geübt auf Luthers Thätigkeit, so wenig,
ja noch weniger hat die hussitische Bewegung der reformatorischen Bewegung
des 16. Jahrhunderts vorgearbeitet oder den Weg gebahnt.

Es wäre eine interessante noch zu lösende Aufgabe, auf kleinerem Gebiete
wie eben z. B. in Schlesien im Einzelnen den Prozeß zu untersuchen, der
die Geister der großen Luther'schen Reformation entgegenreifen ließ. Eines
wurde oben angedeutet, was von alter Zeit her sich entwickelnd der
Reformation Vorschub leisten konnte, es war jener particularistische Zug.
den das deutsche Bürgerthum herausgetrieben hatte, und der einmal doch in
Gegensatz treten mußte zu dem großen Einheitsgedanken der katholischen
Kirche. Seine Familie, sein Haus, seinen Staat fand der Bürger in dem
engen Umkreise der Stadtmauer, in ihm, so wollte er, sollte auch seine Kirchen-
gemeinschaft sich möglichst abschließen.

Es war dies die erste unbestimmte Regung eines wichtigen Postulates,
des wichtigsten, welches die Reformation zu erfüllen gehabt hat, daß sie
statt des großen Himmelsschlüssels, den der Statthalter Petri verwaltete,
jedem Menschenkind einen eignen in die Hand drückte, mit der glaubhaften
Versicherung, daß alle diese kleinen das künftige Lebenshaus des Bürgers
wohl erschließen würden. Als der stauenswerthe Fortschritt, den die allgemeine
Bildung am Ende des 15. Jahrh, machte, Denken und Empfinden, alles
Leben der Nation mächtig vertieft hatte, als Guttenbergs Erfindung die alten
Zeugnisse des Glaubens wie die neuen Gedanken erleuchteter Männer zum
Gemeingute Aller gemacht hatte, da war die Zeit gekommen; das zündende
Wort des Wittenberger Professors fand, sobald es gesprochen war, in Schlesien
wie überall tausendstimmiger Wiederhall. Nicht tumultuarisch wie einst in den
Hussitenzeiten, sondern still und geordnet vollzog sich der große Umschwung, getra-


Grenzboten II. 1870. 28

auch vom Standpunkte geschichtlicher Betrachtung die Consequenzen der
hussitischen Bewegung als Thatsachen anerkennen. Sicherlich erscheint es
ungerecht, die bewundernde Hochachtung, welche uns die Persönlichkeit des
Johann Hus, die Reinheit seines Lebens, der bis zum Tode getreue Muth
der Ueberzeugung abnöthigen, dadurch erniedern zu lassen, daß thatsächlich sein
Wirken ein dem Deutschthum feindliches war. Wir gönnen ihm auch den
Platz am Wormser Lutherdenkmal. Stellt doch dieses Monument Luther
nicht blos als nationalen Helden der Deutschen hin, sondern als die Ver¬
körperung eines großen welthistorischen Principes, und es scheint wohl gerecht¬
fertigt, daß auch fremde Männer, die minder siegreich als der deutsche Refor¬
mator für dieselbe Idee zu kämpfen und zu leiden verstanden haben, ihren
Platz fanden. Dorthin an die Seite von Savonarola, Petrus Waldus,
Wilkes gehört auch Hus. Nur weiter zu gehen ist nicht erlaubt. So wenig
die Lehre von Hus einen Einfluß geübt auf Luthers Thätigkeit, so wenig,
ja noch weniger hat die hussitische Bewegung der reformatorischen Bewegung
des 16. Jahrhunderts vorgearbeitet oder den Weg gebahnt.

Es wäre eine interessante noch zu lösende Aufgabe, auf kleinerem Gebiete
wie eben z. B. in Schlesien im Einzelnen den Prozeß zu untersuchen, der
die Geister der großen Luther'schen Reformation entgegenreifen ließ. Eines
wurde oben angedeutet, was von alter Zeit her sich entwickelnd der
Reformation Vorschub leisten konnte, es war jener particularistische Zug.
den das deutsche Bürgerthum herausgetrieben hatte, und der einmal doch in
Gegensatz treten mußte zu dem großen Einheitsgedanken der katholischen
Kirche. Seine Familie, sein Haus, seinen Staat fand der Bürger in dem
engen Umkreise der Stadtmauer, in ihm, so wollte er, sollte auch seine Kirchen-
gemeinschaft sich möglichst abschließen.

Es war dies die erste unbestimmte Regung eines wichtigen Postulates,
des wichtigsten, welches die Reformation zu erfüllen gehabt hat, daß sie
statt des großen Himmelsschlüssels, den der Statthalter Petri verwaltete,
jedem Menschenkind einen eignen in die Hand drückte, mit der glaubhaften
Versicherung, daß alle diese kleinen das künftige Lebenshaus des Bürgers
wohl erschließen würden. Als der stauenswerthe Fortschritt, den die allgemeine
Bildung am Ende des 15. Jahrh, machte, Denken und Empfinden, alles
Leben der Nation mächtig vertieft hatte, als Guttenbergs Erfindung die alten
Zeugnisse des Glaubens wie die neuen Gedanken erleuchteter Männer zum
Gemeingute Aller gemacht hatte, da war die Zeit gekommen; das zündende
Wort des Wittenberger Professors fand, sobald es gesprochen war, in Schlesien
wie überall tausendstimmiger Wiederhall. Nicht tumultuarisch wie einst in den
Hussitenzeiten, sondern still und geordnet vollzog sich der große Umschwung, getra-


Grenzboten II. 1870. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0223" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123843"/>
          <p xml:id="ID_676" prev="#ID_675"> auch vom Standpunkte geschichtlicher Betrachtung die Consequenzen der<lb/>
hussitischen Bewegung als Thatsachen anerkennen. Sicherlich erscheint es<lb/>
ungerecht, die bewundernde Hochachtung, welche uns die Persönlichkeit des<lb/>
Johann Hus, die Reinheit seines Lebens, der bis zum Tode getreue Muth<lb/>
der Ueberzeugung abnöthigen, dadurch erniedern zu lassen, daß thatsächlich sein<lb/>
Wirken ein dem Deutschthum feindliches war. Wir gönnen ihm auch den<lb/>
Platz am Wormser Lutherdenkmal. Stellt doch dieses Monument Luther<lb/>
nicht blos als nationalen Helden der Deutschen hin, sondern als die Ver¬<lb/>
körperung eines großen welthistorischen Principes, und es scheint wohl gerecht¬<lb/>
fertigt, daß auch fremde Männer, die minder siegreich als der deutsche Refor¬<lb/>
mator für dieselbe Idee zu kämpfen und zu leiden verstanden haben, ihren<lb/>
Platz fanden. Dorthin an die Seite von Savonarola, Petrus Waldus,<lb/>
Wilkes gehört auch Hus. Nur weiter zu gehen ist nicht erlaubt. So wenig<lb/>
die Lehre von Hus einen Einfluß geübt auf Luthers Thätigkeit, so wenig,<lb/>
ja noch weniger hat die hussitische Bewegung der reformatorischen Bewegung<lb/>
des 16. Jahrhunderts vorgearbeitet oder den Weg gebahnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_677"> Es wäre eine interessante noch zu lösende Aufgabe, auf kleinerem Gebiete<lb/>
wie eben z. B. in Schlesien im Einzelnen den Prozeß zu untersuchen, der<lb/>
die Geister der großen Luther'schen Reformation entgegenreifen ließ. Eines<lb/>
wurde oben angedeutet, was von alter Zeit her sich entwickelnd der<lb/>
Reformation Vorschub leisten konnte, es war jener particularistische Zug.<lb/>
den das deutsche Bürgerthum herausgetrieben hatte, und der einmal doch in<lb/>
Gegensatz treten mußte zu dem großen Einheitsgedanken der katholischen<lb/>
Kirche. Seine Familie, sein Haus, seinen Staat fand der Bürger in dem<lb/>
engen Umkreise der Stadtmauer, in ihm, so wollte er, sollte auch seine Kirchen-<lb/>
gemeinschaft sich möglichst abschließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_678" next="#ID_679"> Es war dies die erste unbestimmte Regung eines wichtigen Postulates,<lb/>
des wichtigsten, welches die Reformation zu erfüllen gehabt hat, daß sie<lb/>
statt des großen Himmelsschlüssels, den der Statthalter Petri verwaltete,<lb/>
jedem Menschenkind einen eignen in die Hand drückte, mit der glaubhaften<lb/>
Versicherung, daß alle diese kleinen das künftige Lebenshaus des Bürgers<lb/>
wohl erschließen würden. Als der stauenswerthe Fortschritt, den die allgemeine<lb/>
Bildung am Ende des 15. Jahrh, machte, Denken und Empfinden, alles<lb/>
Leben der Nation mächtig vertieft hatte, als Guttenbergs Erfindung die alten<lb/>
Zeugnisse des Glaubens wie die neuen Gedanken erleuchteter Männer zum<lb/>
Gemeingute Aller gemacht hatte, da war die Zeit gekommen; das zündende<lb/>
Wort des Wittenberger Professors fand, sobald es gesprochen war, in Schlesien<lb/>
wie überall tausendstimmiger Wiederhall. Nicht tumultuarisch wie einst in den<lb/>
Hussitenzeiten, sondern still und geordnet vollzog sich der große Umschwung, getra-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1870. 28</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0223] auch vom Standpunkte geschichtlicher Betrachtung die Consequenzen der hussitischen Bewegung als Thatsachen anerkennen. Sicherlich erscheint es ungerecht, die bewundernde Hochachtung, welche uns die Persönlichkeit des Johann Hus, die Reinheit seines Lebens, der bis zum Tode getreue Muth der Ueberzeugung abnöthigen, dadurch erniedern zu lassen, daß thatsächlich sein Wirken ein dem Deutschthum feindliches war. Wir gönnen ihm auch den Platz am Wormser Lutherdenkmal. Stellt doch dieses Monument Luther nicht blos als nationalen Helden der Deutschen hin, sondern als die Ver¬ körperung eines großen welthistorischen Principes, und es scheint wohl gerecht¬ fertigt, daß auch fremde Männer, die minder siegreich als der deutsche Refor¬ mator für dieselbe Idee zu kämpfen und zu leiden verstanden haben, ihren Platz fanden. Dorthin an die Seite von Savonarola, Petrus Waldus, Wilkes gehört auch Hus. Nur weiter zu gehen ist nicht erlaubt. So wenig die Lehre von Hus einen Einfluß geübt auf Luthers Thätigkeit, so wenig, ja noch weniger hat die hussitische Bewegung der reformatorischen Bewegung des 16. Jahrhunderts vorgearbeitet oder den Weg gebahnt. Es wäre eine interessante noch zu lösende Aufgabe, auf kleinerem Gebiete wie eben z. B. in Schlesien im Einzelnen den Prozeß zu untersuchen, der die Geister der großen Luther'schen Reformation entgegenreifen ließ. Eines wurde oben angedeutet, was von alter Zeit her sich entwickelnd der Reformation Vorschub leisten konnte, es war jener particularistische Zug. den das deutsche Bürgerthum herausgetrieben hatte, und der einmal doch in Gegensatz treten mußte zu dem großen Einheitsgedanken der katholischen Kirche. Seine Familie, sein Haus, seinen Staat fand der Bürger in dem engen Umkreise der Stadtmauer, in ihm, so wollte er, sollte auch seine Kirchen- gemeinschaft sich möglichst abschließen. Es war dies die erste unbestimmte Regung eines wichtigen Postulates, des wichtigsten, welches die Reformation zu erfüllen gehabt hat, daß sie statt des großen Himmelsschlüssels, den der Statthalter Petri verwaltete, jedem Menschenkind einen eignen in die Hand drückte, mit der glaubhaften Versicherung, daß alle diese kleinen das künftige Lebenshaus des Bürgers wohl erschließen würden. Als der stauenswerthe Fortschritt, den die allgemeine Bildung am Ende des 15. Jahrh, machte, Denken und Empfinden, alles Leben der Nation mächtig vertieft hatte, als Guttenbergs Erfindung die alten Zeugnisse des Glaubens wie die neuen Gedanken erleuchteter Männer zum Gemeingute Aller gemacht hatte, da war die Zeit gekommen; das zündende Wort des Wittenberger Professors fand, sobald es gesprochen war, in Schlesien wie überall tausendstimmiger Wiederhall. Nicht tumultuarisch wie einst in den Hussitenzeiten, sondern still und geordnet vollzog sich der große Umschwung, getra- Grenzboten II. 1870. 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/223
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/223>, abgerufen am 27.07.2024.