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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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bar, daß während der Hussitenkriege selbst sich Sympathien für die feindlichen
Nachbarn nicht gezeigt hätten. Vielleicht haben die reformatorischen Ideen
sich nach und nach doch entwickelt?--Zieht man den Vorhang noch einmal
auf und betrachtet einige spätere Jahrzehnte, was erblickt man? Auf der
einen Seite Böhmen zur Ruhe gekommen unter einem nationalen König,
Georg Podiebrad, der sehr gemäßigt an hussttische Traditionen sich anschließt,
und diesem gegenüber die Schlesier, erfüllt von einem bis ins Fieberhafte
gesteigerten Ketzerhasse, in dem sie jeder Vorstellung taub fort und fort be¬
harren. Was den Kreuzpredigten im Jahr 1420 nicht gelungen war, jetzt
gelingt es, die Stadt Breslau erlebt das nie gesehene Schauspiel, daß ein
Minont Johann Kapistran das Volk zum wildesten Fanatismus fortreißt.

Das ist die ausgegangene Saat der Hussitenkämpfe. Weit entfernt die
Regungen eines freieren Geistes zu bringen, haben sie die kirchliche Reaction
gebracht. Und wie im Ganzen die Schrecken der Hussitenkriege dazu geführt
haben, der durch eigene Sünden, durch Schisma und Entscheid der Con¬
cilien arg geschwächten Hierarchie erhöhte Bedeutung in den Augen der
Menge zu verleihen, so hat dieselbe Ursache in Schlesien die Gemüther bis
zu kirchlichem Fanatismus zurückgescheucht in die Arme der Kirche. Das der
großen Reformation langsam entgegenreifende Gemüth des Volkes, durch
die hussttische Bewegung ist es in Sehnsucht und Bedürfniß nicht gesteigert,
sondern gehemmt, ja weit herabgedrückt worden, mühsam hat es sich von
Neuem auf sich selbst besinnen und wieder mit neuen Ansätzen sich ver¬
suchen müssen. Ist es doch noch später geradezu verhängnißvoll gewesen für
die Entwickelung der Reformation im deutschen Osten, daß hier zwischen den
beiden Nachbarlanden Böhmen und Schlesien das 15. Jahrhundert eine tiefe,
unübersteigliche Kluft gerissen hatte? Als König Ferdinand 1646 von Breslau
aus nach Regensburg zu dem Reichstage zog, der dem ersten deutschen Re¬
ligionskriege unmittelbar vorausging, da konnte er seinem Bruder, dem Kaiser,
die willkommene Nachricht bringen, er habe Böhmen und Schlesier im er¬
bittertsten Zwiespalt über ihre beiderseitigen Privilegien zurückgelassen, es sei
absolut keine Aussicht, daß die zahlreichen Anhänger der neuen Lehre dies¬
seits und jenseits der Sudeten sich angesichts der gemeinsamen Gefahr für
ihren Glauben die Hände reichten. Ganz richtig hat er vorausgesehen, daß
die Consequenzen der Hussitenzeit die deutschen Schlesier und die czechischen
Böhmen auseinanderhalten würden,

Wir kommen zum Schlüsse. Wohl haben die Czechen ein Recht, das
Andenken des Hussitismus hoch zu halten. Ohne jene Bewegung würde
ihre Nationalität nach menschlichem Ermessen jetzt in nicht eben anderer
Lage sein, als die der Wenden in der Lausitz. Auf den Standpunkt der
Czechen uns zu stellen wiro uns Niemand zumuthen, wie bereitwillig wir


bar, daß während der Hussitenkriege selbst sich Sympathien für die feindlichen
Nachbarn nicht gezeigt hätten. Vielleicht haben die reformatorischen Ideen
sich nach und nach doch entwickelt?—Zieht man den Vorhang noch einmal
auf und betrachtet einige spätere Jahrzehnte, was erblickt man? Auf der
einen Seite Böhmen zur Ruhe gekommen unter einem nationalen König,
Georg Podiebrad, der sehr gemäßigt an hussttische Traditionen sich anschließt,
und diesem gegenüber die Schlesier, erfüllt von einem bis ins Fieberhafte
gesteigerten Ketzerhasse, in dem sie jeder Vorstellung taub fort und fort be¬
harren. Was den Kreuzpredigten im Jahr 1420 nicht gelungen war, jetzt
gelingt es, die Stadt Breslau erlebt das nie gesehene Schauspiel, daß ein
Minont Johann Kapistran das Volk zum wildesten Fanatismus fortreißt.

Das ist die ausgegangene Saat der Hussitenkämpfe. Weit entfernt die
Regungen eines freieren Geistes zu bringen, haben sie die kirchliche Reaction
gebracht. Und wie im Ganzen die Schrecken der Hussitenkriege dazu geführt
haben, der durch eigene Sünden, durch Schisma und Entscheid der Con¬
cilien arg geschwächten Hierarchie erhöhte Bedeutung in den Augen der
Menge zu verleihen, so hat dieselbe Ursache in Schlesien die Gemüther bis
zu kirchlichem Fanatismus zurückgescheucht in die Arme der Kirche. Das der
großen Reformation langsam entgegenreifende Gemüth des Volkes, durch
die hussttische Bewegung ist es in Sehnsucht und Bedürfniß nicht gesteigert,
sondern gehemmt, ja weit herabgedrückt worden, mühsam hat es sich von
Neuem auf sich selbst besinnen und wieder mit neuen Ansätzen sich ver¬
suchen müssen. Ist es doch noch später geradezu verhängnißvoll gewesen für
die Entwickelung der Reformation im deutschen Osten, daß hier zwischen den
beiden Nachbarlanden Böhmen und Schlesien das 15. Jahrhundert eine tiefe,
unübersteigliche Kluft gerissen hatte? Als König Ferdinand 1646 von Breslau
aus nach Regensburg zu dem Reichstage zog, der dem ersten deutschen Re¬
ligionskriege unmittelbar vorausging, da konnte er seinem Bruder, dem Kaiser,
die willkommene Nachricht bringen, er habe Böhmen und Schlesier im er¬
bittertsten Zwiespalt über ihre beiderseitigen Privilegien zurückgelassen, es sei
absolut keine Aussicht, daß die zahlreichen Anhänger der neuen Lehre dies¬
seits und jenseits der Sudeten sich angesichts der gemeinsamen Gefahr für
ihren Glauben die Hände reichten. Ganz richtig hat er vorausgesehen, daß
die Consequenzen der Hussitenzeit die deutschen Schlesier und die czechischen
Böhmen auseinanderhalten würden,

Wir kommen zum Schlüsse. Wohl haben die Czechen ein Recht, das
Andenken des Hussitismus hoch zu halten. Ohne jene Bewegung würde
ihre Nationalität nach menschlichem Ermessen jetzt in nicht eben anderer
Lage sein, als die der Wenden in der Lausitz. Auf den Standpunkt der
Czechen uns zu stellen wiro uns Niemand zumuthen, wie bereitwillig wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/222>, abgerufen am 01.09.2024.