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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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erhob; von den Diensten, die derselbe bisher verlangt hatte, war in den
stürmischen Zeiten nicht mehr die Rede. Es war zugleich eine sociale Re¬
volution im eigentlichen Sinne des Wortes, selbst die religiöse Forderung
des Kelches bei dem Abendmahle erschien der Masse unter dem Gesichts¬
punkte der Rückforderung eines Rechtes, das von dem eigennützigen und
tyrannischen Klerus bisher dem Volke vorenthalten war.

Und nun weiter. Bewaffnete Leidenschaften bilden die Heere der Be¬
wegung, hervorragende Feldherren, wie der große Ziska, erfinden für die
Massen die geeignete Taktik, welche sie unwiderstehlich macht. Fester schließen
sich die Heere an die siegreichen Führer. Religiös entflammt, für die
Nationalität begeistert, entwickeln sie zugleich einen energischen militäri¬
schen Corpsgeist, Ruhm und reiche Beute ist ihr Lohn. In diesen Heeren,
welche weit und breit in fremden Ländern Schrecken verbreiten, lebt und
wirkt der hussitische Geist.

Ganz anders das Volk daheim. Hier verfliegt sehr schnell der Rausch
und die ernüchterte Menge vermißt schmerzlich den sicheren Halt einer fest
geordneten kirchlichen Gemeinschaft. Von Jahr zu Jahr wächst im Volke
die Sehnsucht nach dem schützenden Schirmdache der alten Kirche, die Tro¬
phäen der erfochtenen Siege vermögen keinen Ersatz zu gewähren, der Fluch
der Ketzerei lastet schwer auf den Gemüthern, die bisher zum Schweigen ge¬
brachten Anhänger der alten Lehre fassen Muth und helfen mahnend nach.
Wie stark auch die Herrschaft der siegesstolzen Heere ist, sie empfinden doch,
was im Volke vorgeht. Von dem erwünschtesten Ziele einer Ausbeutung
der Bewegung in nationalem pcmslavistischem Sinne zurückgehalten durch die
starre Orthodoxie der Polen, bieten auch sie die Hand zu Besprechungen,
und der Jubel, mit welchem das Prager Volk die Abgesandten des Baseler
Concils empfängt, zeigt unverkennbar die Stimmung der Mehrzahl. Lauter
werden Wünsche und Kundgebungen für die Wiedervereinigung mit der
alten Kirche, schon erhebt der Adel, dem es im Bündniß mit den radicalen
Taboriten nie recht wohl gewesen, gestützt auf die Stimmung des Volkes
wieder sein Haupt, und endlich sind die im Felde unbezwungenen Hussiten
genöthigt, den Frieden zu machen gegen das winzige und noch arg ver-
clausulirte Zugeständniß des Abendmahls unter beiderlei Gestalt; ankämpfend
dagegen erliegen die Fanatiker in der Schlacht bei Böhmisch-Brot.

So eng eingedämmt ward der Strom, der sich am Anfang so wild und
reißend wie kein anderer ergossen. Wer wollte es leugnen, daß es eine
Niederlage ist, in welcher die hussitische Bewegung endet? Siegreich bewährt
aber hatte sich der gewaltige Zauber der alten Kirche, der zu widerstehen
die damalige Generation nicht die Kraft besaß.

Blicken wir auf Schlesien zurück. Man kann sagen, es sei wenig wunder-


erhob; von den Diensten, die derselbe bisher verlangt hatte, war in den
stürmischen Zeiten nicht mehr die Rede. Es war zugleich eine sociale Re¬
volution im eigentlichen Sinne des Wortes, selbst die religiöse Forderung
des Kelches bei dem Abendmahle erschien der Masse unter dem Gesichts¬
punkte der Rückforderung eines Rechtes, das von dem eigennützigen und
tyrannischen Klerus bisher dem Volke vorenthalten war.

Und nun weiter. Bewaffnete Leidenschaften bilden die Heere der Be¬
wegung, hervorragende Feldherren, wie der große Ziska, erfinden für die
Massen die geeignete Taktik, welche sie unwiderstehlich macht. Fester schließen
sich die Heere an die siegreichen Führer. Religiös entflammt, für die
Nationalität begeistert, entwickeln sie zugleich einen energischen militäri¬
schen Corpsgeist, Ruhm und reiche Beute ist ihr Lohn. In diesen Heeren,
welche weit und breit in fremden Ländern Schrecken verbreiten, lebt und
wirkt der hussitische Geist.

Ganz anders das Volk daheim. Hier verfliegt sehr schnell der Rausch
und die ernüchterte Menge vermißt schmerzlich den sicheren Halt einer fest
geordneten kirchlichen Gemeinschaft. Von Jahr zu Jahr wächst im Volke
die Sehnsucht nach dem schützenden Schirmdache der alten Kirche, die Tro¬
phäen der erfochtenen Siege vermögen keinen Ersatz zu gewähren, der Fluch
der Ketzerei lastet schwer auf den Gemüthern, die bisher zum Schweigen ge¬
brachten Anhänger der alten Lehre fassen Muth und helfen mahnend nach.
Wie stark auch die Herrschaft der siegesstolzen Heere ist, sie empfinden doch,
was im Volke vorgeht. Von dem erwünschtesten Ziele einer Ausbeutung
der Bewegung in nationalem pcmslavistischem Sinne zurückgehalten durch die
starre Orthodoxie der Polen, bieten auch sie die Hand zu Besprechungen,
und der Jubel, mit welchem das Prager Volk die Abgesandten des Baseler
Concils empfängt, zeigt unverkennbar die Stimmung der Mehrzahl. Lauter
werden Wünsche und Kundgebungen für die Wiedervereinigung mit der
alten Kirche, schon erhebt der Adel, dem es im Bündniß mit den radicalen
Taboriten nie recht wohl gewesen, gestützt auf die Stimmung des Volkes
wieder sein Haupt, und endlich sind die im Felde unbezwungenen Hussiten
genöthigt, den Frieden zu machen gegen das winzige und noch arg ver-
clausulirte Zugeständniß des Abendmahls unter beiderlei Gestalt; ankämpfend
dagegen erliegen die Fanatiker in der Schlacht bei Böhmisch-Brot.

So eng eingedämmt ward der Strom, der sich am Anfang so wild und
reißend wie kein anderer ergossen. Wer wollte es leugnen, daß es eine
Niederlage ist, in welcher die hussitische Bewegung endet? Siegreich bewährt
aber hatte sich der gewaltige Zauber der alten Kirche, der zu widerstehen
die damalige Generation nicht die Kraft besaß.

Blicken wir auf Schlesien zurück. Man kann sagen, es sei wenig wunder-


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[0221] erhob; von den Diensten, die derselbe bisher verlangt hatte, war in den stürmischen Zeiten nicht mehr die Rede. Es war zugleich eine sociale Re¬ volution im eigentlichen Sinne des Wortes, selbst die religiöse Forderung des Kelches bei dem Abendmahle erschien der Masse unter dem Gesichts¬ punkte der Rückforderung eines Rechtes, das von dem eigennützigen und tyrannischen Klerus bisher dem Volke vorenthalten war. Und nun weiter. Bewaffnete Leidenschaften bilden die Heere der Be¬ wegung, hervorragende Feldherren, wie der große Ziska, erfinden für die Massen die geeignete Taktik, welche sie unwiderstehlich macht. Fester schließen sich die Heere an die siegreichen Führer. Religiös entflammt, für die Nationalität begeistert, entwickeln sie zugleich einen energischen militäri¬ schen Corpsgeist, Ruhm und reiche Beute ist ihr Lohn. In diesen Heeren, welche weit und breit in fremden Ländern Schrecken verbreiten, lebt und wirkt der hussitische Geist. Ganz anders das Volk daheim. Hier verfliegt sehr schnell der Rausch und die ernüchterte Menge vermißt schmerzlich den sicheren Halt einer fest geordneten kirchlichen Gemeinschaft. Von Jahr zu Jahr wächst im Volke die Sehnsucht nach dem schützenden Schirmdache der alten Kirche, die Tro¬ phäen der erfochtenen Siege vermögen keinen Ersatz zu gewähren, der Fluch der Ketzerei lastet schwer auf den Gemüthern, die bisher zum Schweigen ge¬ brachten Anhänger der alten Lehre fassen Muth und helfen mahnend nach. Wie stark auch die Herrschaft der siegesstolzen Heere ist, sie empfinden doch, was im Volke vorgeht. Von dem erwünschtesten Ziele einer Ausbeutung der Bewegung in nationalem pcmslavistischem Sinne zurückgehalten durch die starre Orthodoxie der Polen, bieten auch sie die Hand zu Besprechungen, und der Jubel, mit welchem das Prager Volk die Abgesandten des Baseler Concils empfängt, zeigt unverkennbar die Stimmung der Mehrzahl. Lauter werden Wünsche und Kundgebungen für die Wiedervereinigung mit der alten Kirche, schon erhebt der Adel, dem es im Bündniß mit den radicalen Taboriten nie recht wohl gewesen, gestützt auf die Stimmung des Volkes wieder sein Haupt, und endlich sind die im Felde unbezwungenen Hussiten genöthigt, den Frieden zu machen gegen das winzige und noch arg ver- clausulirte Zugeständniß des Abendmahls unter beiderlei Gestalt; ankämpfend dagegen erliegen die Fanatiker in der Schlacht bei Böhmisch-Brot. So eng eingedämmt ward der Strom, der sich am Anfang so wild und reißend wie kein anderer ergossen. Wer wollte es leugnen, daß es eine Niederlage ist, in welcher die hussitische Bewegung endet? Siegreich bewährt aber hatte sich der gewaltige Zauber der alten Kirche, der zu widerstehen die damalige Generation nicht die Kraft besaß. Blicken wir auf Schlesien zurück. Man kann sagen, es sei wenig wunder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/221>, abgerufen am 01.09.2024.