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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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kriege so, und was die Hauptsache ist. Niemand scheint daran Anstoß zu
nehmen. Ebenso ist es doch auch bezeichnend, daß in den Briefen jener Zeit
die Hussiten nie als Slaven bezeichnet werden, man nennt sie Hussen oder
Tabrer (Taboriten). mit besonderer Vorliebe aber "die verdammten Ketzer"
und wir können uns dem Eindrucke nicht verschließen, als habe für die Brief¬
steller in dem Vorwurfe der Ketzerei das gelegen, was am meisten abstieß.

Es erscheint wie ein Widerspruch, daß die Schlesier und speciell die Bres-
lauer. welche wir -- nach moderner Sprechweise -- als durchaus liberale Ka¬
tholiken kennen gelernt haben, sich plötzlich in einen so heftigen und hartnäckigen
Ketzerhaß hineintreiben ließen. Aber es ist mißlich, moderne Schlagwörter aus
alte Zeiten anzuwenden. Man vergesse nicht, daß es die fortgeschrittenen Liberalen
auf kirchlichem Gebiete, Männer wie Gerson und Peter d'Ailly waren, welche
in Kosemitz am heftigsten die Verbrennung von Hus forderten. Man darf
keinen Augenblick zweifeln, daß die in Breslau herrschende Anschauung, die
auch in den Gesprächen der Bürger untereinander lebhaften Ausdruck fand,
einem päpstlichen Legaten äußerst ketzerisch erschienen wäre; man hat hier sehr
freie Worte über die Geistlichkeit und gegen den Papst geäußert, ohne daß
Jemand daran Anstoß genommen hätte, und trotzdem ist der Haß gegen die
Hussitenketzer gerade hier so heiß geworden.

Bei diesem Haß kam das Glaubensbekenntniß unzweifelhaft sehr wenig
in Betracht. Man hatte in der That kaum Veranlassung darnach zu fragen.
Schon das Gebühren, durch welches die hussitische Bewegung sich kund gab.
genügte, um ihr die Herzen zu entfremden. Gegen die wilden Horden, welche
gleich im Jahre 1420 eine große Anzahl von Kirchen und Klöstern verwüsteten,
empörte sich auch das religiöse Gefühl, welches ebenso frevelte. Schon die tumul-
tuarische Entfesselung der Massen hätte hingereicht, das deutsche Bürgerthum,
in welchem das höchste Maß von Gesetzlichkeit, welches das Mittelalter über¬
haupt kannte, seinen Ausdruck fand, zurückzuschrecken, man würde sie gescheut
haben, wie die Bürger neuerer Zeit die Jakobiner oder Communisten gefürchtet
haben. Aber die Zerstörungswuth jener Massen richtete sich speciell gegen
die Stätten, welche der Glaube geheiligt, in deren Verehrung Alle üverein-
stimmten. Seit man die Feinde Ketzer nannte, galten sie als Feinde der
Christenheit. Der Name stellte sie auf gleiche Stufe mit den Türken und
Heiden. In der That, die Schlesier stehen den Hussiten ganz ähnlich
gegenüber wie die Deutschen im Reich Jahrhunderte lang den Türken
gegenüber sich verhalten haben. Hier wie dort ist nicht ein hervorragendes
Maß von kriegerischem Eifer zu rühmen, vielmehr ist gerade die Lässigkeit
und Unzulänglichkeit der eigenen Kriegsleistungen der beste Bundesgenosse für
den gefürchteten Gegner. Aber über das Princip, daß man in dem Gegner den
Feind der christlichen Cultur zu bekämpfen habe, und daß mit ihm kein dauer-


kriege so, und was die Hauptsache ist. Niemand scheint daran Anstoß zu
nehmen. Ebenso ist es doch auch bezeichnend, daß in den Briefen jener Zeit
die Hussiten nie als Slaven bezeichnet werden, man nennt sie Hussen oder
Tabrer (Taboriten). mit besonderer Vorliebe aber „die verdammten Ketzer"
und wir können uns dem Eindrucke nicht verschließen, als habe für die Brief¬
steller in dem Vorwurfe der Ketzerei das gelegen, was am meisten abstieß.

Es erscheint wie ein Widerspruch, daß die Schlesier und speciell die Bres-
lauer. welche wir — nach moderner Sprechweise — als durchaus liberale Ka¬
tholiken kennen gelernt haben, sich plötzlich in einen so heftigen und hartnäckigen
Ketzerhaß hineintreiben ließen. Aber es ist mißlich, moderne Schlagwörter aus
alte Zeiten anzuwenden. Man vergesse nicht, daß es die fortgeschrittenen Liberalen
auf kirchlichem Gebiete, Männer wie Gerson und Peter d'Ailly waren, welche
in Kosemitz am heftigsten die Verbrennung von Hus forderten. Man darf
keinen Augenblick zweifeln, daß die in Breslau herrschende Anschauung, die
auch in den Gesprächen der Bürger untereinander lebhaften Ausdruck fand,
einem päpstlichen Legaten äußerst ketzerisch erschienen wäre; man hat hier sehr
freie Worte über die Geistlichkeit und gegen den Papst geäußert, ohne daß
Jemand daran Anstoß genommen hätte, und trotzdem ist der Haß gegen die
Hussitenketzer gerade hier so heiß geworden.

Bei diesem Haß kam das Glaubensbekenntniß unzweifelhaft sehr wenig
in Betracht. Man hatte in der That kaum Veranlassung darnach zu fragen.
Schon das Gebühren, durch welches die hussitische Bewegung sich kund gab.
genügte, um ihr die Herzen zu entfremden. Gegen die wilden Horden, welche
gleich im Jahre 1420 eine große Anzahl von Kirchen und Klöstern verwüsteten,
empörte sich auch das religiöse Gefühl, welches ebenso frevelte. Schon die tumul-
tuarische Entfesselung der Massen hätte hingereicht, das deutsche Bürgerthum,
in welchem das höchste Maß von Gesetzlichkeit, welches das Mittelalter über¬
haupt kannte, seinen Ausdruck fand, zurückzuschrecken, man würde sie gescheut
haben, wie die Bürger neuerer Zeit die Jakobiner oder Communisten gefürchtet
haben. Aber die Zerstörungswuth jener Massen richtete sich speciell gegen
die Stätten, welche der Glaube geheiligt, in deren Verehrung Alle üverein-
stimmten. Seit man die Feinde Ketzer nannte, galten sie als Feinde der
Christenheit. Der Name stellte sie auf gleiche Stufe mit den Türken und
Heiden. In der That, die Schlesier stehen den Hussiten ganz ähnlich
gegenüber wie die Deutschen im Reich Jahrhunderte lang den Türken
gegenüber sich verhalten haben. Hier wie dort ist nicht ein hervorragendes
Maß von kriegerischem Eifer zu rühmen, vielmehr ist gerade die Lässigkeit
und Unzulänglichkeit der eigenen Kriegsleistungen der beste Bundesgenosse für
den gefürchteten Gegner. Aber über das Princip, daß man in dem Gegner den
Feind der christlichen Cultur zu bekämpfen habe, und daß mit ihm kein dauer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/218>, abgerufen am 01.09.2024.