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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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zu verschaffen gestrebt haben. Wie es scheint, wollten sie ihren Glauben gar
nicht weiter ausbreiten, als die czechische Zunge klang.

Nur destruirend haben sie die religiösen Principien, welche sie verfochten,
zum Ausdruck gebracht in dem wilden grausamen Hasse gegen die Geistlich¬
keit, in der Verwüstung der Klöster, der Entweihung der Kirchen, der Ver¬
nichtung der Heiligenbilder. Die Folge davon war der schreckliche Ruf, in
den sie hier in Schlesien gekommen sind. Einen guten Theil der Greuel,
welche ihnen zugeschrieben wurden, läßt die historische Kritik als Legende
oder als Uebertreibung frommer Eiferer erkennen, Vieles bleibt aber doch be¬
stehen, wenn man auch zugeben muß, daß es ihre Gegner waren, die zuerst
dem Kriege seinen grausamen Charakter aufgedrückt haben. -- Dennoch war
nicht die Rohheit und Grausamkeit der Böhmen der Hauptgrund, der die
Schlesier gehindert hat, mit den hussitischen Lehren zu sympathisiren.

Mit größerem Rechte darf man den nationalen Gegensatz als den Grund,
der schlesischen Antipathie betrachten. Die auf altslavischem Boden angesiedel¬
ten Deutschen konnten ein Gefühl der Furcht vor einer großen slavischen
Reaction schwer loswerden und sahen argwöhnisch auf jede stärkere Regung
slavischen Nationalgefühls. Zu dieser Scheu gesellte sich in ihnen eine ge¬
wisse Geringschätzung der an Intelligenz und Cultur tiefer stehenden Race.
Aus diesen Händen eine gereinigte Form ihrer Religion entgegenzunehmen,
würden sie in keinem Falle über sich vermocht haben. Und dazu waren die
Czechen die Bedränger der deutschen Landsleute in Böhmen, mit denen die
Schlesier nicht nur durch nationale Verwandtschaft, auch durch mannigfache
Verkehrsbeziehungen verbunden waren; am Anfange der hussitischen Be¬
wegung haben mehrfach die Deutsch-Böhmen beweglich die Hilfe der Schlesier
angerufen und als der Krieg begann, erschien er den Schlesiern zumeist als
ein Kampf zwischen Deutschen und Slaven.

Aber als letzter Erklärungsgrund für die Abneigung der Schlesier
gegen die Hussiten darf auch der nationale Gegensatz nicht gelten; dem deut¬
schen Bürgerthum in den größeren Städten Schlesiens war diese Empfindung
vielleicht die herrschende, für das Land im Ganzen nicht. Auch die nationalen
Strömungen haben ihre Zeit, sie fließen einmal stärker, dann wieder schwächer
dahin, und man kann nicht behaupten, daß sie gerade im 13. Jahrhundert
bei den Schlesiern eine besonders starke Gewalt gehabt haben. Zeugnisse eines
gesteigerten deutschen Bewußtseins in Schlesien vermöchte ich nicht anzufüh¬
ren; es ist doch z. B. charakteristisch, daß die Herzoge der Oelser Linie, die
Brüder des damaligen Bischofs von Breslau, die eifrigsten Theilnehmer am
Hussitenkriege, auch am dringendsten und devotesten um die Gunst des Polen¬
königs buhlen, sich sogar unter sein Hofgesinde aufnehmen lassen. Sie thun
dies nicht etwa im Drange der Noth, sie halten sich schon vor dem Hussiten-
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zu verschaffen gestrebt haben. Wie es scheint, wollten sie ihren Glauben gar
nicht weiter ausbreiten, als die czechische Zunge klang.

Nur destruirend haben sie die religiösen Principien, welche sie verfochten,
zum Ausdruck gebracht in dem wilden grausamen Hasse gegen die Geistlich¬
keit, in der Verwüstung der Klöster, der Entweihung der Kirchen, der Ver¬
nichtung der Heiligenbilder. Die Folge davon war der schreckliche Ruf, in
den sie hier in Schlesien gekommen sind. Einen guten Theil der Greuel,
welche ihnen zugeschrieben wurden, läßt die historische Kritik als Legende
oder als Uebertreibung frommer Eiferer erkennen, Vieles bleibt aber doch be¬
stehen, wenn man auch zugeben muß, daß es ihre Gegner waren, die zuerst
dem Kriege seinen grausamen Charakter aufgedrückt haben. — Dennoch war
nicht die Rohheit und Grausamkeit der Böhmen der Hauptgrund, der die
Schlesier gehindert hat, mit den hussitischen Lehren zu sympathisiren.

Mit größerem Rechte darf man den nationalen Gegensatz als den Grund,
der schlesischen Antipathie betrachten. Die auf altslavischem Boden angesiedel¬
ten Deutschen konnten ein Gefühl der Furcht vor einer großen slavischen
Reaction schwer loswerden und sahen argwöhnisch auf jede stärkere Regung
slavischen Nationalgefühls. Zu dieser Scheu gesellte sich in ihnen eine ge¬
wisse Geringschätzung der an Intelligenz und Cultur tiefer stehenden Race.
Aus diesen Händen eine gereinigte Form ihrer Religion entgegenzunehmen,
würden sie in keinem Falle über sich vermocht haben. Und dazu waren die
Czechen die Bedränger der deutschen Landsleute in Böhmen, mit denen die
Schlesier nicht nur durch nationale Verwandtschaft, auch durch mannigfache
Verkehrsbeziehungen verbunden waren; am Anfange der hussitischen Be¬
wegung haben mehrfach die Deutsch-Böhmen beweglich die Hilfe der Schlesier
angerufen und als der Krieg begann, erschien er den Schlesiern zumeist als
ein Kampf zwischen Deutschen und Slaven.

Aber als letzter Erklärungsgrund für die Abneigung der Schlesier
gegen die Hussiten darf auch der nationale Gegensatz nicht gelten; dem deut¬
schen Bürgerthum in den größeren Städten Schlesiens war diese Empfindung
vielleicht die herrschende, für das Land im Ganzen nicht. Auch die nationalen
Strömungen haben ihre Zeit, sie fließen einmal stärker, dann wieder schwächer
dahin, und man kann nicht behaupten, daß sie gerade im 13. Jahrhundert
bei den Schlesiern eine besonders starke Gewalt gehabt haben. Zeugnisse eines
gesteigerten deutschen Bewußtseins in Schlesien vermöchte ich nicht anzufüh¬
ren; es ist doch z. B. charakteristisch, daß die Herzoge der Oelser Linie, die
Brüder des damaligen Bischofs von Breslau, die eifrigsten Theilnehmer am
Hussitenkriege, auch am dringendsten und devotesten um die Gunst des Polen¬
königs buhlen, sich sogar unter sein Hofgesinde aufnehmen lassen. Sie thun
dies nicht etwa im Drange der Noth, sie halten sich schon vor dem Hussiten-
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[0217] zu verschaffen gestrebt haben. Wie es scheint, wollten sie ihren Glauben gar nicht weiter ausbreiten, als die czechische Zunge klang. Nur destruirend haben sie die religiösen Principien, welche sie verfochten, zum Ausdruck gebracht in dem wilden grausamen Hasse gegen die Geistlich¬ keit, in der Verwüstung der Klöster, der Entweihung der Kirchen, der Ver¬ nichtung der Heiligenbilder. Die Folge davon war der schreckliche Ruf, in den sie hier in Schlesien gekommen sind. Einen guten Theil der Greuel, welche ihnen zugeschrieben wurden, läßt die historische Kritik als Legende oder als Uebertreibung frommer Eiferer erkennen, Vieles bleibt aber doch be¬ stehen, wenn man auch zugeben muß, daß es ihre Gegner waren, die zuerst dem Kriege seinen grausamen Charakter aufgedrückt haben. — Dennoch war nicht die Rohheit und Grausamkeit der Böhmen der Hauptgrund, der die Schlesier gehindert hat, mit den hussitischen Lehren zu sympathisiren. Mit größerem Rechte darf man den nationalen Gegensatz als den Grund, der schlesischen Antipathie betrachten. Die auf altslavischem Boden angesiedel¬ ten Deutschen konnten ein Gefühl der Furcht vor einer großen slavischen Reaction schwer loswerden und sahen argwöhnisch auf jede stärkere Regung slavischen Nationalgefühls. Zu dieser Scheu gesellte sich in ihnen eine ge¬ wisse Geringschätzung der an Intelligenz und Cultur tiefer stehenden Race. Aus diesen Händen eine gereinigte Form ihrer Religion entgegenzunehmen, würden sie in keinem Falle über sich vermocht haben. Und dazu waren die Czechen die Bedränger der deutschen Landsleute in Böhmen, mit denen die Schlesier nicht nur durch nationale Verwandtschaft, auch durch mannigfache Verkehrsbeziehungen verbunden waren; am Anfange der hussitischen Be¬ wegung haben mehrfach die Deutsch-Böhmen beweglich die Hilfe der Schlesier angerufen und als der Krieg begann, erschien er den Schlesiern zumeist als ein Kampf zwischen Deutschen und Slaven. Aber als letzter Erklärungsgrund für die Abneigung der Schlesier gegen die Hussiten darf auch der nationale Gegensatz nicht gelten; dem deut¬ schen Bürgerthum in den größeren Städten Schlesiens war diese Empfindung vielleicht die herrschende, für das Land im Ganzen nicht. Auch die nationalen Strömungen haben ihre Zeit, sie fließen einmal stärker, dann wieder schwächer dahin, und man kann nicht behaupten, daß sie gerade im 13. Jahrhundert bei den Schlesiern eine besonders starke Gewalt gehabt haben. Zeugnisse eines gesteigerten deutschen Bewußtseins in Schlesien vermöchte ich nicht anzufüh¬ ren; es ist doch z. B. charakteristisch, daß die Herzoge der Oelser Linie, die Brüder des damaligen Bischofs von Breslau, die eifrigsten Theilnehmer am Hussitenkriege, auch am dringendsten und devotesten um die Gunst des Polen¬ königs buhlen, sich sogar unter sein Hofgesinde aufnehmen lassen. Sie thun dies nicht etwa im Drange der Noth, sie halten sich schon vor dem Hussiten- * 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/217>, abgerufen am 01.09.2024.