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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Er hielt fest an dem Princip, daß die Ausstattung nirgend in den Bor¬
grund der Aufführung treten dürfe und ihm kam hier die praktische Noth¬
wendigkeit zu Hilfe. Er suchte eine gewisse Allgemeinheit des historischen Zu¬
schnitts, die Repräsentation mehr einer Zeit, als einer Einzelheit, und er begriff
völlig die Gefahr, welche die sogenannten reichen Ausstattungen der dramatischen
Kunst bereiten. Er wußte, daß Dekorationen, Costüme und äußerer Apparat
die ästhetische Wirkung des Spiels nur dann unterstützen, wenn sie nicht als
ein Ungewöhnliches, Neues und breit Ausgeführtes den Darsteller beengen
und das Publicum zerstreuen. Dieser äußere Apparat muß in unserer Zeit
der Landschaftsmalerei und einer vorzugsweise historischen Bildung allerdings
reichlicher sein, als er vor 60 oder gar vor 100 Jahren war. Er ist auch für den
Darsteller unentbehrlich geworden. Denn die moderne, unschöne, die Körper¬
formen ungeschickt deckende Kleidung der Männer, und unsere Sitte, welche
eine Selbstbeobachtung der Körperhaltung und Handbewegungen, wie des Ge¬
sichtsausdrucks nicht begünstigt, macht dem Schauspieler für Haltung und
Gesten das seiner Rolle entsprechende Costüm zu einer werthvollen Hilfe.
Aber ebenso wie der Darsteller als Römer, Hohenstaufe, in Mantel- und
Degenrollen und in französischen Kniehosen durchaus nicht die Aufgabe hat,
mit archaistischer Genauigkeit die Besonderheit alter abweichender Lebens¬
formen darzustellen, sondern nur solche charakteristische Züge der abliegenden
Zeiten und Nationalitäten, welche gerade der künstlerischen Wirkung seiner
Rolle dienen und welche der guten mittleren Bildung seiner Zeit als dazu
gehörig wohl bekannt sind, ebenso soll sich eine Theaterleitung hüten, mit
Sorgfalt historische Besonderheiten des Costüms oder der scenischen Aus¬
stattung hervorzusuchen. Wenn ein Director erst ängstlich darauf achtet, daß
in Wilhelm Tell die genau copirten Landschaften des MerwaldMtersees mit
den Effekten eines Dioramas erscheinen, und daß die Schweizer Bauern und
rittermäßigen Leute gerade solche Bruchhosen und Eisenkappen tragen, wie
zur Zeit Johann Parieidas gebräuchlich waren, so wird das antiquarisch er¬
freute Publikum demnächst dahin geführt, die reale Wirklichkeit auch gegen
den Inhalt des Dramas geltend zu machen, und die letzte Consequenz würde
sein, daß Tell nicht mehr in modernem Jambus, sondern im alten schweizer
Dialect zu sprechen aufgefordert wird. Und ebenso dürfte von einem alten
Römer gefordert werden, daß er nicht hochdeutsch, sondern sein Latein rede.
Da dies in der That unmöglich ist, so hört der Darsteller bei fortgesetzter
realistischer Ausbildung des Apparats überhaupt auf zu sprechen; er singt
noch eine Weile, bis auch das unpassend erscheint; an Stelle des historischen
Schauspiels tritt zuletzt die Pantomime. Dieser Uebergang ist schon ein¬
mal in antiker Zeit durchgemacht worden. Manche Bühnen sind von solchem
Unsinn nicht mehr so weit entfernt, daß man ihn für unmöglich halten sollte.


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Er hielt fest an dem Princip, daß die Ausstattung nirgend in den Bor¬
grund der Aufführung treten dürfe und ihm kam hier die praktische Noth¬
wendigkeit zu Hilfe. Er suchte eine gewisse Allgemeinheit des historischen Zu¬
schnitts, die Repräsentation mehr einer Zeit, als einer Einzelheit, und er begriff
völlig die Gefahr, welche die sogenannten reichen Ausstattungen der dramatischen
Kunst bereiten. Er wußte, daß Dekorationen, Costüme und äußerer Apparat
die ästhetische Wirkung des Spiels nur dann unterstützen, wenn sie nicht als
ein Ungewöhnliches, Neues und breit Ausgeführtes den Darsteller beengen
und das Publicum zerstreuen. Dieser äußere Apparat muß in unserer Zeit
der Landschaftsmalerei und einer vorzugsweise historischen Bildung allerdings
reichlicher sein, als er vor 60 oder gar vor 100 Jahren war. Er ist auch für den
Darsteller unentbehrlich geworden. Denn die moderne, unschöne, die Körper¬
formen ungeschickt deckende Kleidung der Männer, und unsere Sitte, welche
eine Selbstbeobachtung der Körperhaltung und Handbewegungen, wie des Ge¬
sichtsausdrucks nicht begünstigt, macht dem Schauspieler für Haltung und
Gesten das seiner Rolle entsprechende Costüm zu einer werthvollen Hilfe.
Aber ebenso wie der Darsteller als Römer, Hohenstaufe, in Mantel- und
Degenrollen und in französischen Kniehosen durchaus nicht die Aufgabe hat,
mit archaistischer Genauigkeit die Besonderheit alter abweichender Lebens¬
formen darzustellen, sondern nur solche charakteristische Züge der abliegenden
Zeiten und Nationalitäten, welche gerade der künstlerischen Wirkung seiner
Rolle dienen und welche der guten mittleren Bildung seiner Zeit als dazu
gehörig wohl bekannt sind, ebenso soll sich eine Theaterleitung hüten, mit
Sorgfalt historische Besonderheiten des Costüms oder der scenischen Aus¬
stattung hervorzusuchen. Wenn ein Director erst ängstlich darauf achtet, daß
in Wilhelm Tell die genau copirten Landschaften des MerwaldMtersees mit
den Effekten eines Dioramas erscheinen, und daß die Schweizer Bauern und
rittermäßigen Leute gerade solche Bruchhosen und Eisenkappen tragen, wie
zur Zeit Johann Parieidas gebräuchlich waren, so wird das antiquarisch er¬
freute Publikum demnächst dahin geführt, die reale Wirklichkeit auch gegen
den Inhalt des Dramas geltend zu machen, und die letzte Consequenz würde
sein, daß Tell nicht mehr in modernem Jambus, sondern im alten schweizer
Dialect zu sprechen aufgefordert wird. Und ebenso dürfte von einem alten
Römer gefordert werden, daß er nicht hochdeutsch, sondern sein Latein rede.
Da dies in der That unmöglich ist, so hört der Darsteller bei fortgesetzter
realistischer Ausbildung des Apparats überhaupt auf zu sprechen; er singt
noch eine Weile, bis auch das unpassend erscheint; an Stelle des historischen
Schauspiels tritt zuletzt die Pantomime. Dieser Uebergang ist schon ein¬
mal in antiker Zeit durchgemacht worden. Manche Bühnen sind von solchem
Unsinn nicht mehr so weit entfernt, daß man ihn für unmöglich halten sollte.


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[0169] Er hielt fest an dem Princip, daß die Ausstattung nirgend in den Bor¬ grund der Aufführung treten dürfe und ihm kam hier die praktische Noth¬ wendigkeit zu Hilfe. Er suchte eine gewisse Allgemeinheit des historischen Zu¬ schnitts, die Repräsentation mehr einer Zeit, als einer Einzelheit, und er begriff völlig die Gefahr, welche die sogenannten reichen Ausstattungen der dramatischen Kunst bereiten. Er wußte, daß Dekorationen, Costüme und äußerer Apparat die ästhetische Wirkung des Spiels nur dann unterstützen, wenn sie nicht als ein Ungewöhnliches, Neues und breit Ausgeführtes den Darsteller beengen und das Publicum zerstreuen. Dieser äußere Apparat muß in unserer Zeit der Landschaftsmalerei und einer vorzugsweise historischen Bildung allerdings reichlicher sein, als er vor 60 oder gar vor 100 Jahren war. Er ist auch für den Darsteller unentbehrlich geworden. Denn die moderne, unschöne, die Körper¬ formen ungeschickt deckende Kleidung der Männer, und unsere Sitte, welche eine Selbstbeobachtung der Körperhaltung und Handbewegungen, wie des Ge¬ sichtsausdrucks nicht begünstigt, macht dem Schauspieler für Haltung und Gesten das seiner Rolle entsprechende Costüm zu einer werthvollen Hilfe. Aber ebenso wie der Darsteller als Römer, Hohenstaufe, in Mantel- und Degenrollen und in französischen Kniehosen durchaus nicht die Aufgabe hat, mit archaistischer Genauigkeit die Besonderheit alter abweichender Lebens¬ formen darzustellen, sondern nur solche charakteristische Züge der abliegenden Zeiten und Nationalitäten, welche gerade der künstlerischen Wirkung seiner Rolle dienen und welche der guten mittleren Bildung seiner Zeit als dazu gehörig wohl bekannt sind, ebenso soll sich eine Theaterleitung hüten, mit Sorgfalt historische Besonderheiten des Costüms oder der scenischen Aus¬ stattung hervorzusuchen. Wenn ein Director erst ängstlich darauf achtet, daß in Wilhelm Tell die genau copirten Landschaften des MerwaldMtersees mit den Effekten eines Dioramas erscheinen, und daß die Schweizer Bauern und rittermäßigen Leute gerade solche Bruchhosen und Eisenkappen tragen, wie zur Zeit Johann Parieidas gebräuchlich waren, so wird das antiquarisch er¬ freute Publikum demnächst dahin geführt, die reale Wirklichkeit auch gegen den Inhalt des Dramas geltend zu machen, und die letzte Consequenz würde sein, daß Tell nicht mehr in modernem Jambus, sondern im alten schweizer Dialect zu sprechen aufgefordert wird. Und ebenso dürfte von einem alten Römer gefordert werden, daß er nicht hochdeutsch, sondern sein Latein rede. Da dies in der That unmöglich ist, so hört der Darsteller bei fortgesetzter realistischer Ausbildung des Apparats überhaupt auf zu sprechen; er singt noch eine Weile, bis auch das unpassend erscheint; an Stelle des historischen Schauspiels tritt zuletzt die Pantomime. Dieser Uebergang ist schon ein¬ mal in antiker Zeit durchgemacht worden. Manche Bühnen sind von solchem Unsinn nicht mehr so weit entfernt, daß man ihn für unmöglich halten sollte. 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/169>, abgerufen am 18.12.2024.