Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.Glücklicherweise ist unser Publieum in seinem historischen Gewissen bei einiger In ähnlicher sparsamer Weise geschah die Vervollständigung des Per¬ Aber nicht allein auf die Schüler und Geringeren des Personals erstreckten Man hat deshalb seiner Bühne zuweilen den Vorwurf gemacht, daß Glücklicherweise ist unser Publieum in seinem historischen Gewissen bei einiger In ähnlicher sparsamer Weise geschah die Vervollständigung des Per¬ Aber nicht allein auf die Schüler und Geringeren des Personals erstreckten Man hat deshalb seiner Bühne zuweilen den Vorwurf gemacht, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123790"/> <p xml:id="ID_499" prev="#ID_498"> Glücklicherweise ist unser Publieum in seinem historischen Gewissen bei einiger<lb/> Klugheit des Bühnendirigenten immer noch leicht zu befriedigen, freilich auch<lb/> leicht zu verwöhnen. Devrient verstand sehr gut bei außerordentlicher<lb/> Gelegenheit durch eine neue Decoration, ein paar Sammetmäntel und<lb/> ein Dutzend geschlitzte Jacken den wünschenswerthen Schein der Reichlichkeit<lb/> hervorzubringen und hütete sich, auch nur einmal durch zu viel äußern Auf¬<lb/> wand an falsche Effekte zu gewöhnen. Dagegen war er erfindungsreich in<lb/> kleinen decorativer Arrangements, welche ihm die Wirkungen des Schau¬<lb/> spielers ehrlich steigerten. Nicht nur die Conversationsscenen im modernen<lb/> Salon wußte er besonders zierlich und bequem zu arrangiren, er war auch<lb/> bei historischen Stücken sorglich bemüht, die Einförmigkeit des viereckigen tiefen<lb/> Guckkastens, den unsere Bühne darstellt, durch hübsche Einfälle hinweg¬<lb/> zubringen und er hat vor Allem in den Shakespear'schen Stücken, die bekannt«<lb/> lich für eine ganz andere Bühne geschrieben sind, dadurch eine große Anzahl<lb/> Samischer Momente zu ganz neuer Geltung gebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_500"> In ähnlicher sparsamer Weise geschah die Vervollständigung des Per¬<lb/> sonals. Da zu den hervorragendsten Eigenschaften der Devrient'schen Be¬<lb/> gabung das Lehrtalent gezählt werden durfte, so glückte es ihm, manche wich¬<lb/> tige Fächer mit jungen Kräften zu besetzen, welche als Schüler der Anstalt<lb/> mit geringen Geldmitteln sich begnügten. Es gelang ihm gleichfalls, mit<lb/> einem der Zahl nach außerordentlich geringem Personale, mit nur einfacher<lb/> Besetzung aller nothwendigen Fächer die rollenreichsten Stücke aufzuführen,<lb/> weil seine künstlerische Nachhilfe den Einzelnen bei schwierigen Aufgaben<lb/> allenthalben beistand und so auch mittlere Talente oft mit großen Ausgaben<lb/> bedacht werden konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_501"> Aber nicht allein auf die Schüler und Geringeren des Personals erstreckten<lb/> sich die belehrenden Hilfen des neuen Directors, auch die Darstellungen der<lb/> ersten Rollen wurden von seiner theoretischen wie praktischen Unterstützung auf<lb/> das geführt, was Devrient's Leitung vor Allem auszeichnete: zu der völli¬<lb/> gen Hingabe an das Werk des Dichters ohne Hervordrängen des Einzelnen<lb/> und ohne die Befriedigung der persönlichen Eitelkeit auf Kosten der Total¬<lb/> wirkung und der Naturwahrheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_502" next="#ID_503"> Man hat deshalb seiner Bühne zuweilen den Vorwurf gemacht, daß<lb/> seine Methode zwar eine gewisse Dressur und Application des Individuums<lb/> erreiche, daß sie aber starke, künstlerische Erfindung, geistvolle und originelle<lb/> Auffassung nicht begünstige. Dieser Vorwurf ist völlig unwahr, er ist beson¬<lb/> ders ungerecht in einer Zeit, in der fast jede stärkere Begabung, bevor sie tech¬<lb/> nisch gereift ist, in anspruchsvoller Virtuosität unterzugehen verdammt scheint.<lb/> Kein Theater, und seien seine Geldmittel noch so groß, vermag in unserer<lb/> Zeit die Mehrzahl der Fächer mit Individuen von besonders starker Kunst-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0170]
Glücklicherweise ist unser Publieum in seinem historischen Gewissen bei einiger
Klugheit des Bühnendirigenten immer noch leicht zu befriedigen, freilich auch
leicht zu verwöhnen. Devrient verstand sehr gut bei außerordentlicher
Gelegenheit durch eine neue Decoration, ein paar Sammetmäntel und
ein Dutzend geschlitzte Jacken den wünschenswerthen Schein der Reichlichkeit
hervorzubringen und hütete sich, auch nur einmal durch zu viel äußern Auf¬
wand an falsche Effekte zu gewöhnen. Dagegen war er erfindungsreich in
kleinen decorativer Arrangements, welche ihm die Wirkungen des Schau¬
spielers ehrlich steigerten. Nicht nur die Conversationsscenen im modernen
Salon wußte er besonders zierlich und bequem zu arrangiren, er war auch
bei historischen Stücken sorglich bemüht, die Einförmigkeit des viereckigen tiefen
Guckkastens, den unsere Bühne darstellt, durch hübsche Einfälle hinweg¬
zubringen und er hat vor Allem in den Shakespear'schen Stücken, die bekannt«
lich für eine ganz andere Bühne geschrieben sind, dadurch eine große Anzahl
Samischer Momente zu ganz neuer Geltung gebracht.
In ähnlicher sparsamer Weise geschah die Vervollständigung des Per¬
sonals. Da zu den hervorragendsten Eigenschaften der Devrient'schen Be¬
gabung das Lehrtalent gezählt werden durfte, so glückte es ihm, manche wich¬
tige Fächer mit jungen Kräften zu besetzen, welche als Schüler der Anstalt
mit geringen Geldmitteln sich begnügten. Es gelang ihm gleichfalls, mit
einem der Zahl nach außerordentlich geringem Personale, mit nur einfacher
Besetzung aller nothwendigen Fächer die rollenreichsten Stücke aufzuführen,
weil seine künstlerische Nachhilfe den Einzelnen bei schwierigen Aufgaben
allenthalben beistand und so auch mittlere Talente oft mit großen Ausgaben
bedacht werden konnten.
Aber nicht allein auf die Schüler und Geringeren des Personals erstreckten
sich die belehrenden Hilfen des neuen Directors, auch die Darstellungen der
ersten Rollen wurden von seiner theoretischen wie praktischen Unterstützung auf
das geführt, was Devrient's Leitung vor Allem auszeichnete: zu der völli¬
gen Hingabe an das Werk des Dichters ohne Hervordrängen des Einzelnen
und ohne die Befriedigung der persönlichen Eitelkeit auf Kosten der Total¬
wirkung und der Naturwahrheit.
Man hat deshalb seiner Bühne zuweilen den Vorwurf gemacht, daß
seine Methode zwar eine gewisse Dressur und Application des Individuums
erreiche, daß sie aber starke, künstlerische Erfindung, geistvolle und originelle
Auffassung nicht begünstige. Dieser Vorwurf ist völlig unwahr, er ist beson¬
ders ungerecht in einer Zeit, in der fast jede stärkere Begabung, bevor sie tech¬
nisch gereift ist, in anspruchsvoller Virtuosität unterzugehen verdammt scheint.
Kein Theater, und seien seine Geldmittel noch so groß, vermag in unserer
Zeit die Mehrzahl der Fächer mit Individuen von besonders starker Kunst-
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