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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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schichtlichem und geographischen Kenntnissen, eine Fülle von scharfsinnigen po¬
litischen Argumenten, die Leibniz aufbietet, um Frankreich den Orient als
das angemessene Feld seines Ehrgeizes zu empfehlen. Unerschöpflich sind die
Gründe, mit welchen dieses Unternehmen als legitim, als christlich, als leicht
und sicher, als gerechte Befriedigung der französischen Eroberungspolitik, end¬
lich als eine wissenschaftliche That gepriesen wird. Es sollte ein letzter Versuch
sein, furchtbares Unheil von Deutschland abzuwenden, und vielleicht war Leibniz
trotz feines Optimismus und trotz seiner beredten Befürwortung nicht verwundert,
daß Ludwig diese fernen Plane ablehnte und nach der Maxime handelte:
Sieh, das Gute liegt so nah. Denn keiner kannte die verlockende Beschaffenheit
des deutschen Reichs besser als Leibniz selbst. Unter den Gründen, die er für
den modernen Kreuzzug anführt, war auch der, daß die holländische Macht in
Indien am sichersten durch eine Expedition nach Egypten getroffen werden könne.
Der Zug Napoleons nach dem Nillande hatte bekanntlich den gleichen Zweck:
die Erbin Hollands, die englische Macht zu treffen. Wie man weiß, hat aber
Napoleon von dem Plane Leibnizens erst nach seinem Pyramidenfeldzug
Kenntniß erhalten. Von Interesse ist es auch, heute Sätze wie den zu lesen:
"Wer Egypten hat, kann dem Erdkreis unermeßlich schaden oder nützen;
schaden, wenn er nach Art der Türken den Handel hemmt und abschneidet,
nützen aber, wenn er durch einen Kanal das rothe Meer mit dem Nil oder
dem Mittelmeere verbindet.

Während Leibniz in Paris war und hier theils seinen egyptischen Plan
befürwortete, theils Geschäfte im Auftrag des Mainzer Hoff besorgte, theils
endlich seinen wissenschastltchen Studien oblag und Verbindungen mit fran-
zösischen und englischen Gelehrten anknüpfte, war das deutsche Reich in den
holländischen Krieg hineingezogen worden. England und Schweden hatten
sich, wie Leibniz vorausgesehen, von der holländischen Allianz zurückgezogen.
Dagegen war dem Handelsstaat in dem großen Kurfürsten ein kräftiger Bun¬
desgenosse erstanden, und um den Kurfürsten in seinen Unternehmungen zu
hemmen, hatte jetzt auch der Kaiser ein Bündniß mit ihm zur Unterstützung
der Holländer abgeschlossen. Früher war es Leibnizens Meinung. Deutsch-
land müsse den Krieg vermeiden; jetzt, da der Krieg beschlossen war. änderte
er die Taktik, jetzt sollte derselbe mit allen Mitteln durchgeführt werden.
Ernste Mahnworte richtete er an die drei von Frankreich zunächst bedrohten
Länder, an England, an Holland, an Deutschland. Es sind drei zusammen¬
gehörige Schriften aus den Jahren 1673 und 1674, die zu jenen von
Pfleiderer aufgefundenen und mit größter Wahrscheinlichkeit Leibniz zuge¬
schriebenen Flugschriften gehören. England wird das Thörichte und Ver¬
derbliche seines französischen Bündnisses vorgehalten. Holland vor der inneren
Zwietracht der Parteien und der um sich greifenden dumpfen Verzweiflung


schichtlichem und geographischen Kenntnissen, eine Fülle von scharfsinnigen po¬
litischen Argumenten, die Leibniz aufbietet, um Frankreich den Orient als
das angemessene Feld seines Ehrgeizes zu empfehlen. Unerschöpflich sind die
Gründe, mit welchen dieses Unternehmen als legitim, als christlich, als leicht
und sicher, als gerechte Befriedigung der französischen Eroberungspolitik, end¬
lich als eine wissenschaftliche That gepriesen wird. Es sollte ein letzter Versuch
sein, furchtbares Unheil von Deutschland abzuwenden, und vielleicht war Leibniz
trotz feines Optimismus und trotz seiner beredten Befürwortung nicht verwundert,
daß Ludwig diese fernen Plane ablehnte und nach der Maxime handelte:
Sieh, das Gute liegt so nah. Denn keiner kannte die verlockende Beschaffenheit
des deutschen Reichs besser als Leibniz selbst. Unter den Gründen, die er für
den modernen Kreuzzug anführt, war auch der, daß die holländische Macht in
Indien am sichersten durch eine Expedition nach Egypten getroffen werden könne.
Der Zug Napoleons nach dem Nillande hatte bekanntlich den gleichen Zweck:
die Erbin Hollands, die englische Macht zu treffen. Wie man weiß, hat aber
Napoleon von dem Plane Leibnizens erst nach seinem Pyramidenfeldzug
Kenntniß erhalten. Von Interesse ist es auch, heute Sätze wie den zu lesen:
„Wer Egypten hat, kann dem Erdkreis unermeßlich schaden oder nützen;
schaden, wenn er nach Art der Türken den Handel hemmt und abschneidet,
nützen aber, wenn er durch einen Kanal das rothe Meer mit dem Nil oder
dem Mittelmeere verbindet.

Während Leibniz in Paris war und hier theils seinen egyptischen Plan
befürwortete, theils Geschäfte im Auftrag des Mainzer Hoff besorgte, theils
endlich seinen wissenschastltchen Studien oblag und Verbindungen mit fran-
zösischen und englischen Gelehrten anknüpfte, war das deutsche Reich in den
holländischen Krieg hineingezogen worden. England und Schweden hatten
sich, wie Leibniz vorausgesehen, von der holländischen Allianz zurückgezogen.
Dagegen war dem Handelsstaat in dem großen Kurfürsten ein kräftiger Bun¬
desgenosse erstanden, und um den Kurfürsten in seinen Unternehmungen zu
hemmen, hatte jetzt auch der Kaiser ein Bündniß mit ihm zur Unterstützung
der Holländer abgeschlossen. Früher war es Leibnizens Meinung. Deutsch-
land müsse den Krieg vermeiden; jetzt, da der Krieg beschlossen war. änderte
er die Taktik, jetzt sollte derselbe mit allen Mitteln durchgeführt werden.
Ernste Mahnworte richtete er an die drei von Frankreich zunächst bedrohten
Länder, an England, an Holland, an Deutschland. Es sind drei zusammen¬
gehörige Schriften aus den Jahren 1673 und 1674, die zu jenen von
Pfleiderer aufgefundenen und mit größter Wahrscheinlichkeit Leibniz zuge¬
schriebenen Flugschriften gehören. England wird das Thörichte und Ver¬
derbliche seines französischen Bündnisses vorgehalten. Holland vor der inneren
Zwietracht der Parteien und der um sich greifenden dumpfen Verzweiflung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/16>, abgerufen am 27.07.2024.