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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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äußerte Segur wohl später: es werde wohl nie und nimmer in dieser Kirche
zu Jekatarinoslaw die Messe gelesen werden.

Es war dies eine der Episoden jener Reise, welche viel zu reden machte
und bis heute als ein colossales Beispiel des Humbugs gilt. Nachdem
mau den Grundstein in Jekatarinoslaw gelegt hatte, ward bei dem Ge¬
neralmajor Sinelnikow, der jene Provinz verwaltete, ein Mahl einge¬
nommen. Man ergötzte sich sodann an dem Anblick der Stromschnellen,
kundige Schiffer führten die Galeeren durch die Strudel hinab. -- Hierauf
reiste man weiter nach Cherson. Das erste Schiff, welches hier vom Stapel
lies, hieß auch der "Ruhm Katharinens" ein anderes "Joseph II." Ebenso¬
wenig wie das nachmalige Jekatarinoslaw ein zweites Rom oder Athen ge¬
worden ist, wurde Cherson ein gewaltiger Kriegshafen.

Es waren Träume, deren Verwirklichung ausblieb. Noch in demselben
Jahre brach der Krieg mit der Pforte aus. Er störte die Entwickelung der
Stadt Jekatarinoslaw. Im Süden wurden noch während des Krieges andere
Orte gegründet, namentlich Nikolajew. Sehr bald nach dem Friedensschlüsse
erhob sich dort, wo das kleine türkische Fort Hadschi-Bei stand, die Stadt
Odessa. Der Generalmajor Sinelnikow, der sich bei der Gründung von
Jekatarinoslaw verdient gemacht hatte, fiel bei der Belagerung von Otschakow.
Etwas später starb Potemkin. Der Entwurf ihm in einer zu gründenden
Stadt "Gregoriopol" ein seiner administrativen Thätigkeit würdiges Denk¬
mal zu setzen, ist fast nur Entwurf geblieben. Der kleine, damals gegrün¬
dete Flecken ist höchst unbedeutend und zählt etwa 6000 Einwohner. Die
deutschen Colonien rings umher, welche einige Jahre später entstanden, und
deren Namen "Worms," "Cassel," "Straßburg" u. tgi. an den Westen mahnen,
sind zu einiger Blüthe gelangt.

Der Ausbau von Jekatarinoslaw ist auch später 1794 wieder in An¬
griff genommen worden. Aber noch im Jahre 1795 bestand die Stadt
nur noch in ihrer Anlage und hatte außer den Gebäuden für die Gerichts¬
höfe nur einige Einwohnerhäuser und den-, ansehnlichen Garten des Fürsten
Potemkin, übrigens aber in dem abgesteckten Stadtgebiet nichts als offene
Steppe. Erst in den dreißiger Jahren entstand die kleinere Kirche an der
Stelle der größeren, deren Fundament noch heute kenntlich ist und eine Art
Kirchhofsmauer bildet. Ungefähr gleichzeitig ward der Kaiserin Katharina
vor der Kirche ein Denkmal errichtet. Die Bronze-Statue zeigt nach Süden.
Nicht Jekatarinoslaw ist die Stadt der Zukunsr geworden, sondern Odessa.


A. Bruckner.


äußerte Segur wohl später: es werde wohl nie und nimmer in dieser Kirche
zu Jekatarinoslaw die Messe gelesen werden.

Es war dies eine der Episoden jener Reise, welche viel zu reden machte
und bis heute als ein colossales Beispiel des Humbugs gilt. Nachdem
mau den Grundstein in Jekatarinoslaw gelegt hatte, ward bei dem Ge¬
neralmajor Sinelnikow, der jene Provinz verwaltete, ein Mahl einge¬
nommen. Man ergötzte sich sodann an dem Anblick der Stromschnellen,
kundige Schiffer führten die Galeeren durch die Strudel hinab. — Hierauf
reiste man weiter nach Cherson. Das erste Schiff, welches hier vom Stapel
lies, hieß auch der „Ruhm Katharinens" ein anderes „Joseph II." Ebenso¬
wenig wie das nachmalige Jekatarinoslaw ein zweites Rom oder Athen ge¬
worden ist, wurde Cherson ein gewaltiger Kriegshafen.

Es waren Träume, deren Verwirklichung ausblieb. Noch in demselben
Jahre brach der Krieg mit der Pforte aus. Er störte die Entwickelung der
Stadt Jekatarinoslaw. Im Süden wurden noch während des Krieges andere
Orte gegründet, namentlich Nikolajew. Sehr bald nach dem Friedensschlüsse
erhob sich dort, wo das kleine türkische Fort Hadschi-Bei stand, die Stadt
Odessa. Der Generalmajor Sinelnikow, der sich bei der Gründung von
Jekatarinoslaw verdient gemacht hatte, fiel bei der Belagerung von Otschakow.
Etwas später starb Potemkin. Der Entwurf ihm in einer zu gründenden
Stadt „Gregoriopol" ein seiner administrativen Thätigkeit würdiges Denk¬
mal zu setzen, ist fast nur Entwurf geblieben. Der kleine, damals gegrün¬
dete Flecken ist höchst unbedeutend und zählt etwa 6000 Einwohner. Die
deutschen Colonien rings umher, welche einige Jahre später entstanden, und
deren Namen „Worms," „Cassel," „Straßburg" u. tgi. an den Westen mahnen,
sind zu einiger Blüthe gelangt.

Der Ausbau von Jekatarinoslaw ist auch später 1794 wieder in An¬
griff genommen worden. Aber noch im Jahre 1795 bestand die Stadt
nur noch in ihrer Anlage und hatte außer den Gebäuden für die Gerichts¬
höfe nur einige Einwohnerhäuser und den-, ansehnlichen Garten des Fürsten
Potemkin, übrigens aber in dem abgesteckten Stadtgebiet nichts als offene
Steppe. Erst in den dreißiger Jahren entstand die kleinere Kirche an der
Stelle der größeren, deren Fundament noch heute kenntlich ist und eine Art
Kirchhofsmauer bildet. Ungefähr gleichzeitig ward der Kaiserin Katharina
vor der Kirche ein Denkmal errichtet. Die Bronze-Statue zeigt nach Süden.
Nicht Jekatarinoslaw ist die Stadt der Zukunsr geworden, sondern Odessa.


A. Bruckner.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/150>, abgerufen am 27.07.2024.