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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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als Potemkin und die Kaiserin hofften. Mit Recht werfen Beide dem erste¬
ren vor, daß es ihm an Beharrlichkeit fehle, daß er alles eifrig angreife,
um eben so schnell zu andern Unternehmungen überzugehen, daß man in ge¬
wissenloser Weise Geld- und Menschencapital vergeude, um nur augenblick¬
liche Scheinerfolge zu erzielen. Die Kaiserin allerdings, welche diese Gegen¬
den bereiste, äußerte sich mit der größten Zufriedenheit über Alles. Ihr san¬
guinisches Temperament so wie die für diesen Zweck mit großer Kunst von
Potemkin getroffenen Anstalten, ließen Alles in dem günstigsten Lichte er¬
scheinen. Man täuschte sich über die Schwierigkeiten, mit denen man zu
kämpfen hatte; man war entzückt der Mitwelt zeigen zu können, über welch
reiche Hilfsmittel Rußland verfügte.

Selten ist der Gegensatz von Absicht und Ausführung, von großen Ent¬
würfen und geringen Erfolgen, von Ideal und Wirklichkeit bei solchen Ver¬
waltungsmaßregeln so auffallend gewesen als bet der Gründung von Jeka-
terinoslaw. Verweilen wir einen Augenblick bei diesem Ereignisse.

Schon im Jahre 1784 werden Maßregeln getroffen, um eine geeignete
Stelle zur Gründung einer Stadt Jekaterinoslaw ausfindig zu machen.*)
Einige Monate später wird bereits der Befehl erlassen, in der neuzugründen¬
den Stadt eine Universität zu errichten, wo nicht bloß Russen, sondern auch
Glaubensgenossen aus den benachbarten Ländern studiren sollten. Bald da¬
rauf erschienen in großer Zahl Arbeiter an der Stelle, wo am rechten Ufer
des Dnepr in der Nähe des Dorfes Kaidaki die neue Stadt sich "zum Ruhm-
Katharinas" erheben sollte. Es kamen Steinhauer, Maurer. Schmiede, Zim¬
merleute zu vielen Hunderten. Der Oberst Sinelnikow sollte die Bauten be¬
aufsichtigen. Vorläufig wurden ihm 200.000 Rubel zur Verfügung gestellt.**)
Vielfache Actenstücke zeugen noch heute von der vielseitigen Thätigkeit dieses
Beamten, welcher 1788 bei der Belagerung von Otschakow seinen Tod fand.

Die Stadt sollte gewaltige Dimensionen erhalten. Die Straßen sollten
eine Breite von 200 Fuß haben, 26 Werst (fast 4 Meilen) längs dem Flusse
sollte sich die Stadt hinziehen, für welche man ein Weichbild von 300 Qua¬
dratwerst bestimmte. Da die Stadt auf einer Anhöhe liegen sollte, beabsich¬
tigte man außer sechs Brunnen noch ein großes Wcisserbassin in der Stadt
zu errichten: man hoffte es mit Pumpwerken aus dem Flusse speisen zu können.
Sehr ausgedehnte Weideplätze für das Vieh der Stadtbewohner wollte man
abstecken, eine Fischerei einen botanischen Garten, Plätze für die Belustigung
der Städter wollte man anlegen. Man errichtete in großer Zahl Werkstätten
für die Handwerker; ungeheure Mengen von Ziegelsteinen, Gips, Kalk, Granit,




') Vollständige Gesetzsammlung 15908. 16,910, 16.057.
"'
) Samodom, Biographie Potemkins im Rufs. Archiv 18K7 S. 1228. Schriften der
Odessaer Gesellschaft für Geschichte und Alterthümer Südrußlands II, 742, in, 128.

als Potemkin und die Kaiserin hofften. Mit Recht werfen Beide dem erste¬
ren vor, daß es ihm an Beharrlichkeit fehle, daß er alles eifrig angreife,
um eben so schnell zu andern Unternehmungen überzugehen, daß man in ge¬
wissenloser Weise Geld- und Menschencapital vergeude, um nur augenblick¬
liche Scheinerfolge zu erzielen. Die Kaiserin allerdings, welche diese Gegen¬
den bereiste, äußerte sich mit der größten Zufriedenheit über Alles. Ihr san¬
guinisches Temperament so wie die für diesen Zweck mit großer Kunst von
Potemkin getroffenen Anstalten, ließen Alles in dem günstigsten Lichte er¬
scheinen. Man täuschte sich über die Schwierigkeiten, mit denen man zu
kämpfen hatte; man war entzückt der Mitwelt zeigen zu können, über welch
reiche Hilfsmittel Rußland verfügte.

Selten ist der Gegensatz von Absicht und Ausführung, von großen Ent¬
würfen und geringen Erfolgen, von Ideal und Wirklichkeit bei solchen Ver¬
waltungsmaßregeln so auffallend gewesen als bet der Gründung von Jeka-
terinoslaw. Verweilen wir einen Augenblick bei diesem Ereignisse.

Schon im Jahre 1784 werden Maßregeln getroffen, um eine geeignete
Stelle zur Gründung einer Stadt Jekaterinoslaw ausfindig zu machen.*)
Einige Monate später wird bereits der Befehl erlassen, in der neuzugründen¬
den Stadt eine Universität zu errichten, wo nicht bloß Russen, sondern auch
Glaubensgenossen aus den benachbarten Ländern studiren sollten. Bald da¬
rauf erschienen in großer Zahl Arbeiter an der Stelle, wo am rechten Ufer
des Dnepr in der Nähe des Dorfes Kaidaki die neue Stadt sich „zum Ruhm-
Katharinas" erheben sollte. Es kamen Steinhauer, Maurer. Schmiede, Zim¬
merleute zu vielen Hunderten. Der Oberst Sinelnikow sollte die Bauten be¬
aufsichtigen. Vorläufig wurden ihm 200.000 Rubel zur Verfügung gestellt.**)
Vielfache Actenstücke zeugen noch heute von der vielseitigen Thätigkeit dieses
Beamten, welcher 1788 bei der Belagerung von Otschakow seinen Tod fand.

Die Stadt sollte gewaltige Dimensionen erhalten. Die Straßen sollten
eine Breite von 200 Fuß haben, 26 Werst (fast 4 Meilen) längs dem Flusse
sollte sich die Stadt hinziehen, für welche man ein Weichbild von 300 Qua¬
dratwerst bestimmte. Da die Stadt auf einer Anhöhe liegen sollte, beabsich¬
tigte man außer sechs Brunnen noch ein großes Wcisserbassin in der Stadt
zu errichten: man hoffte es mit Pumpwerken aus dem Flusse speisen zu können.
Sehr ausgedehnte Weideplätze für das Vieh der Stadtbewohner wollte man
abstecken, eine Fischerei einen botanischen Garten, Plätze für die Belustigung
der Städter wollte man anlegen. Man errichtete in großer Zahl Werkstätten
für die Handwerker; ungeheure Mengen von Ziegelsteinen, Gips, Kalk, Granit,




') Vollständige Gesetzsammlung 15908. 16,910, 16.057.
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) Samodom, Biographie Potemkins im Rufs. Archiv 18K7 S. 1228. Schriften der
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[0147] als Potemkin und die Kaiserin hofften. Mit Recht werfen Beide dem erste¬ ren vor, daß es ihm an Beharrlichkeit fehle, daß er alles eifrig angreife, um eben so schnell zu andern Unternehmungen überzugehen, daß man in ge¬ wissenloser Weise Geld- und Menschencapital vergeude, um nur augenblick¬ liche Scheinerfolge zu erzielen. Die Kaiserin allerdings, welche diese Gegen¬ den bereiste, äußerte sich mit der größten Zufriedenheit über Alles. Ihr san¬ guinisches Temperament so wie die für diesen Zweck mit großer Kunst von Potemkin getroffenen Anstalten, ließen Alles in dem günstigsten Lichte er¬ scheinen. Man täuschte sich über die Schwierigkeiten, mit denen man zu kämpfen hatte; man war entzückt der Mitwelt zeigen zu können, über welch reiche Hilfsmittel Rußland verfügte. Selten ist der Gegensatz von Absicht und Ausführung, von großen Ent¬ würfen und geringen Erfolgen, von Ideal und Wirklichkeit bei solchen Ver¬ waltungsmaßregeln so auffallend gewesen als bet der Gründung von Jeka- terinoslaw. Verweilen wir einen Augenblick bei diesem Ereignisse. Schon im Jahre 1784 werden Maßregeln getroffen, um eine geeignete Stelle zur Gründung einer Stadt Jekaterinoslaw ausfindig zu machen.*) Einige Monate später wird bereits der Befehl erlassen, in der neuzugründen¬ den Stadt eine Universität zu errichten, wo nicht bloß Russen, sondern auch Glaubensgenossen aus den benachbarten Ländern studiren sollten. Bald da¬ rauf erschienen in großer Zahl Arbeiter an der Stelle, wo am rechten Ufer des Dnepr in der Nähe des Dorfes Kaidaki die neue Stadt sich „zum Ruhm- Katharinas" erheben sollte. Es kamen Steinhauer, Maurer. Schmiede, Zim¬ merleute zu vielen Hunderten. Der Oberst Sinelnikow sollte die Bauten be¬ aufsichtigen. Vorläufig wurden ihm 200.000 Rubel zur Verfügung gestellt.**) Vielfache Actenstücke zeugen noch heute von der vielseitigen Thätigkeit dieses Beamten, welcher 1788 bei der Belagerung von Otschakow seinen Tod fand. Die Stadt sollte gewaltige Dimensionen erhalten. Die Straßen sollten eine Breite von 200 Fuß haben, 26 Werst (fast 4 Meilen) längs dem Flusse sollte sich die Stadt hinziehen, für welche man ein Weichbild von 300 Qua¬ dratwerst bestimmte. Da die Stadt auf einer Anhöhe liegen sollte, beabsich¬ tigte man außer sechs Brunnen noch ein großes Wcisserbassin in der Stadt zu errichten: man hoffte es mit Pumpwerken aus dem Flusse speisen zu können. Sehr ausgedehnte Weideplätze für das Vieh der Stadtbewohner wollte man abstecken, eine Fischerei einen botanischen Garten, Plätze für die Belustigung der Städter wollte man anlegen. Man errichtete in großer Zahl Werkstätten für die Handwerker; ungeheure Mengen von Ziegelsteinen, Gips, Kalk, Granit, ') Vollständige Gesetzsammlung 15908. 16,910, 16.057. "' ) Samodom, Biographie Potemkins im Rufs. Archiv 18K7 S. 1228. Schriften der Odessaer Gesellschaft für Geschichte und Alterthümer Südrußlands II, 742, in, 128.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/147>, abgerufen am 27.07.2024.