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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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gen wurden den Ansiedlern gewährt, welche man von allen Seiten her ein¬
lud, man gedachte Wälder in großem Maßstabe aus der Straße anzu¬
pflanzen, allerlei Gemüsesämereien wurden verschrieben, besonders in Taurien
wurden Weinberge angelegt; man hoffte auf große Ergebnisse bei dem Seiden¬
bau, pflanzte Maulbeerbäume und verschrieb Seidenraupen. Auch die In¬
dustrie sollte durch die Anlegung zahlreicher Fabriken ausblühen. --

Ebenso bestrebte man sich die geistigen Interessen zu fördern. Die Ta¬
taren suchte man dadurch zu gewinnen, daß man eine neue und correcte
Ausgabe des Korans veranstaltete. Landwirthschaftliche Schulen, Druckereien,
Mädchenpensionen wollte man anlegen. Ausländer kamen als Lehrmeister
der Russen im Seefache, in allerlei Handwerken. Der Schiffsbau wurde mit
Eifer betrieben; Kasernen wurden angelegt, Festungen, Krtegshäfen wurden
gebaut. Weder Geld noch Menschenkräfte scheute man, um nur möglichst
schnell die Satrapie Potemkin's in eine Art Paradies zu verwandeln.

Ein unverdächtiger Zeuge, dem man am allerwenigsten eine tendenziöse
Anschauungsweise vorwerfen kann, der Academiker Pallas, theilt in seinem
vortrefflichen Reisewerke über die Krim, welche er wenige Jahre nach Po¬
temkin's Tode bereiste. Einiges über die mangelhaften Resultate eines solchen
fieberhaft sich überstürzenden administrativen Treibens mit. Er berichtet von
einer im größten Stil im Sudagh'schen Thal? angelegten Branntweinsabrik,
welche nun verfalle. Ein 140 Fuß langer und über 60 Fuß breiter Wein¬
keller, der wenigstens 600 Stückfässer und viele tausend Eimer fasse, stehe
ganz leer und unbenutzt; an manchen Orten der Krim sehe er Kasernen und
Ställe für viele Cavallerieregimenter -- in Trümmern; für die Seidenzucht
sei ein Ausländer als Director einer zu gründenden großen Anstalt berufen
worden, man habe ihm bedeutende Strecken Landes zur Ansiedelung von Sei¬
denzüchtern angewiesen, Jahrelang habe er einen bedeutenden Gehalt bezogen;
eine Baumschule von mehreren tausend Maulbeerbäumen habe indessen jähr¬
lich nur 6, höchstens 20 Pfund Seide geliefert, worauf denn die Anstalt
gänzlich eingegangen sei; ein in der Krim mit großen Kosten eingerichteter
Münzhof habe, nachdem dort nur 100,000 Rubel Münze geprägt worden,
seine Arbeiten eingestellt. -- Auch Joseph II., der 1787 sich durch den
Augenschein vom Stande der Verwaltung in der Krim überzeugen konnte,
berichtet in seinen (vor kurzem durch Herrn von Arneth herausgegebenen)
Briefen über seine Reise in Südrußland an den Feldmarschall Lascy: die
Anpflanzungen von Krapp, von Tokaier Reben, die Anfänge des Seiten¬
bauch -- Alles mißlinge. Mit dem französischen Gesandten Se'gur. welcher,
wie Joseph II., die Kaiserin auf ihrer Reise in die Krim begleitete, tauschte
Joseph seine Gedanken über die Vergeblichkeit aller Bemühungen aus, den
Süden von Rußland so rasch zu bevölkern, reich und blühend zu machen.


gen wurden den Ansiedlern gewährt, welche man von allen Seiten her ein¬
lud, man gedachte Wälder in großem Maßstabe aus der Straße anzu¬
pflanzen, allerlei Gemüsesämereien wurden verschrieben, besonders in Taurien
wurden Weinberge angelegt; man hoffte auf große Ergebnisse bei dem Seiden¬
bau, pflanzte Maulbeerbäume und verschrieb Seidenraupen. Auch die In¬
dustrie sollte durch die Anlegung zahlreicher Fabriken ausblühen. —

Ebenso bestrebte man sich die geistigen Interessen zu fördern. Die Ta¬
taren suchte man dadurch zu gewinnen, daß man eine neue und correcte
Ausgabe des Korans veranstaltete. Landwirthschaftliche Schulen, Druckereien,
Mädchenpensionen wollte man anlegen. Ausländer kamen als Lehrmeister
der Russen im Seefache, in allerlei Handwerken. Der Schiffsbau wurde mit
Eifer betrieben; Kasernen wurden angelegt, Festungen, Krtegshäfen wurden
gebaut. Weder Geld noch Menschenkräfte scheute man, um nur möglichst
schnell die Satrapie Potemkin's in eine Art Paradies zu verwandeln.

Ein unverdächtiger Zeuge, dem man am allerwenigsten eine tendenziöse
Anschauungsweise vorwerfen kann, der Academiker Pallas, theilt in seinem
vortrefflichen Reisewerke über die Krim, welche er wenige Jahre nach Po¬
temkin's Tode bereiste. Einiges über die mangelhaften Resultate eines solchen
fieberhaft sich überstürzenden administrativen Treibens mit. Er berichtet von
einer im größten Stil im Sudagh'schen Thal? angelegten Branntweinsabrik,
welche nun verfalle. Ein 140 Fuß langer und über 60 Fuß breiter Wein¬
keller, der wenigstens 600 Stückfässer und viele tausend Eimer fasse, stehe
ganz leer und unbenutzt; an manchen Orten der Krim sehe er Kasernen und
Ställe für viele Cavallerieregimenter — in Trümmern; für die Seidenzucht
sei ein Ausländer als Director einer zu gründenden großen Anstalt berufen
worden, man habe ihm bedeutende Strecken Landes zur Ansiedelung von Sei¬
denzüchtern angewiesen, Jahrelang habe er einen bedeutenden Gehalt bezogen;
eine Baumschule von mehreren tausend Maulbeerbäumen habe indessen jähr¬
lich nur 6, höchstens 20 Pfund Seide geliefert, worauf denn die Anstalt
gänzlich eingegangen sei; ein in der Krim mit großen Kosten eingerichteter
Münzhof habe, nachdem dort nur 100,000 Rubel Münze geprägt worden,
seine Arbeiten eingestellt. — Auch Joseph II., der 1787 sich durch den
Augenschein vom Stande der Verwaltung in der Krim überzeugen konnte,
berichtet in seinen (vor kurzem durch Herrn von Arneth herausgegebenen)
Briefen über seine Reise in Südrußland an den Feldmarschall Lascy: die
Anpflanzungen von Krapp, von Tokaier Reben, die Anfänge des Seiten¬
bauch — Alles mißlinge. Mit dem französischen Gesandten Se'gur. welcher,
wie Joseph II., die Kaiserin auf ihrer Reise in die Krim begleitete, tauschte
Joseph seine Gedanken über die Vergeblichkeit aller Bemühungen aus, den
Süden von Rußland so rasch zu bevölkern, reich und blühend zu machen.


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[0146] gen wurden den Ansiedlern gewährt, welche man von allen Seiten her ein¬ lud, man gedachte Wälder in großem Maßstabe aus der Straße anzu¬ pflanzen, allerlei Gemüsesämereien wurden verschrieben, besonders in Taurien wurden Weinberge angelegt; man hoffte auf große Ergebnisse bei dem Seiden¬ bau, pflanzte Maulbeerbäume und verschrieb Seidenraupen. Auch die In¬ dustrie sollte durch die Anlegung zahlreicher Fabriken ausblühen. — Ebenso bestrebte man sich die geistigen Interessen zu fördern. Die Ta¬ taren suchte man dadurch zu gewinnen, daß man eine neue und correcte Ausgabe des Korans veranstaltete. Landwirthschaftliche Schulen, Druckereien, Mädchenpensionen wollte man anlegen. Ausländer kamen als Lehrmeister der Russen im Seefache, in allerlei Handwerken. Der Schiffsbau wurde mit Eifer betrieben; Kasernen wurden angelegt, Festungen, Krtegshäfen wurden gebaut. Weder Geld noch Menschenkräfte scheute man, um nur möglichst schnell die Satrapie Potemkin's in eine Art Paradies zu verwandeln. Ein unverdächtiger Zeuge, dem man am allerwenigsten eine tendenziöse Anschauungsweise vorwerfen kann, der Academiker Pallas, theilt in seinem vortrefflichen Reisewerke über die Krim, welche er wenige Jahre nach Po¬ temkin's Tode bereiste. Einiges über die mangelhaften Resultate eines solchen fieberhaft sich überstürzenden administrativen Treibens mit. Er berichtet von einer im größten Stil im Sudagh'schen Thal? angelegten Branntweinsabrik, welche nun verfalle. Ein 140 Fuß langer und über 60 Fuß breiter Wein¬ keller, der wenigstens 600 Stückfässer und viele tausend Eimer fasse, stehe ganz leer und unbenutzt; an manchen Orten der Krim sehe er Kasernen und Ställe für viele Cavallerieregimenter — in Trümmern; für die Seidenzucht sei ein Ausländer als Director einer zu gründenden großen Anstalt berufen worden, man habe ihm bedeutende Strecken Landes zur Ansiedelung von Sei¬ denzüchtern angewiesen, Jahrelang habe er einen bedeutenden Gehalt bezogen; eine Baumschule von mehreren tausend Maulbeerbäumen habe indessen jähr¬ lich nur 6, höchstens 20 Pfund Seide geliefert, worauf denn die Anstalt gänzlich eingegangen sei; ein in der Krim mit großen Kosten eingerichteter Münzhof habe, nachdem dort nur 100,000 Rubel Münze geprägt worden, seine Arbeiten eingestellt. — Auch Joseph II., der 1787 sich durch den Augenschein vom Stande der Verwaltung in der Krim überzeugen konnte, berichtet in seinen (vor kurzem durch Herrn von Arneth herausgegebenen) Briefen über seine Reise in Südrußland an den Feldmarschall Lascy: die Anpflanzungen von Krapp, von Tokaier Reben, die Anfänge des Seiten¬ bauch — Alles mißlinge. Mit dem französischen Gesandten Se'gur. welcher, wie Joseph II., die Kaiserin auf ihrer Reise in die Krim begleitete, tauschte Joseph seine Gedanken über die Vergeblichkeit aller Bemühungen aus, den Süden von Rußland so rasch zu bevölkern, reich und blühend zu machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/146>, abgerufen am 27.07.2024.