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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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kammergerichts war -- wenigstens 1497, gegen Ende unseres Processes --
Markgraf Jacob von Baden.

Im Termin, den 3. Juli 1495, bat Ortolff, das Landgericht Hanau
anzuhalten zur Einsendung der dort verhandelten Acten, damit Appel seine
Berufung fortsetzen könne. Für die Wittwe Kauf tritt der gerade bei Gericht
anwesende Kammerprocurator Dr. Engelländer auf und erbittet sich Frist,
um eine Vollmacht der Wittwe und deren Einwendungen gegen Ortolffs
Antrag einzubringen. Als ihm ein neuer Termin bewilligt ist, erklärt er die
Berufung Appels, da 3 Jahre abgelaufen, für defect (verjährt). Orrolff ant- /-".
wortet, die Vollmacht Engländers habe radirte Stellen, auch sei das Siegel
derselben nicht deutlich. Damit beginnen die Vorgefechte, in denen sich die
Anwälte abmühen, ihrer Partei zum Siege zu verhelfen. Nachdem das Gericht
die Vollmacht Engelländers der äußern Form nach für ordnungsgemäß ge¬
sunden hat, bestreitet Orrolff, daß die Wittwe Kauf überhaupt der Streit
etwas angehe, nicht sie, sondern ihre volljährigen Kinder seien die Erben von
Conrad Kauf. Engelländer beruft sich gegen diesen nach römischem Rechte
vollkommen richtigen Satz daraus, daß die Kinder minderjährig seien und
bittet, damit er seiner Partei nichts vergebe, um Frist sür eine wettere Erklä¬
rung. In dieser Frist läßt er sich denn belehren, daß nach deutschem Recht
oder wie er es auffaßt, nach einer in des Grafen von Hanau seit Menschen¬
gedenken üblichen Gewohnheit -- die Wittwe Erbin der fahrenden Habe und
damit auch der Forderungen ihres Mannes sei, daß deshalb also die Wittwe
Kauf die einzige Berechtigte sei, den Proceß fortzuführen. Ortolff weiß
natürlich zunächst gleichfalls nichts von der Gewohnheit und verlangt, daß
sie Engelländer beweise; das Kammergericht kennt auch die Gewohnheit nicht
und legt darüber Beweis auf. Nun erkundigt sich auch Ortolff, ob die
Wittwe in Hanau wirklich, wie der Gegner behaupte, den Ehemann beerbt;
seine Partei bestätigt ihm das, er beeilt sich deshalb bei dem inmittelst nach
Frankfurt gewanderter Reichskammergericht, der Wittwe Kauf den Beweis
der bestrittenen Gewohnheit zu erlassen und wiederholt seine Bitte, die Acten
vom Landgericht Hanau einzufordern. Nach Abhaltung von 5 Terminen
steht die Sache demnach am 13. November genau auf demselben Punkt, aus
welchem sie im 1. Termin am 3. Juli stand. Engelländer verlangt nochmals
Verwerfung der Appellation als verspätet, das Gericht erkennt aber auf Ein-
sorderung der Hanauer Acten. Darauf läßt der Schultheiß zu Hanau alles,
was im dortigen Gerichtsbuch über den Proceß steht, ausziehen, bescheinigt
die Richtigkeit und schickt das Actenstück -- es enthält nicht mehr als zwei
Blätter -- versiegelt an Ortolff, der es beim Kammergericht öffnen und vor¬
lesen läßt, dann bringt er einige Wochen später seine Beschwerdeschrift ein.
Darin werden zunächst die Gründe wiederholt, aus denen Appels Fürsprach


kammergerichts war — wenigstens 1497, gegen Ende unseres Processes —
Markgraf Jacob von Baden.

Im Termin, den 3. Juli 1495, bat Ortolff, das Landgericht Hanau
anzuhalten zur Einsendung der dort verhandelten Acten, damit Appel seine
Berufung fortsetzen könne. Für die Wittwe Kauf tritt der gerade bei Gericht
anwesende Kammerprocurator Dr. Engelländer auf und erbittet sich Frist,
um eine Vollmacht der Wittwe und deren Einwendungen gegen Ortolffs
Antrag einzubringen. Als ihm ein neuer Termin bewilligt ist, erklärt er die
Berufung Appels, da 3 Jahre abgelaufen, für defect (verjährt). Orrolff ant- /-».
wortet, die Vollmacht Engländers habe radirte Stellen, auch sei das Siegel
derselben nicht deutlich. Damit beginnen die Vorgefechte, in denen sich die
Anwälte abmühen, ihrer Partei zum Siege zu verhelfen. Nachdem das Gericht
die Vollmacht Engelländers der äußern Form nach für ordnungsgemäß ge¬
sunden hat, bestreitet Orrolff, daß die Wittwe Kauf überhaupt der Streit
etwas angehe, nicht sie, sondern ihre volljährigen Kinder seien die Erben von
Conrad Kauf. Engelländer beruft sich gegen diesen nach römischem Rechte
vollkommen richtigen Satz daraus, daß die Kinder minderjährig seien und
bittet, damit er seiner Partei nichts vergebe, um Frist sür eine wettere Erklä¬
rung. In dieser Frist läßt er sich denn belehren, daß nach deutschem Recht
oder wie er es auffaßt, nach einer in des Grafen von Hanau seit Menschen¬
gedenken üblichen Gewohnheit — die Wittwe Erbin der fahrenden Habe und
damit auch der Forderungen ihres Mannes sei, daß deshalb also die Wittwe
Kauf die einzige Berechtigte sei, den Proceß fortzuführen. Ortolff weiß
natürlich zunächst gleichfalls nichts von der Gewohnheit und verlangt, daß
sie Engelländer beweise; das Kammergericht kennt auch die Gewohnheit nicht
und legt darüber Beweis auf. Nun erkundigt sich auch Ortolff, ob die
Wittwe in Hanau wirklich, wie der Gegner behaupte, den Ehemann beerbt;
seine Partei bestätigt ihm das, er beeilt sich deshalb bei dem inmittelst nach
Frankfurt gewanderter Reichskammergericht, der Wittwe Kauf den Beweis
der bestrittenen Gewohnheit zu erlassen und wiederholt seine Bitte, die Acten
vom Landgericht Hanau einzufordern. Nach Abhaltung von 5 Terminen
steht die Sache demnach am 13. November genau auf demselben Punkt, aus
welchem sie im 1. Termin am 3. Juli stand. Engelländer verlangt nochmals
Verwerfung der Appellation als verspätet, das Gericht erkennt aber auf Ein-
sorderung der Hanauer Acten. Darauf läßt der Schultheiß zu Hanau alles,
was im dortigen Gerichtsbuch über den Proceß steht, ausziehen, bescheinigt
die Richtigkeit und schickt das Actenstück — es enthält nicht mehr als zwei
Blätter — versiegelt an Ortolff, der es beim Kammergericht öffnen und vor¬
lesen läßt, dann bringt er einige Wochen später seine Beschwerdeschrift ein.
Darin werden zunächst die Gründe wiederholt, aus denen Appels Fürsprach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/141>, abgerufen am 27.07.2024.