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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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lichen Rücksichtslosigkeit, welche das Kennzeichen ihrer Partei bildet, durchzu¬
setzen gedenken, so wäre das eine Leistung, welche der weicheren liberalen
Majorität der früheren Kammern nie gelungen ist. Dabei ist man leider
nicht stehen geblieben; es finden sich in dem Programm der Patrioten zwei
weitere Punkte, die ganz geeignet sind, die Organisation der Combattanten
zu zerreißen, und die Armee aus eine Stufe hin abzudrücken, die sie hier
noch niemals eingenommen hat. Zunächst ist eine starke Reducirung der
Cavallerie in Aussicht genommen, der in Zukunft nur die vorhandenen
6 Chevauxlegersregimenter zu verbleiben hätten, während 2 Uhlanen- und
2 Cuirassierregimenrer cussirt werden sollen, eine Anforderung, die mit der
cynischen Bemerkung empfohlen wurde, daß Preußen seine Cavallerie in der
jüngsten Zeit bedeutend vermehrt, und Bayern hierdurch die Gelegenheit
gewonnen habe, von seinen Bundesgenossen einmal etwas zu profitiren.
Der letzte und einschneidendste Vorschlag endlich betrifft die Präsenzzeit. Nach
den vom Militärausschuß eingezogenen offiziellen Aufschlüssen war dieselbe

bisher bei der Infanterie und den Jägern auf 2 Jahre,
bei der Cavallerie auf 3 Jahre,
bei der reitenden und fahrenden Feldartillerie auf 2 Jahr 8 Monate,
bei der übrigen Artillerie und Genie aus 2 Jahr 6 Monate fest¬

gesetzt. Kolb und mit ihm der Ausschuß will nun die Präsenz

bei der Infanterie, den Jägern und der nicht berittenen Artillerie im
1. Dienstjahr auf 6 Monate, im 2. auf 6 Wochen, im 3. auf
14 Tage, zusammen auf 8 Monate,
bei der reitenden Artillerie und Genie auf 12 Monate,
bei der Cavallerie auf 2 Jahre

eingeschränkt wissen. Damit wäre nach dem Urtheil aller Offiziere die Armee
glücklich ruinirt, ihr jeder Anstrich der Gleichförmigkeit mit den übrigen
deutschen Armeen genommen, und sehr entschieden hat es der Kriegsminister
bereits abgelehnt, die Verantwortung für einen solchen Zustand zu übernehmen.
Kann man schon darüber sehr verschiedener Meinung sein, ob in der hier
vorgestreckten Frist auch nur die bloße Ablichtung der Rekruten erzielt werden
könne, ob man beispielsweise in einem Zeitraum von 12 Monaten einen
erträglichen Reiter auszubilden vermöge, so haben gerade wir in Bayern den
Unterschied zwischen abgerüsteten Rekruten und wirklichen Soldaten am aller-
schmerzlichsten kennen gelernt. Nach dem letzten Kriege hallte bei aller Aner¬
kennung der persönlichen Bravour unserer Soldaten das Land wieder von
Klagen über den Mangel an Disciplin und Gehorsam, ein großer Theil
der Schuld an dem unglücklichen Ausgang wurde mit Recht diesem Mangel
aufgebürdet. und nun soll eine kürzere Präsenz eingeführt werden, als selbst
vor dem Jahre 66 bestand! Da man auf den Versuch, den altbayrischen


lichen Rücksichtslosigkeit, welche das Kennzeichen ihrer Partei bildet, durchzu¬
setzen gedenken, so wäre das eine Leistung, welche der weicheren liberalen
Majorität der früheren Kammern nie gelungen ist. Dabei ist man leider
nicht stehen geblieben; es finden sich in dem Programm der Patrioten zwei
weitere Punkte, die ganz geeignet sind, die Organisation der Combattanten
zu zerreißen, und die Armee aus eine Stufe hin abzudrücken, die sie hier
noch niemals eingenommen hat. Zunächst ist eine starke Reducirung der
Cavallerie in Aussicht genommen, der in Zukunft nur die vorhandenen
6 Chevauxlegersregimenter zu verbleiben hätten, während 2 Uhlanen- und
2 Cuirassierregimenrer cussirt werden sollen, eine Anforderung, die mit der
cynischen Bemerkung empfohlen wurde, daß Preußen seine Cavallerie in der
jüngsten Zeit bedeutend vermehrt, und Bayern hierdurch die Gelegenheit
gewonnen habe, von seinen Bundesgenossen einmal etwas zu profitiren.
Der letzte und einschneidendste Vorschlag endlich betrifft die Präsenzzeit. Nach
den vom Militärausschuß eingezogenen offiziellen Aufschlüssen war dieselbe

bisher bei der Infanterie und den Jägern auf 2 Jahre,
bei der Cavallerie auf 3 Jahre,
bei der reitenden und fahrenden Feldartillerie auf 2 Jahr 8 Monate,
bei der übrigen Artillerie und Genie aus 2 Jahr 6 Monate fest¬

gesetzt. Kolb und mit ihm der Ausschuß will nun die Präsenz

bei der Infanterie, den Jägern und der nicht berittenen Artillerie im
1. Dienstjahr auf 6 Monate, im 2. auf 6 Wochen, im 3. auf
14 Tage, zusammen auf 8 Monate,
bei der reitenden Artillerie und Genie auf 12 Monate,
bei der Cavallerie auf 2 Jahre

eingeschränkt wissen. Damit wäre nach dem Urtheil aller Offiziere die Armee
glücklich ruinirt, ihr jeder Anstrich der Gleichförmigkeit mit den übrigen
deutschen Armeen genommen, und sehr entschieden hat es der Kriegsminister
bereits abgelehnt, die Verantwortung für einen solchen Zustand zu übernehmen.
Kann man schon darüber sehr verschiedener Meinung sein, ob in der hier
vorgestreckten Frist auch nur die bloße Ablichtung der Rekruten erzielt werden
könne, ob man beispielsweise in einem Zeitraum von 12 Monaten einen
erträglichen Reiter auszubilden vermöge, so haben gerade wir in Bayern den
Unterschied zwischen abgerüsteten Rekruten und wirklichen Soldaten am aller-
schmerzlichsten kennen gelernt. Nach dem letzten Kriege hallte bei aller Aner¬
kennung der persönlichen Bravour unserer Soldaten das Land wieder von
Klagen über den Mangel an Disciplin und Gehorsam, ein großer Theil
der Schuld an dem unglücklichen Ausgang wurde mit Recht diesem Mangel
aufgebürdet. und nun soll eine kürzere Präsenz eingeführt werden, als selbst
vor dem Jahre 66 bestand! Da man auf den Versuch, den altbayrischen


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[0134] lichen Rücksichtslosigkeit, welche das Kennzeichen ihrer Partei bildet, durchzu¬ setzen gedenken, so wäre das eine Leistung, welche der weicheren liberalen Majorität der früheren Kammern nie gelungen ist. Dabei ist man leider nicht stehen geblieben; es finden sich in dem Programm der Patrioten zwei weitere Punkte, die ganz geeignet sind, die Organisation der Combattanten zu zerreißen, und die Armee aus eine Stufe hin abzudrücken, die sie hier noch niemals eingenommen hat. Zunächst ist eine starke Reducirung der Cavallerie in Aussicht genommen, der in Zukunft nur die vorhandenen 6 Chevauxlegersregimenter zu verbleiben hätten, während 2 Uhlanen- und 2 Cuirassierregimenrer cussirt werden sollen, eine Anforderung, die mit der cynischen Bemerkung empfohlen wurde, daß Preußen seine Cavallerie in der jüngsten Zeit bedeutend vermehrt, und Bayern hierdurch die Gelegenheit gewonnen habe, von seinen Bundesgenossen einmal etwas zu profitiren. Der letzte und einschneidendste Vorschlag endlich betrifft die Präsenzzeit. Nach den vom Militärausschuß eingezogenen offiziellen Aufschlüssen war dieselbe bisher bei der Infanterie und den Jägern auf 2 Jahre, bei der Cavallerie auf 3 Jahre, bei der reitenden und fahrenden Feldartillerie auf 2 Jahr 8 Monate, bei der übrigen Artillerie und Genie aus 2 Jahr 6 Monate fest¬ gesetzt. Kolb und mit ihm der Ausschuß will nun die Präsenz bei der Infanterie, den Jägern und der nicht berittenen Artillerie im 1. Dienstjahr auf 6 Monate, im 2. auf 6 Wochen, im 3. auf 14 Tage, zusammen auf 8 Monate, bei der reitenden Artillerie und Genie auf 12 Monate, bei der Cavallerie auf 2 Jahre eingeschränkt wissen. Damit wäre nach dem Urtheil aller Offiziere die Armee glücklich ruinirt, ihr jeder Anstrich der Gleichförmigkeit mit den übrigen deutschen Armeen genommen, und sehr entschieden hat es der Kriegsminister bereits abgelehnt, die Verantwortung für einen solchen Zustand zu übernehmen. Kann man schon darüber sehr verschiedener Meinung sein, ob in der hier vorgestreckten Frist auch nur die bloße Ablichtung der Rekruten erzielt werden könne, ob man beispielsweise in einem Zeitraum von 12 Monaten einen erträglichen Reiter auszubilden vermöge, so haben gerade wir in Bayern den Unterschied zwischen abgerüsteten Rekruten und wirklichen Soldaten am aller- schmerzlichsten kennen gelernt. Nach dem letzten Kriege hallte bei aller Aner¬ kennung der persönlichen Bravour unserer Soldaten das Land wieder von Klagen über den Mangel an Disciplin und Gehorsam, ein großer Theil der Schuld an dem unglücklichen Ausgang wurde mit Recht diesem Mangel aufgebürdet. und nun soll eine kürzere Präsenz eingeführt werden, als selbst vor dem Jahre 66 bestand! Da man auf den Versuch, den altbayrischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/134>, abgerufen am 01.09.2024.