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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Rekruten die Disciplin auf dem Wege der scientiven Ueberzeugung beizu¬
bringen, wird verzichten müssen, welches Mittel bleibt dann übrig, als das
der Gewöhnung? Gerade bei der ungebändigten und widersetzlichen Natur
des altbayrischen Volksstammes ist eine längere Präsenz doppelt nothwendig.

Gegenüber solchen Attentaten aus den Bestand der Armee ist das Schicksal
der außerordentlichen Creditforderungen von untergeordneter Natur. Statt
der postulirten 6,436,000 Fi. wurden nur 2,950,000 von der Kammer der
Abgeordneten genehmigt, worunter die Summe von 2,473,000 Fi. zur An¬
schaffung der neuen Werdergewehre für die Infanterie bestimmt ist.

Mitten in die Militär-Debatte hinein fiel als Episode die Programm¬
rede des neuen Ministers Grasen Bray, und so ziemlich Alles, was hierüber
gesagt und geschrieben worden ist, darf in das Gebiet der Conjecturalpolitik
verwiesen werden. Die höflichen Verneigungen des Grasen nach allen Seiten
machen einen sichern Schluß auf die nun kommende Politik zur Unmöglich¬
keit. Daß man es hier nicht mit einem scharfumrissenen Programm zu thun
habe, beweist wohl der Umstand sehr deutlich, daß beide Parteien ihre An¬
sichten in demselben wieder finden. Die liberalen Blätter wollen in Bray
den Hohenlohe redivivus erkennen, während sich die Patrioten an der "Un¬
angreifbarkeit" Bayerns erlaben, und schon deshalb eine gewisse Zufrieden¬
heit an den Tag legen müssen, weil sich sonst von einem Erfolge ihres
Feldzuges nicht sprechen ließe. In der That wird aber keine der Parteien
von diesem Minister irgend etwas Entscheidendes erwarten. Bray rst der
Mann der Beruhigung, der mit einem Fuß in Wien stehen geblieben ist,
und nicht lange zu bleiben gedenkt. Er hat gewiß weder die Aufgabe noch
den Willen, die Bayrische Politik in eine neue Bahn überzuleiten, und sicher
war mit seiner Berufung nichts anderes bezweckt, als dem Ministerium
eine Persönlichkeit zu gewinnen, geeignet, das wallende Blut der Patrioten
in etwas zu beruhigen. Sollten in der nächsten Zeit politische Fragen auf¬
tauchen, in denen principielle Entschlüsse über die auswärtigen Beziehungen
Bayerns gefaßt werden müssen, so glauben wir fest, wird diese bereits sein
Nachfolger zu lösen haben. Auf die vorrübergehende Natur seines Ministe¬
riums weist das Offenlassen des Gesandtschastspostens in Wien sehr deut¬
lich hin.




Grenzboten it. 1870.17

Rekruten die Disciplin auf dem Wege der scientiven Ueberzeugung beizu¬
bringen, wird verzichten müssen, welches Mittel bleibt dann übrig, als das
der Gewöhnung? Gerade bei der ungebändigten und widersetzlichen Natur
des altbayrischen Volksstammes ist eine längere Präsenz doppelt nothwendig.

Gegenüber solchen Attentaten aus den Bestand der Armee ist das Schicksal
der außerordentlichen Creditforderungen von untergeordneter Natur. Statt
der postulirten 6,436,000 Fi. wurden nur 2,950,000 von der Kammer der
Abgeordneten genehmigt, worunter die Summe von 2,473,000 Fi. zur An¬
schaffung der neuen Werdergewehre für die Infanterie bestimmt ist.

Mitten in die Militär-Debatte hinein fiel als Episode die Programm¬
rede des neuen Ministers Grasen Bray, und so ziemlich Alles, was hierüber
gesagt und geschrieben worden ist, darf in das Gebiet der Conjecturalpolitik
verwiesen werden. Die höflichen Verneigungen des Grasen nach allen Seiten
machen einen sichern Schluß auf die nun kommende Politik zur Unmöglich¬
keit. Daß man es hier nicht mit einem scharfumrissenen Programm zu thun
habe, beweist wohl der Umstand sehr deutlich, daß beide Parteien ihre An¬
sichten in demselben wieder finden. Die liberalen Blätter wollen in Bray
den Hohenlohe redivivus erkennen, während sich die Patrioten an der „Un¬
angreifbarkeit" Bayerns erlaben, und schon deshalb eine gewisse Zufrieden¬
heit an den Tag legen müssen, weil sich sonst von einem Erfolge ihres
Feldzuges nicht sprechen ließe. In der That wird aber keine der Parteien
von diesem Minister irgend etwas Entscheidendes erwarten. Bray rst der
Mann der Beruhigung, der mit einem Fuß in Wien stehen geblieben ist,
und nicht lange zu bleiben gedenkt. Er hat gewiß weder die Aufgabe noch
den Willen, die Bayrische Politik in eine neue Bahn überzuleiten, und sicher
war mit seiner Berufung nichts anderes bezweckt, als dem Ministerium
eine Persönlichkeit zu gewinnen, geeignet, das wallende Blut der Patrioten
in etwas zu beruhigen. Sollten in der nächsten Zeit politische Fragen auf¬
tauchen, in denen principielle Entschlüsse über die auswärtigen Beziehungen
Bayerns gefaßt werden müssen, so glauben wir fest, wird diese bereits sein
Nachfolger zu lösen haben. Auf die vorrübergehende Natur seines Ministe¬
riums weist das Offenlassen des Gesandtschastspostens in Wien sehr deut¬
lich hin.




Grenzboten it. 1870.17
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[0135] Rekruten die Disciplin auf dem Wege der scientiven Ueberzeugung beizu¬ bringen, wird verzichten müssen, welches Mittel bleibt dann übrig, als das der Gewöhnung? Gerade bei der ungebändigten und widersetzlichen Natur des altbayrischen Volksstammes ist eine längere Präsenz doppelt nothwendig. Gegenüber solchen Attentaten aus den Bestand der Armee ist das Schicksal der außerordentlichen Creditforderungen von untergeordneter Natur. Statt der postulirten 6,436,000 Fi. wurden nur 2,950,000 von der Kammer der Abgeordneten genehmigt, worunter die Summe von 2,473,000 Fi. zur An¬ schaffung der neuen Werdergewehre für die Infanterie bestimmt ist. Mitten in die Militär-Debatte hinein fiel als Episode die Programm¬ rede des neuen Ministers Grasen Bray, und so ziemlich Alles, was hierüber gesagt und geschrieben worden ist, darf in das Gebiet der Conjecturalpolitik verwiesen werden. Die höflichen Verneigungen des Grasen nach allen Seiten machen einen sichern Schluß auf die nun kommende Politik zur Unmöglich¬ keit. Daß man es hier nicht mit einem scharfumrissenen Programm zu thun habe, beweist wohl der Umstand sehr deutlich, daß beide Parteien ihre An¬ sichten in demselben wieder finden. Die liberalen Blätter wollen in Bray den Hohenlohe redivivus erkennen, während sich die Patrioten an der „Un¬ angreifbarkeit" Bayerns erlaben, und schon deshalb eine gewisse Zufrieden¬ heit an den Tag legen müssen, weil sich sonst von einem Erfolge ihres Feldzuges nicht sprechen ließe. In der That wird aber keine der Parteien von diesem Minister irgend etwas Entscheidendes erwarten. Bray rst der Mann der Beruhigung, der mit einem Fuß in Wien stehen geblieben ist, und nicht lange zu bleiben gedenkt. Er hat gewiß weder die Aufgabe noch den Willen, die Bayrische Politik in eine neue Bahn überzuleiten, und sicher war mit seiner Berufung nichts anderes bezweckt, als dem Ministerium eine Persönlichkeit zu gewinnen, geeignet, das wallende Blut der Patrioten in etwas zu beruhigen. Sollten in der nächsten Zeit politische Fragen auf¬ tauchen, in denen principielle Entschlüsse über die auswärtigen Beziehungen Bayerns gefaßt werden müssen, so glauben wir fest, wird diese bereits sein Nachfolger zu lösen haben. Auf die vorrübergehende Natur seines Ministe¬ riums weist das Offenlassen des Gesandtschastspostens in Wien sehr deut¬ lich hin. Grenzboten it. 1870.17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/135>, abgerufen am 27.07.2024.