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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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dischen Verstand erfreut, versammelte vor einigen Wochen eines Tags sämmt¬
liche Volksvertreter privatim, um ihnen die Motive auseinanderzusetzen, welche
ihm ein völlig verändertes Wehrsystem als ein unaufschiebbares Gebot der
Zeit erscheinen ließen. Nicht alles natürlich, das in so beschaffener Zusam¬
menkunft angeführt werden konnte, hat nachgehend seinen Weg in eine zwar
immer zur Kritik sehr aufgelegte, aber doch auch entschieden patriotische Presse
gefunden. Zumal was General Raaslöff etwa nach diplomatischen Berichten
entweder über Frankreichs oder Rußlands, als der eventuellen zukünftigen
Bundesgenossen, gute Rathschläge oder über Preußens böse Absichten angedeu¬
tet haben mag, ist unenthüllt geblieben. Aber er hat jedenfalls auch hingewiesen
auf den stattlichen Zuwachs der norddeutschen Marine an Panzerschiffen.
Daß in dieser Hinsicht Dänemark den Wettlauf schon finanziell nicht aus¬
zuhalten im Stande sei, wird ihm leicht geworden sein, den des Landes
Steuerkraft vertretenden Hörern begreiflich zu machen. Die praktischen Con-
sequenzen freilich, die er daraus zog, gingen weit. Er schloß ungefähr so:
folglich muß Dänemark die alte Maxime fahren lassen, seinen Stand gegen
Deutschland durch Ueberlegenheit zur See behaupten zu wollen. Es muß
sie fahren lassen wegen der Unmöglichkeit, mit dem norddeutschen Bunde
fortan noch gleichen Schritt zu halten, und es kann sie fahren lassen, weil
der nächste Krieg uns voraussichtlich an der Seite einer Macht wird kämpfen
sehen, deren Flotte der preußischen mehr als gewachsen ist. Dagegen könne
das an der Flotte gesparte Geld sehr passend aus Verstärkung des Landheers
verwendet werden, dessen Operiren in Preußens nördlicher Flanke für den
eigentlichen Kriegsschauplatz die werthvollste Diversion sein würde.

Als Kriegs- und Marine-Minister konnte General Raaslöff dieses
neue Programm mit ungewöhnlicher Wirkung entwickeln. Trotzdem ist der¬
selbe keineswegs ohne bedeutsamen Einspruch geblieben; insbesondere hat
Admiral Steen Bille zur Befriedigung der tonangebenden hauptstädtischen
Blätter dargethan, daß soviel maritime Streitkraft nothwendig zu erhalten
sei, wie zur zeitweisen Vertheidigung des Großen Betts, d. h. Seelands und
der Stadt Kopenhagen gegen Uebergangsversuche vom Ostlande her gehörten.
Inwieweit demnach jenes Program consequent verfolgt werden wird, kann
erst die Folgezeit lehren, -- Die feierliche Auslassung der Norddeutschen All¬
gemeinen Zeitung ist schwerlich durch dasselbe hervorgerufen worden. Denn es
enthüllt schlechterdings keine bisher verschleierte Gesinnung, sondern gibt nur
eine Verändung der Ansichten über die besten Mittel kund, sich ferner gegen
Deutschlands Feindschaft zu behaupten.

Allein die Feindschaft -- gibt die norddeutsche Allgemeine Zeitung zu
verstehen, -- ist nur in Kopenhagen zu Hause. In Berlin denkt man nicht
daran, die Dänen mit Krieg zu überziehen; es sei denn daß eine allgemeine
europäische Verwickelung einträte, in welcher sie sich auf die Seite unserer


dischen Verstand erfreut, versammelte vor einigen Wochen eines Tags sämmt¬
liche Volksvertreter privatim, um ihnen die Motive auseinanderzusetzen, welche
ihm ein völlig verändertes Wehrsystem als ein unaufschiebbares Gebot der
Zeit erscheinen ließen. Nicht alles natürlich, das in so beschaffener Zusam¬
menkunft angeführt werden konnte, hat nachgehend seinen Weg in eine zwar
immer zur Kritik sehr aufgelegte, aber doch auch entschieden patriotische Presse
gefunden. Zumal was General Raaslöff etwa nach diplomatischen Berichten
entweder über Frankreichs oder Rußlands, als der eventuellen zukünftigen
Bundesgenossen, gute Rathschläge oder über Preußens böse Absichten angedeu¬
tet haben mag, ist unenthüllt geblieben. Aber er hat jedenfalls auch hingewiesen
auf den stattlichen Zuwachs der norddeutschen Marine an Panzerschiffen.
Daß in dieser Hinsicht Dänemark den Wettlauf schon finanziell nicht aus¬
zuhalten im Stande sei, wird ihm leicht geworden sein, den des Landes
Steuerkraft vertretenden Hörern begreiflich zu machen. Die praktischen Con-
sequenzen freilich, die er daraus zog, gingen weit. Er schloß ungefähr so:
folglich muß Dänemark die alte Maxime fahren lassen, seinen Stand gegen
Deutschland durch Ueberlegenheit zur See behaupten zu wollen. Es muß
sie fahren lassen wegen der Unmöglichkeit, mit dem norddeutschen Bunde
fortan noch gleichen Schritt zu halten, und es kann sie fahren lassen, weil
der nächste Krieg uns voraussichtlich an der Seite einer Macht wird kämpfen
sehen, deren Flotte der preußischen mehr als gewachsen ist. Dagegen könne
das an der Flotte gesparte Geld sehr passend aus Verstärkung des Landheers
verwendet werden, dessen Operiren in Preußens nördlicher Flanke für den
eigentlichen Kriegsschauplatz die werthvollste Diversion sein würde.

Als Kriegs- und Marine-Minister konnte General Raaslöff dieses
neue Programm mit ungewöhnlicher Wirkung entwickeln. Trotzdem ist der¬
selbe keineswegs ohne bedeutsamen Einspruch geblieben; insbesondere hat
Admiral Steen Bille zur Befriedigung der tonangebenden hauptstädtischen
Blätter dargethan, daß soviel maritime Streitkraft nothwendig zu erhalten
sei, wie zur zeitweisen Vertheidigung des Großen Betts, d. h. Seelands und
der Stadt Kopenhagen gegen Uebergangsversuche vom Ostlande her gehörten.
Inwieweit demnach jenes Program consequent verfolgt werden wird, kann
erst die Folgezeit lehren, — Die feierliche Auslassung der Norddeutschen All¬
gemeinen Zeitung ist schwerlich durch dasselbe hervorgerufen worden. Denn es
enthüllt schlechterdings keine bisher verschleierte Gesinnung, sondern gibt nur
eine Verändung der Ansichten über die besten Mittel kund, sich ferner gegen
Deutschlands Feindschaft zu behaupten.

Allein die Feindschaft — gibt die norddeutsche Allgemeine Zeitung zu
verstehen, — ist nur in Kopenhagen zu Hause. In Berlin denkt man nicht
daran, die Dänen mit Krieg zu überziehen; es sei denn daß eine allgemeine
europäische Verwickelung einträte, in welcher sie sich auf die Seite unserer


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[0122] dischen Verstand erfreut, versammelte vor einigen Wochen eines Tags sämmt¬ liche Volksvertreter privatim, um ihnen die Motive auseinanderzusetzen, welche ihm ein völlig verändertes Wehrsystem als ein unaufschiebbares Gebot der Zeit erscheinen ließen. Nicht alles natürlich, das in so beschaffener Zusam¬ menkunft angeführt werden konnte, hat nachgehend seinen Weg in eine zwar immer zur Kritik sehr aufgelegte, aber doch auch entschieden patriotische Presse gefunden. Zumal was General Raaslöff etwa nach diplomatischen Berichten entweder über Frankreichs oder Rußlands, als der eventuellen zukünftigen Bundesgenossen, gute Rathschläge oder über Preußens böse Absichten angedeu¬ tet haben mag, ist unenthüllt geblieben. Aber er hat jedenfalls auch hingewiesen auf den stattlichen Zuwachs der norddeutschen Marine an Panzerschiffen. Daß in dieser Hinsicht Dänemark den Wettlauf schon finanziell nicht aus¬ zuhalten im Stande sei, wird ihm leicht geworden sein, den des Landes Steuerkraft vertretenden Hörern begreiflich zu machen. Die praktischen Con- sequenzen freilich, die er daraus zog, gingen weit. Er schloß ungefähr so: folglich muß Dänemark die alte Maxime fahren lassen, seinen Stand gegen Deutschland durch Ueberlegenheit zur See behaupten zu wollen. Es muß sie fahren lassen wegen der Unmöglichkeit, mit dem norddeutschen Bunde fortan noch gleichen Schritt zu halten, und es kann sie fahren lassen, weil der nächste Krieg uns voraussichtlich an der Seite einer Macht wird kämpfen sehen, deren Flotte der preußischen mehr als gewachsen ist. Dagegen könne das an der Flotte gesparte Geld sehr passend aus Verstärkung des Landheers verwendet werden, dessen Operiren in Preußens nördlicher Flanke für den eigentlichen Kriegsschauplatz die werthvollste Diversion sein würde. Als Kriegs- und Marine-Minister konnte General Raaslöff dieses neue Programm mit ungewöhnlicher Wirkung entwickeln. Trotzdem ist der¬ selbe keineswegs ohne bedeutsamen Einspruch geblieben; insbesondere hat Admiral Steen Bille zur Befriedigung der tonangebenden hauptstädtischen Blätter dargethan, daß soviel maritime Streitkraft nothwendig zu erhalten sei, wie zur zeitweisen Vertheidigung des Großen Betts, d. h. Seelands und der Stadt Kopenhagen gegen Uebergangsversuche vom Ostlande her gehörten. Inwieweit demnach jenes Program consequent verfolgt werden wird, kann erst die Folgezeit lehren, — Die feierliche Auslassung der Norddeutschen All¬ gemeinen Zeitung ist schwerlich durch dasselbe hervorgerufen worden. Denn es enthüllt schlechterdings keine bisher verschleierte Gesinnung, sondern gibt nur eine Verändung der Ansichten über die besten Mittel kund, sich ferner gegen Deutschlands Feindschaft zu behaupten. Allein die Feindschaft — gibt die norddeutsche Allgemeine Zeitung zu verstehen, — ist nur in Kopenhagen zu Hause. In Berlin denkt man nicht daran, die Dänen mit Krieg zu überziehen; es sei denn daß eine allgemeine europäische Verwickelung einträte, in welcher sie sich auf die Seite unserer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/122>, abgerufen am 27.07.2024.