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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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besinnen konnte, vor, "wie heißt er doch gleich" -- "Köw av Lou o^II Kien";
es waren Gesprächein einem Unterrichtsbuch von Haardorf, einem Deutschen;
mein Lehrer, ein ächter Engländer, war ganz empört darüber, daß man von
Jemand sprechen wolle und seinen Namen nicht wisse und fand das im
höchsten Grade unschicklich. Das war ein Mstr, H.. später hatte ich bei
einem Carl of Seymoor Unterricht, dieselbe Stelle kam wieder vor, dieselbe
Entrüstung auch bei diesem über die Unschicklichkeit. Was würden diese
Engländer über den obigen Briefanfang erst indignirt sein müssen. Es ist
aber doch etwas daran an diesem national durchgehenden Verlangen nach
Besonnenheit und Haltung -- (der letzte war wohl ein jüngster Grafensohn,
der erste aber keineswegs vornehmer Art) -- dem deutschen Schlafrock- und
Pantoffelwesen gegenüber, das sich so gerne gehen läßt nach seiner Bequem¬
lichkeit und nach zufälligen Einzelheiten. Es kann auf beiden Seiten Gutes
herauskommen; es ist nur vom Unterschied die Rede. Auch dieser hebt sich
auf in der Durchbildung, die den Deutschen gehalten, den Engländer ge¬
müthlich werden läßt. So auch Einer an sich selbst den Uebergang aus
extremer Gemüthlichkeit in extreme Besonnenheit zeigen kann, wie Goethe in
seinen Jugendbriefen und den dictirten der letzten Zeit, da man die ersteren
nur geschrieben, die letzteren nur gedruckt sehen möchte. Ich wollte Sie aber
eigentlich nicht mit ethnographischer Weisheit regaliren, müßte überhaupt
wieder von vorn anfangen aus dem "erfahrnen Gleis zu kommen, käme
aber dann vielleicht in ein anderes falsches.--Ihr 4. Band ist durchaus sehr
schön, auch das Capitel vom Requiem kann man nicht gründlicher und ver¬
ständiger wünschen. Daß Sanctus und Benedictus nicht von Mozart sind
glaube ich gern, so reizend beide Sätze sind. Es kommt Einzelnes darin vor
was Mozart nicht macht, von der Jnstrumentation noch abgesehen. So ist
die L-ani'-Messe, die ich eben jetzt für den nächsten Sonntag probirt habe
unächt in Einzelheiten, daß, wenn sie auch nicht die Clartnetten hätte, man
doch sehen könnte, daß sie nicht von Mozart ist. Dabei wieder in Vielem
dem ganzen Ton nach so mozartisch, daß man sich verwundern könnte, wie ein
Anderer sich so hineingefühlt hat, da man doch nicht so viel Mozart'sches
auch aus seiner Zeit bei Anderen findet. Denn daß man jetzt oder etwas
früher viel Mendelssohn'sches, Spohr'sches, Schumann'sches hört, ist immer
noch etwas Anderes, die haben alle so viel Manier, an der man sie selbst in jedem
Tacte wieder erkennt, daß sie leicht nachzuahmen sind. Es ist ganz spaßhaft,
wie unsere jungen Conservatoristen ganze Stücke componiren, die so durch¬
aus Mendelssohn sind, und es ihnen gar nicht in den Sinn kommt, daß das
Zeug ihnen gar nicht angehört. Es ist auch gar nicht, daß man hier und
dort sagen könnte, das ist da und daher, es ist aber Alles aus dem Mendels-
sohn's-Brunnen geschöpft. Sie sind wie die Raupen auf der Reseda, grade


Grenzboten II. 1870. 13

besinnen konnte, vor, „wie heißt er doch gleich" — „Köw av Lou o^II Kien";
es waren Gesprächein einem Unterrichtsbuch von Haardorf, einem Deutschen;
mein Lehrer, ein ächter Engländer, war ganz empört darüber, daß man von
Jemand sprechen wolle und seinen Namen nicht wisse und fand das im
höchsten Grade unschicklich. Das war ein Mstr, H.. später hatte ich bei
einem Carl of Seymoor Unterricht, dieselbe Stelle kam wieder vor, dieselbe
Entrüstung auch bei diesem über die Unschicklichkeit. Was würden diese
Engländer über den obigen Briefanfang erst indignirt sein müssen. Es ist
aber doch etwas daran an diesem national durchgehenden Verlangen nach
Besonnenheit und Haltung — (der letzte war wohl ein jüngster Grafensohn,
der erste aber keineswegs vornehmer Art) — dem deutschen Schlafrock- und
Pantoffelwesen gegenüber, das sich so gerne gehen läßt nach seiner Bequem¬
lichkeit und nach zufälligen Einzelheiten. Es kann auf beiden Seiten Gutes
herauskommen; es ist nur vom Unterschied die Rede. Auch dieser hebt sich
auf in der Durchbildung, die den Deutschen gehalten, den Engländer ge¬
müthlich werden läßt. So auch Einer an sich selbst den Uebergang aus
extremer Gemüthlichkeit in extreme Besonnenheit zeigen kann, wie Goethe in
seinen Jugendbriefen und den dictirten der letzten Zeit, da man die ersteren
nur geschrieben, die letzteren nur gedruckt sehen möchte. Ich wollte Sie aber
eigentlich nicht mit ethnographischer Weisheit regaliren, müßte überhaupt
wieder von vorn anfangen aus dem »erfahrnen Gleis zu kommen, käme
aber dann vielleicht in ein anderes falsches.—Ihr 4. Band ist durchaus sehr
schön, auch das Capitel vom Requiem kann man nicht gründlicher und ver¬
ständiger wünschen. Daß Sanctus und Benedictus nicht von Mozart sind
glaube ich gern, so reizend beide Sätze sind. Es kommt Einzelnes darin vor
was Mozart nicht macht, von der Jnstrumentation noch abgesehen. So ist
die L-ani'-Messe, die ich eben jetzt für den nächsten Sonntag probirt habe
unächt in Einzelheiten, daß, wenn sie auch nicht die Clartnetten hätte, man
doch sehen könnte, daß sie nicht von Mozart ist. Dabei wieder in Vielem
dem ganzen Ton nach so mozartisch, daß man sich verwundern könnte, wie ein
Anderer sich so hineingefühlt hat, da man doch nicht so viel Mozart'sches
auch aus seiner Zeit bei Anderen findet. Denn daß man jetzt oder etwas
früher viel Mendelssohn'sches, Spohr'sches, Schumann'sches hört, ist immer
noch etwas Anderes, die haben alle so viel Manier, an der man sie selbst in jedem
Tacte wieder erkennt, daß sie leicht nachzuahmen sind. Es ist ganz spaßhaft,
wie unsere jungen Conservatoristen ganze Stücke componiren, die so durch¬
aus Mendelssohn sind, und es ihnen gar nicht in den Sinn kommt, daß das
Zeug ihnen gar nicht angehört. Es ist auch gar nicht, daß man hier und
dort sagen könnte, das ist da und daher, es ist aber Alles aus dem Mendels-
sohn's-Brunnen geschöpft. Sie sind wie die Raupen auf der Reseda, grade


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[0103] besinnen konnte, vor, „wie heißt er doch gleich" — „Köw av Lou o^II Kien"; es waren Gesprächein einem Unterrichtsbuch von Haardorf, einem Deutschen; mein Lehrer, ein ächter Engländer, war ganz empört darüber, daß man von Jemand sprechen wolle und seinen Namen nicht wisse und fand das im höchsten Grade unschicklich. Das war ein Mstr, H.. später hatte ich bei einem Carl of Seymoor Unterricht, dieselbe Stelle kam wieder vor, dieselbe Entrüstung auch bei diesem über die Unschicklichkeit. Was würden diese Engländer über den obigen Briefanfang erst indignirt sein müssen. Es ist aber doch etwas daran an diesem national durchgehenden Verlangen nach Besonnenheit und Haltung — (der letzte war wohl ein jüngster Grafensohn, der erste aber keineswegs vornehmer Art) — dem deutschen Schlafrock- und Pantoffelwesen gegenüber, das sich so gerne gehen läßt nach seiner Bequem¬ lichkeit und nach zufälligen Einzelheiten. Es kann auf beiden Seiten Gutes herauskommen; es ist nur vom Unterschied die Rede. Auch dieser hebt sich auf in der Durchbildung, die den Deutschen gehalten, den Engländer ge¬ müthlich werden läßt. So auch Einer an sich selbst den Uebergang aus extremer Gemüthlichkeit in extreme Besonnenheit zeigen kann, wie Goethe in seinen Jugendbriefen und den dictirten der letzten Zeit, da man die ersteren nur geschrieben, die letzteren nur gedruckt sehen möchte. Ich wollte Sie aber eigentlich nicht mit ethnographischer Weisheit regaliren, müßte überhaupt wieder von vorn anfangen aus dem »erfahrnen Gleis zu kommen, käme aber dann vielleicht in ein anderes falsches.—Ihr 4. Band ist durchaus sehr schön, auch das Capitel vom Requiem kann man nicht gründlicher und ver¬ ständiger wünschen. Daß Sanctus und Benedictus nicht von Mozart sind glaube ich gern, so reizend beide Sätze sind. Es kommt Einzelnes darin vor was Mozart nicht macht, von der Jnstrumentation noch abgesehen. So ist die L-ani'-Messe, die ich eben jetzt für den nächsten Sonntag probirt habe unächt in Einzelheiten, daß, wenn sie auch nicht die Clartnetten hätte, man doch sehen könnte, daß sie nicht von Mozart ist. Dabei wieder in Vielem dem ganzen Ton nach so mozartisch, daß man sich verwundern könnte, wie ein Anderer sich so hineingefühlt hat, da man doch nicht so viel Mozart'sches auch aus seiner Zeit bei Anderen findet. Denn daß man jetzt oder etwas früher viel Mendelssohn'sches, Spohr'sches, Schumann'sches hört, ist immer noch etwas Anderes, die haben alle so viel Manier, an der man sie selbst in jedem Tacte wieder erkennt, daß sie leicht nachzuahmen sind. Es ist ganz spaßhaft, wie unsere jungen Conservatoristen ganze Stücke componiren, die so durch¬ aus Mendelssohn sind, und es ihnen gar nicht in den Sinn kommt, daß das Zeug ihnen gar nicht angehört. Es ist auch gar nicht, daß man hier und dort sagen könnte, das ist da und daher, es ist aber Alles aus dem Mendels- sohn's-Brunnen geschöpft. Sie sind wie die Raupen auf der Reseda, grade Grenzboten II. 1870. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/103>, abgerufen am 18.12.2024.