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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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so grün wie das Kraut, was sie fressen. Mozart's Wesen ist die Reinheit
und Gesundheit. Die Krankheit kann man von einem Andern bekommen;
die Gesundheit muß Einer in sich selbst haben. Wo in Mozart Manier sich
zeigt, ist es Manier der Zeit, und der wird Keiner entgehen können, sowenig
Mozart wie Bach und wie Palestrina. Und da nicht Alles, was Einer pro-
ducirt, auf gleicher Höhe stehen kann, so wird, wo die strahlende Kraft we¬
niger mächtig ist, den Dunst der Zeitatmosphäre zu durchbrechen, diese aus
die Production drücken, sie durchdringen und Anderem ähnlich machen, was
aus derselben Zeit hervorgegangen ist, daß es uns veraltet erscheint. So
klingt Titus älter als Don Juan und Figaro, die letzten drei Quartette
älter als die ersten sechs. -- Ihr Mozart wird schon recht ausgebeutet, er lie¬
fert oft Material in die Tagesblätter, musikalische und nicht musikalische,
und man kann sichs gefallen lassen. . .

Von Spohr's Biographie haben Sie die ersten zwei Lieferungen ge"
alß schon gesehen, der dritte Theil des Ganzen. Ich bin von vorn¬
herein nicht zu Rathe gezogen worden. Es ist hauptsächlich wohl Oetker,
der die Redaction besorgt, der mit so etwas auch ganz gut umzugehen weiß,
besser wie ich, der ich sehr oft in Verlegenheit gekommen wäre, was aufzu¬
nehmen, was gestrichen werden soll und nicht hätte zum Entschluß kommen
können. Den Wiener Aufenthalt und die italienische Reise habe ich im Manu-
script hier gehabt und mußte zuletzt meine Zustimmung geben, Alles zu
drucken, wie es steht, weil das, was in der Historie unbedeutend ist, doch für
das Wesen der Biographie Interesse hat, zuweilen mehr für die kleine als
eine große Ansicht der Zustände und Dinge. Spaßhaft ist, wie er vom
Wiener Ausenthalt so Manches vorbringt, was nicht wahr ist, er muß ihn
später, nicht nach Tagebüchern, erst aufgeschrieben haben. So läßt er mich
dort angestellt sein, was nie der Fall war. Ich war vom April bis
August 1813 dort, begegnete Spohr in Prag, da er nach Gotha reiste, die
Kinder und den Bruder nach Wien zu holen, wo die Frau in der Zeit
allein blieb. Da ich nach seiner Rückkunft in Wien nach einiger Zeit nach
Dresden zurückgehen wollte, war sein Wunsch, daß ich in Wien bliebe, und
er wollte mir im Orchester des Theaters an der Wien, wo er Vorgeiger
war (der Capellmeister war nur Titel) eine Anstellung verschaffen, ich hatte
auch schon Probe gespielt und war. damals gut im Zuge. Da erfuhr ich,
daß ein anderer recht guter Geiger (Scholz hieß er) meiner Anstellung wegen
verabschiedet werden sollte, und erklärte bei aller Schätzung der Zuneigung
Spohr's, daß ich die Stelle unter der Bedingung nicht wolle. Ich habe
dort nie im Theaterorchester gesessen, aber meine große Freude über den da¬
maligen Zustand dieses Theaters gehabt. Mit Maria Weber war ich von
Prag nach Wien gekommen und wohnte auch die Zeit, die er sich dort aus-


so grün wie das Kraut, was sie fressen. Mozart's Wesen ist die Reinheit
und Gesundheit. Die Krankheit kann man von einem Andern bekommen;
die Gesundheit muß Einer in sich selbst haben. Wo in Mozart Manier sich
zeigt, ist es Manier der Zeit, und der wird Keiner entgehen können, sowenig
Mozart wie Bach und wie Palestrina. Und da nicht Alles, was Einer pro-
ducirt, auf gleicher Höhe stehen kann, so wird, wo die strahlende Kraft we¬
niger mächtig ist, den Dunst der Zeitatmosphäre zu durchbrechen, diese aus
die Production drücken, sie durchdringen und Anderem ähnlich machen, was
aus derselben Zeit hervorgegangen ist, daß es uns veraltet erscheint. So
klingt Titus älter als Don Juan und Figaro, die letzten drei Quartette
älter als die ersten sechs. — Ihr Mozart wird schon recht ausgebeutet, er lie¬
fert oft Material in die Tagesblätter, musikalische und nicht musikalische,
und man kann sichs gefallen lassen. . .

Von Spohr's Biographie haben Sie die ersten zwei Lieferungen ge«
alß schon gesehen, der dritte Theil des Ganzen. Ich bin von vorn¬
herein nicht zu Rathe gezogen worden. Es ist hauptsächlich wohl Oetker,
der die Redaction besorgt, der mit so etwas auch ganz gut umzugehen weiß,
besser wie ich, der ich sehr oft in Verlegenheit gekommen wäre, was aufzu¬
nehmen, was gestrichen werden soll und nicht hätte zum Entschluß kommen
können. Den Wiener Aufenthalt und die italienische Reise habe ich im Manu-
script hier gehabt und mußte zuletzt meine Zustimmung geben, Alles zu
drucken, wie es steht, weil das, was in der Historie unbedeutend ist, doch für
das Wesen der Biographie Interesse hat, zuweilen mehr für die kleine als
eine große Ansicht der Zustände und Dinge. Spaßhaft ist, wie er vom
Wiener Ausenthalt so Manches vorbringt, was nicht wahr ist, er muß ihn
später, nicht nach Tagebüchern, erst aufgeschrieben haben. So läßt er mich
dort angestellt sein, was nie der Fall war. Ich war vom April bis
August 1813 dort, begegnete Spohr in Prag, da er nach Gotha reiste, die
Kinder und den Bruder nach Wien zu holen, wo die Frau in der Zeit
allein blieb. Da ich nach seiner Rückkunft in Wien nach einiger Zeit nach
Dresden zurückgehen wollte, war sein Wunsch, daß ich in Wien bliebe, und
er wollte mir im Orchester des Theaters an der Wien, wo er Vorgeiger
war (der Capellmeister war nur Titel) eine Anstellung verschaffen, ich hatte
auch schon Probe gespielt und war. damals gut im Zuge. Da erfuhr ich,
daß ein anderer recht guter Geiger (Scholz hieß er) meiner Anstellung wegen
verabschiedet werden sollte, und erklärte bei aller Schätzung der Zuneigung
Spohr's, daß ich die Stelle unter der Bedingung nicht wolle. Ich habe
dort nie im Theaterorchester gesessen, aber meine große Freude über den da¬
maligen Zustand dieses Theaters gehabt. Mit Maria Weber war ich von
Prag nach Wien gekommen und wohnte auch die Zeit, die er sich dort aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/104>, abgerufen am 27.07.2024.