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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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rein polnischen Lande einnehmen, gedenken sie ihre Posten zu behaupten und
sehen sie muthig in die Zukunft, die ihnen die Früchte ihres Fleißes und
ihrer Aufwendungen bringen soll. Dem wohlthätigen Einfluß fester Ord¬
nung in den Arbeits- und Lohnverhältnissen hat das Mißtrauen, mit welchem
die ländliche Bevölkerung die ketzerischen Fremdlinge aufnahm, auf die Dauer
nicht Stand zu halten vermocht und selbst wo der Dorfpriester aus seiner
Abneigung gegen den neuen herrschaftlichen Nachbarn kein Hehl macht, kann
dieser sicher und ungefährdet seinen Weg gehen.

Unter dem klugen Gespräch, das die norddeutschen Insassen der Umgegend
von Bochia geführt haben, ist die Flasche mit süßem feurigem Rüster bald
leer geworden, die Wartezeit verronnen. Die Glocke kündigt das Eintreffen des
Wiener Courirzugs an -- man wechselt Gruß und Karte mit den neuen Bekann¬
ten, derConducteur ruft sein: Einsteigen -- prosi^in Mre -- >v' Krakow und mit
Sturmeseile geht es durch die rabenschwarze kalte Nacht weiter nach Osten.

Bei einer winterlichen Reise nach Galizien besteht die Gesellschaft, auf welche
man während der langwierigen Fahrt angewiesen ist und der man sich nicht
immer entziehen kann, aus der ersten Classe aus vornehmeren polnischen
Gutsbesitzern, die in der nächsten Stadt aussteigen, -- auf der zweiten Classe
aus reisenden Handelsleuten und k. k. Officieren, die plötzlich aus dem Donau-
Capua, von der italienischen Grenze oder von den romantischen Ufern der
Salzach in die gefurchtsten Garnisonen an der Weichsel, des San oder
Dniester übergeführt worden sind. Von den letzreren, die selbst Fremdlinge
sind und gewöhnlich Fremdlinge bleiben, läßt sich für die Kenntniß von Land
und Leuten gar nichts, von den ersteren nur in Ausnahmefällen lernen.
Stundenlang konnten Handelsleute, die sich eben erst im Coupi kennen ge¬
lernt hatten, über Galizien und die "Galizianer" (diese Bezeichnung ist bei den
örtlichen Deutschen die übliche) reden, ohne daß auch nur ein Wort gefallen
wäre, das eine Spur von Einsicht in die Eigenthümlichkeit dieses merkwürdi¬
gen Landes verrathen hätte. Preise und wieder Preise, vorigjährige und
heurige, Preise für Vieh und für Pferde, für Branntwein und für Gerste,
aber keine Silbe über das Land, in dem diese Jünger Mercurs den größten
Theil des Jahres zubringen, in dem sie (wie ein betriebsamer Aufkäufer von
Vieh rühmte) "jeden Kuh- und jeden Pferdeschwanz kennen." Obgleich die
Gesellschaft fortwährend wechselte, blieben die Gesprächsgegenstände von Osz-
wienczym bis südlich von Czernowitz dieselben, soweit sie von deutschen Han¬
delsleuten geführt wurden. Ein besonders intelligenter Kopf, der nach
Jaroslaw fuhr, um durch Masseneinkauf von Branntwein auf die Preise
der Producenten am Breslauer Markt drücken zu können und beständig von
dem hohen Werth der "Intelligenz" in "unserer Zeit" sprach, -- ließ sich aus¬
nahmsweise herab, die Ueppigkeiten des Lemberger Lebens zu schildern, "das


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rein polnischen Lande einnehmen, gedenken sie ihre Posten zu behaupten und
sehen sie muthig in die Zukunft, die ihnen die Früchte ihres Fleißes und
ihrer Aufwendungen bringen soll. Dem wohlthätigen Einfluß fester Ord¬
nung in den Arbeits- und Lohnverhältnissen hat das Mißtrauen, mit welchem
die ländliche Bevölkerung die ketzerischen Fremdlinge aufnahm, auf die Dauer
nicht Stand zu halten vermocht und selbst wo der Dorfpriester aus seiner
Abneigung gegen den neuen herrschaftlichen Nachbarn kein Hehl macht, kann
dieser sicher und ungefährdet seinen Weg gehen.

Unter dem klugen Gespräch, das die norddeutschen Insassen der Umgegend
von Bochia geführt haben, ist die Flasche mit süßem feurigem Rüster bald
leer geworden, die Wartezeit verronnen. Die Glocke kündigt das Eintreffen des
Wiener Courirzugs an — man wechselt Gruß und Karte mit den neuen Bekann¬
ten, derConducteur ruft sein: Einsteigen — prosi^in Mre — >v' Krakow und mit
Sturmeseile geht es durch die rabenschwarze kalte Nacht weiter nach Osten.

Bei einer winterlichen Reise nach Galizien besteht die Gesellschaft, auf welche
man während der langwierigen Fahrt angewiesen ist und der man sich nicht
immer entziehen kann, aus der ersten Classe aus vornehmeren polnischen
Gutsbesitzern, die in der nächsten Stadt aussteigen, — auf der zweiten Classe
aus reisenden Handelsleuten und k. k. Officieren, die plötzlich aus dem Donau-
Capua, von der italienischen Grenze oder von den romantischen Ufern der
Salzach in die gefurchtsten Garnisonen an der Weichsel, des San oder
Dniester übergeführt worden sind. Von den letzreren, die selbst Fremdlinge
sind und gewöhnlich Fremdlinge bleiben, läßt sich für die Kenntniß von Land
und Leuten gar nichts, von den ersteren nur in Ausnahmefällen lernen.
Stundenlang konnten Handelsleute, die sich eben erst im Coupi kennen ge¬
lernt hatten, über Galizien und die „Galizianer" (diese Bezeichnung ist bei den
örtlichen Deutschen die übliche) reden, ohne daß auch nur ein Wort gefallen
wäre, das eine Spur von Einsicht in die Eigenthümlichkeit dieses merkwürdi¬
gen Landes verrathen hätte. Preise und wieder Preise, vorigjährige und
heurige, Preise für Vieh und für Pferde, für Branntwein und für Gerste,
aber keine Silbe über das Land, in dem diese Jünger Mercurs den größten
Theil des Jahres zubringen, in dem sie (wie ein betriebsamer Aufkäufer von
Vieh rühmte) „jeden Kuh- und jeden Pferdeschwanz kennen." Obgleich die
Gesellschaft fortwährend wechselte, blieben die Gesprächsgegenstände von Osz-
wienczym bis südlich von Czernowitz dieselben, soweit sie von deutschen Han¬
delsleuten geführt wurden. Ein besonders intelligenter Kopf, der nach
Jaroslaw fuhr, um durch Masseneinkauf von Branntwein auf die Preise
der Producenten am Breslauer Markt drücken zu können und beständig von
dem hohen Werth der „Intelligenz" in „unserer Zeit" sprach, — ließ sich aus¬
nahmsweise herab, die Ueppigkeiten des Lemberger Lebens zu schildern, „das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/81>, abgerufen am 26.06.2024.