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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Samogitien spielt der über die Grenze gewanderte kurländische Baron genau
dieselbe Rolle, wie der preußische Rittergutsbesitzer in Galizien: weil beide
selbst wirthschaften, ihre Ausgaben nach den Einnahmen Zuschneiden, Capi¬
talien mitbringen und ihre Leute baar bezahlen (die landesübliche Münze, in
der der Herr den Knecht lohnt, ist eine Anweisung auf die "Propination"
h. den Schenkwirthen oder Händler) find sie unbesiegbare Concurrenten,
die sich behaupten, wo sie ein Mal Fuß gefaßt haben.

Die Bekanntschaft mit den stammverwandten Nachbarn an der polnischen
Tafel ist bald gemacht. Vor drei Jahren sind die Herren, gelockt durch unver-
hältnißmäßig niedrige Preise und unverkennbare Fruchtbarkeit des jungfräulichen
Bodens, in das Land gekommen; es hat viel Geld und noch mehr Mühe
gekostet, die verfallenen Wirthschaften, welche sie vorfanden, zu organisiren,
das fleißige, anstellige, aber zügellose Landvolk an Ordnung und Pünktlichkeit
zu gewöhnen. "Schlimmer als die Recruten aus Oberschlesien oder Litthauen
sind die Masuren und Krakusen nicht" und alte preußische Offiziere verstehen
sich aus rasche Dressur. "Es hat bei uns Alles seine militärische Ordnung
und in die finden sich die Leute am Besten. Auf Ertrag ist bei den un¬
vermeidlichen Aufwendungen der ersten Jahre nicht zu rechnen, aber wir
wären ja nicht nach Galizien gekommen, wenn wir nicht aushalten könnten."
Ist die Arbeit der Organisation und des Neubaues der Wirthschaftsgebäude
und Maschinen ein Mal glücklich beendet, so kann mit Sicherheet auf reichen
Gewinn gerechnet werden. Das Land ist von unerschöpflicher Fruchtbarkeit
und bringt bei mäßiger Cultur unvergleichliche Ernten -- die Viehzucht ren¬
tirr sich mit Sicherheit, der Nachfrage nach galizischen Ochsen ist bei den
Viehhändlern an der schlesischen Grenze kein Ende; auch die Branntwein-
production ist bedeutend und die im Bau begriffene Fortsetzung der Lemberg-
Czernowitzer Bahn (über Suczawa nach Jassy) kann nur dazu beitragen, den
Absatz galizischer Produkte zu vermehren und das wirthschaftliche Leben des
Landes zu beleben. Während die Wiederherstellung der polnischen Autono¬
mie und die Anerkennung des Herrschaftsrechts dieser Nation in Galizien
auf die deutsch-östreichische Einwohnerschaft des Landes entmuthigend gewirkt
und einen Theil derselben zur Rückkehr in die Heimath bewegt hat, schreitet
die norddeutsche Colonisation rüstig vorwärts, und wesentlich die Unsicherheit
der Verhältnisse hat verschuldet, daß den deutschen Landwirthen nicht auch
Industrielle in größerer Anzahl an die Ufer des San und Sanok gefolgt
sind. Die Zahl der norddeutschen Landwirthe in Galizien hat sich grade in
den letzten Jahren so ansehnlich vermehrt, daß -- wie meine Nachbaren er-
erzählten -- die Preise z. B. in der Umgegend Lembergs hinaufgegangen
sind und vortheilhafte neue Ansiedlungen erschwert haben. Trotz der isolir-
ten Stellung, welche die norddeutschen Gutsbesitzer in diesem gegenwärtig


Samogitien spielt der über die Grenze gewanderte kurländische Baron genau
dieselbe Rolle, wie der preußische Rittergutsbesitzer in Galizien: weil beide
selbst wirthschaften, ihre Ausgaben nach den Einnahmen Zuschneiden, Capi¬
talien mitbringen und ihre Leute baar bezahlen (die landesübliche Münze, in
der der Herr den Knecht lohnt, ist eine Anweisung auf die „Propination"
h. den Schenkwirthen oder Händler) find sie unbesiegbare Concurrenten,
die sich behaupten, wo sie ein Mal Fuß gefaßt haben.

Die Bekanntschaft mit den stammverwandten Nachbarn an der polnischen
Tafel ist bald gemacht. Vor drei Jahren sind die Herren, gelockt durch unver-
hältnißmäßig niedrige Preise und unverkennbare Fruchtbarkeit des jungfräulichen
Bodens, in das Land gekommen; es hat viel Geld und noch mehr Mühe
gekostet, die verfallenen Wirthschaften, welche sie vorfanden, zu organisiren,
das fleißige, anstellige, aber zügellose Landvolk an Ordnung und Pünktlichkeit
zu gewöhnen. „Schlimmer als die Recruten aus Oberschlesien oder Litthauen
sind die Masuren und Krakusen nicht" und alte preußische Offiziere verstehen
sich aus rasche Dressur. „Es hat bei uns Alles seine militärische Ordnung
und in die finden sich die Leute am Besten. Auf Ertrag ist bei den un¬
vermeidlichen Aufwendungen der ersten Jahre nicht zu rechnen, aber wir
wären ja nicht nach Galizien gekommen, wenn wir nicht aushalten könnten."
Ist die Arbeit der Organisation und des Neubaues der Wirthschaftsgebäude
und Maschinen ein Mal glücklich beendet, so kann mit Sicherheet auf reichen
Gewinn gerechnet werden. Das Land ist von unerschöpflicher Fruchtbarkeit
und bringt bei mäßiger Cultur unvergleichliche Ernten — die Viehzucht ren¬
tirr sich mit Sicherheit, der Nachfrage nach galizischen Ochsen ist bei den
Viehhändlern an der schlesischen Grenze kein Ende; auch die Branntwein-
production ist bedeutend und die im Bau begriffene Fortsetzung der Lemberg-
Czernowitzer Bahn (über Suczawa nach Jassy) kann nur dazu beitragen, den
Absatz galizischer Produkte zu vermehren und das wirthschaftliche Leben des
Landes zu beleben. Während die Wiederherstellung der polnischen Autono¬
mie und die Anerkennung des Herrschaftsrechts dieser Nation in Galizien
auf die deutsch-östreichische Einwohnerschaft des Landes entmuthigend gewirkt
und einen Theil derselben zur Rückkehr in die Heimath bewegt hat, schreitet
die norddeutsche Colonisation rüstig vorwärts, und wesentlich die Unsicherheit
der Verhältnisse hat verschuldet, daß den deutschen Landwirthen nicht auch
Industrielle in größerer Anzahl an die Ufer des San und Sanok gefolgt
sind. Die Zahl der norddeutschen Landwirthe in Galizien hat sich grade in
den letzten Jahren so ansehnlich vermehrt, daß — wie meine Nachbaren er-
erzählten — die Preise z. B. in der Umgegend Lembergs hinaufgegangen
sind und vortheilhafte neue Ansiedlungen erschwert haben. Trotz der isolir-
ten Stellung, welche die norddeutschen Gutsbesitzer in diesem gegenwärtig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/80>, abgerufen am 26.06.2024.