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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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toller ist wie in Paris", und gelegentlich einige Worte über den verderblichen
Einfluß der Politik auf das galizische Geschäft von sich zu geben. Wo Offi-
ciere in den Zug stiegen, wurde sofort die Bocca ti Cattaro aufs Tapet ge¬
bracht und die Schwierigkeit der Kriegführung in Ländern discutirt, von
denen man keine Karten besitzt.

Für den verwöhnten Touristen, der den Reiz einer Reise nach der Höhe
der Berge an denen er vorüber fährt und an dem Tarif des Gasthofs mißt,
indem er seine Herberge nimmt, -- für diesen bietet der Weg über die
Ebene, die von Auschwitz nach Krakau und weiter nach Lemberg führt, kaum
ein Interesse. Zumal im Winter, wo Bäume, Berge und Häuser dieselbe
Farblosigkeit zeigen, dichte Pelze die eigenthümlichen Trachten der Galizien
bewohnenden Stämme verhüllen, unaufhörlich wiederkehrende Regenstrome
die Landschaft verhüllen, die Menschen mit denen man zusammengepfercht
ist, schläfrige und gelangweilte Mienen zeigen, ist es nicht Jedermanns Ding,
bei Humor zu bleiben. Anders für den Mann der unter verschiedenen Völker¬
schaften, an der Grenze feindlicher Culturgebiete gelebt hat, der die socialen
Gewohnheiten der Völker nicht blos nach ihrer Außenseite beurtheilt, Mannig¬
faltigkeit der Lebensformen anziehender findet, als die Eintönigkeit einer
Cultur, die durch stete Selbstbewunderung dabei angelangt ist, sich für allein
berechtigt oder allein existirend anzusehen. Diesem bietet Galizien ein grö¬
ßeres Interesse, als selbst die Ossolinskische Bibliothek Lembergs, zu
deren Besuch er sich auf den Weg gemacht hat, denn selten findet sich
auf verhältnißmäßig engem Raum eine solche Mannigfaltigkeit verschiedener
historischer Bildungen, wie in diesem Lande. Alt- und neu-polnische, russi¬
sche, wolynische und podolische Elemente liegen dicht neben einander und
man hat nur nöthig, eine Nachtfahrt dran zu setzen, um aus der polnisch¬
russischen Welt, die Galizien heißt, an die Vorposten des rumänischen Sprach-
und Culturgebiets zu gelangen und einen Vorschmack orientalischen Lebens
zu gewinnen.

Schon in Oszwienczym haben wir erfahren, daß die schlesischen Herzog-
thümer Auschwitz und Zator (die bis zum I. 1866 zum deutschen Bunde ge¬
hörten) so vollständig polonistrt sind, daß sie zu dem polnischen Galizien ge¬
rechnet werden müssen. Fährt man nur einige Stunden weiter nach Osten,
so kommt man aus diesem Lande, dessen Bewohner zwischen Krakusen und
Wasserpolacken stehen, auf alt-polnischen Boden. Die Quadratmeilen
umfassenden Territorien, welche zu der im I. 1846 unter dem Titel eines
Großherzogthums mit Galizien vereinigten Republik Krakau gehören, bilde¬
ten in alter Zeit einen Theil des sog. Kleinpolen und haben eine wichtige
Rolle in der Geschichte der Reox xosxolitaM gespielt. Hier walteten schon vor
einem Jahrtausend polnische Herrscher, auf diesem Boden haben Polen und


toller ist wie in Paris", und gelegentlich einige Worte über den verderblichen
Einfluß der Politik auf das galizische Geschäft von sich zu geben. Wo Offi-
ciere in den Zug stiegen, wurde sofort die Bocca ti Cattaro aufs Tapet ge¬
bracht und die Schwierigkeit der Kriegführung in Ländern discutirt, von
denen man keine Karten besitzt.

Für den verwöhnten Touristen, der den Reiz einer Reise nach der Höhe
der Berge an denen er vorüber fährt und an dem Tarif des Gasthofs mißt,
indem er seine Herberge nimmt, — für diesen bietet der Weg über die
Ebene, die von Auschwitz nach Krakau und weiter nach Lemberg führt, kaum
ein Interesse. Zumal im Winter, wo Bäume, Berge und Häuser dieselbe
Farblosigkeit zeigen, dichte Pelze die eigenthümlichen Trachten der Galizien
bewohnenden Stämme verhüllen, unaufhörlich wiederkehrende Regenstrome
die Landschaft verhüllen, die Menschen mit denen man zusammengepfercht
ist, schläfrige und gelangweilte Mienen zeigen, ist es nicht Jedermanns Ding,
bei Humor zu bleiben. Anders für den Mann der unter verschiedenen Völker¬
schaften, an der Grenze feindlicher Culturgebiete gelebt hat, der die socialen
Gewohnheiten der Völker nicht blos nach ihrer Außenseite beurtheilt, Mannig¬
faltigkeit der Lebensformen anziehender findet, als die Eintönigkeit einer
Cultur, die durch stete Selbstbewunderung dabei angelangt ist, sich für allein
berechtigt oder allein existirend anzusehen. Diesem bietet Galizien ein grö¬
ßeres Interesse, als selbst die Ossolinskische Bibliothek Lembergs, zu
deren Besuch er sich auf den Weg gemacht hat, denn selten findet sich
auf verhältnißmäßig engem Raum eine solche Mannigfaltigkeit verschiedener
historischer Bildungen, wie in diesem Lande. Alt- und neu-polnische, russi¬
sche, wolynische und podolische Elemente liegen dicht neben einander und
man hat nur nöthig, eine Nachtfahrt dran zu setzen, um aus der polnisch¬
russischen Welt, die Galizien heißt, an die Vorposten des rumänischen Sprach-
und Culturgebiets zu gelangen und einen Vorschmack orientalischen Lebens
zu gewinnen.

Schon in Oszwienczym haben wir erfahren, daß die schlesischen Herzog-
thümer Auschwitz und Zator (die bis zum I. 1866 zum deutschen Bunde ge¬
hörten) so vollständig polonistrt sind, daß sie zu dem polnischen Galizien ge¬
rechnet werden müssen. Fährt man nur einige Stunden weiter nach Osten,
so kommt man aus diesem Lande, dessen Bewohner zwischen Krakusen und
Wasserpolacken stehen, auf alt-polnischen Boden. Die Quadratmeilen
umfassenden Territorien, welche zu der im I. 1846 unter dem Titel eines
Großherzogthums mit Galizien vereinigten Republik Krakau gehören, bilde¬
ten in alter Zeit einen Theil des sog. Kleinpolen und haben eine wichtige
Rolle in der Geschichte der Reox xosxolitaM gespielt. Hier walteten schon vor
einem Jahrtausend polnische Herrscher, auf diesem Boden haben Polen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/82>, abgerufen am 26.06.2024.