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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Verfassung gibt zunächst an, worauf sich dieser Wirkungskreis nicht erstreckt,
indem sie bestimmt: "die Gesetzgebung für den norddeutschen Bund und für
das gesammte Großherzogthum ist von dem Wirkungskreise der Vertretung
ausgeschlossen. Auch gehören die kirchlichen Angelegenheiten des Fürsten-
thums nicht zum Wirkungskreise derselben." Da die Gesetzgebung für den
nordeutschen Bund ihre eigenen Faeroren im Bundesrath und im Reichstage
besitzt und eine Mitwirkung der Landesvertretungcn nur bei der Feststellung
von Ausführungsverordnungen für einzelne Bundesgesetze zuläßt, welche auch
der ratzeburgischen Vertretung nicht vorenthalten wird, so war die aus¬
drückliche Ausscheidung der Bundesgesetzgcbung von dem Wirkungskreise dieser
Vertretung wohl kaum erforderlich. Ebenso verstand es sich von selbst, daß
dieser Wirkungskreis sich nicht auf das gesammte Großherzogthum, also nicht
auf die Herrschaft Stargard erstreckt, sondern nur auf das Gebiet, für welches
die Vertretung besteht. Hinter dieser Bestimmung, daß die Gesetzgebung für
das gesammte Großherzogthum von dem Wirkungskreise der ratzeburgischen
Vertretung ausgeschlossen sein soll, scheint sich jedoch ein Vorbehalt zu ver¬
stecken, welcher dem ganzen neuen Verfassungsgebäude den Boden entziehen
würde, wie sich aus dem sogleich folgenden, zu den positiven Bestimmungen
des Wirkungskreises der Vertretung übergehenden Satze- ergibt: "die Zu¬
stimmung der Vertretung ist erforderlich zur Abänderung der bestehenden,
sowie zur Auflegung neuer, über das bestehende hinausgehender Landesab¬
gaben, sofern nicht die Abänderung oder Auflegung durch eine der oben
erwähnten Gesetzgebungen (der Gesetzgebung für den norddeutschen Bund
und für das gesammte Großherzogthum) erfolgt." Durch diese Bestimmung
wird das Recht der ratzeburgischen Vertretung einer allgemeinen Gesetzgebung
für das Großherzogthum untergeordnet, welche in der That nicht existirt oder
doch nur unter der Voraussetzung existiren kann, daß der Großherzog unter
diesem Namen sein bisheriges unbeschränktes Besteuerungsrecht im Fürsten-
thum beizubehalten Willens ist. Denn in der Herrschaft Stargard ist die
Landessteuergesetzgebung von einer Vereinbarung zwischen Landesherrschaft
und Ständen abhängig; im Fürstenthum Ratzeburg aber lag sie bis dahin
in der Hand des Landesherrn allein. Eine allgemeine Gesetzgebung hinsicht¬
lich der Steuern aber gab es nicht, >und soll sie jetzt eingeführt werden, so
könnte dies nur den Sinn haben, daß der Großherzog befugt sein soll, alle
neuen Steuern, welche er in der Herrschaft Stargard mit Zustimmung der
mecklenburgischen Stände ausschreibt, im Fürstenthum Natzeburg ohne Zu¬
stimmung der Vertretung dieses Landes zu erheben. Dies aber käme einer
gleichzeitig mit der Verleihung des Steuerbewilligungsrechts erfolgenden
Wiederaufhebung dieses Rechtes gleich.

Bet der ganzen sonstigen Landes-Gesetzgebung sollen die Vertreter nur


Verfassung gibt zunächst an, worauf sich dieser Wirkungskreis nicht erstreckt,
indem sie bestimmt: „die Gesetzgebung für den norddeutschen Bund und für
das gesammte Großherzogthum ist von dem Wirkungskreise der Vertretung
ausgeschlossen. Auch gehören die kirchlichen Angelegenheiten des Fürsten-
thums nicht zum Wirkungskreise derselben." Da die Gesetzgebung für den
nordeutschen Bund ihre eigenen Faeroren im Bundesrath und im Reichstage
besitzt und eine Mitwirkung der Landesvertretungcn nur bei der Feststellung
von Ausführungsverordnungen für einzelne Bundesgesetze zuläßt, welche auch
der ratzeburgischen Vertretung nicht vorenthalten wird, so war die aus¬
drückliche Ausscheidung der Bundesgesetzgcbung von dem Wirkungskreise dieser
Vertretung wohl kaum erforderlich. Ebenso verstand es sich von selbst, daß
dieser Wirkungskreis sich nicht auf das gesammte Großherzogthum, also nicht
auf die Herrschaft Stargard erstreckt, sondern nur auf das Gebiet, für welches
die Vertretung besteht. Hinter dieser Bestimmung, daß die Gesetzgebung für
das gesammte Großherzogthum von dem Wirkungskreise der ratzeburgischen
Vertretung ausgeschlossen sein soll, scheint sich jedoch ein Vorbehalt zu ver¬
stecken, welcher dem ganzen neuen Verfassungsgebäude den Boden entziehen
würde, wie sich aus dem sogleich folgenden, zu den positiven Bestimmungen
des Wirkungskreises der Vertretung übergehenden Satze- ergibt: „die Zu¬
stimmung der Vertretung ist erforderlich zur Abänderung der bestehenden,
sowie zur Auflegung neuer, über das bestehende hinausgehender Landesab¬
gaben, sofern nicht die Abänderung oder Auflegung durch eine der oben
erwähnten Gesetzgebungen (der Gesetzgebung für den norddeutschen Bund
und für das gesammte Großherzogthum) erfolgt." Durch diese Bestimmung
wird das Recht der ratzeburgischen Vertretung einer allgemeinen Gesetzgebung
für das Großherzogthum untergeordnet, welche in der That nicht existirt oder
doch nur unter der Voraussetzung existiren kann, daß der Großherzog unter
diesem Namen sein bisheriges unbeschränktes Besteuerungsrecht im Fürsten-
thum beizubehalten Willens ist. Denn in der Herrschaft Stargard ist die
Landessteuergesetzgebung von einer Vereinbarung zwischen Landesherrschaft
und Ständen abhängig; im Fürstenthum Ratzeburg aber lag sie bis dahin
in der Hand des Landesherrn allein. Eine allgemeine Gesetzgebung hinsicht¬
lich der Steuern aber gab es nicht, >und soll sie jetzt eingeführt werden, so
könnte dies nur den Sinn haben, daß der Großherzog befugt sein soll, alle
neuen Steuern, welche er in der Herrschaft Stargard mit Zustimmung der
mecklenburgischen Stände ausschreibt, im Fürstenthum Natzeburg ohne Zu¬
stimmung der Vertretung dieses Landes zu erheben. Dies aber käme einer
gleichzeitig mit der Verleihung des Steuerbewilligungsrechts erfolgenden
Wiederaufhebung dieses Rechtes gleich.

Bet der ganzen sonstigen Landes-Gesetzgebung sollen die Vertreter nur


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[0057] Verfassung gibt zunächst an, worauf sich dieser Wirkungskreis nicht erstreckt, indem sie bestimmt: „die Gesetzgebung für den norddeutschen Bund und für das gesammte Großherzogthum ist von dem Wirkungskreise der Vertretung ausgeschlossen. Auch gehören die kirchlichen Angelegenheiten des Fürsten- thums nicht zum Wirkungskreise derselben." Da die Gesetzgebung für den nordeutschen Bund ihre eigenen Faeroren im Bundesrath und im Reichstage besitzt und eine Mitwirkung der Landesvertretungcn nur bei der Feststellung von Ausführungsverordnungen für einzelne Bundesgesetze zuläßt, welche auch der ratzeburgischen Vertretung nicht vorenthalten wird, so war die aus¬ drückliche Ausscheidung der Bundesgesetzgcbung von dem Wirkungskreise dieser Vertretung wohl kaum erforderlich. Ebenso verstand es sich von selbst, daß dieser Wirkungskreis sich nicht auf das gesammte Großherzogthum, also nicht auf die Herrschaft Stargard erstreckt, sondern nur auf das Gebiet, für welches die Vertretung besteht. Hinter dieser Bestimmung, daß die Gesetzgebung für das gesammte Großherzogthum von dem Wirkungskreise der ratzeburgischen Vertretung ausgeschlossen sein soll, scheint sich jedoch ein Vorbehalt zu ver¬ stecken, welcher dem ganzen neuen Verfassungsgebäude den Boden entziehen würde, wie sich aus dem sogleich folgenden, zu den positiven Bestimmungen des Wirkungskreises der Vertretung übergehenden Satze- ergibt: „die Zu¬ stimmung der Vertretung ist erforderlich zur Abänderung der bestehenden, sowie zur Auflegung neuer, über das bestehende hinausgehender Landesab¬ gaben, sofern nicht die Abänderung oder Auflegung durch eine der oben erwähnten Gesetzgebungen (der Gesetzgebung für den norddeutschen Bund und für das gesammte Großherzogthum) erfolgt." Durch diese Bestimmung wird das Recht der ratzeburgischen Vertretung einer allgemeinen Gesetzgebung für das Großherzogthum untergeordnet, welche in der That nicht existirt oder doch nur unter der Voraussetzung existiren kann, daß der Großherzog unter diesem Namen sein bisheriges unbeschränktes Besteuerungsrecht im Fürsten- thum beizubehalten Willens ist. Denn in der Herrschaft Stargard ist die Landessteuergesetzgebung von einer Vereinbarung zwischen Landesherrschaft und Ständen abhängig; im Fürstenthum Ratzeburg aber lag sie bis dahin in der Hand des Landesherrn allein. Eine allgemeine Gesetzgebung hinsicht¬ lich der Steuern aber gab es nicht, >und soll sie jetzt eingeführt werden, so könnte dies nur den Sinn haben, daß der Großherzog befugt sein soll, alle neuen Steuern, welche er in der Herrschaft Stargard mit Zustimmung der mecklenburgischen Stände ausschreibt, im Fürstenthum Natzeburg ohne Zu¬ stimmung der Vertretung dieses Landes zu erheben. Dies aber käme einer gleichzeitig mit der Verleihung des Steuerbewilligungsrechts erfolgenden Wiederaufhebung dieses Rechtes gleich. Bet der ganzen sonstigen Landes-Gesetzgebung sollen die Vertreter nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/57>, abgerufen am 26.06.2024.