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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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die beiden Führer der gegenwärtigen französischen Regierung dazu, der Frage
nach den Beziehungen zu Rom eine blos secundäre Rolle anzuweisen. In
Rom selbst scheint der Sieg der Jesuitenpartei so ausgemachte Sache zu sein,
daß die Ereignisse wahrscheinlich Daru's Absichten überholen und der Ollivier-
sehen Auffassung das Uebergewicht sichern werden. Was weiter geschieht,
liegt außerhalb des Bereichs der Berechenbarkeit; nachdem Katholiken von
der Entschiedenheit des Pater Gratry und des kürzlich verstorbenen Monta-
lembert das Jnfallibilitäts-Dogma für einen Bruch mit der gesammten katho¬
lischen Entwickelung erklärt haben, scheint eine Katastrophe unvermeidlich zu
werden. Auch für die staatlichen Verhältnisse Frankreichs, auf welche das
gegenwärtige Ministerium bis jetzt unerwartet raschen Einfluß erlangt hat, wird
diese Katastrophe in den mannigfachsten Beziehungen von Bedeutung sein.
Freilich haben wir so viel moralische Unmöglichkeiten erlebt, daß sich nicht
vorhersagen läßt, ob nicht am Ende auch die angekündigte Krönung des
ultramontanen Zwing-Uri von der Welt hingenommen und eine Weile
ruhig ertragen werden wird.




Literatur.
Prof. or. Joh. N. Czermak's populäre physiologische Vorträge. <Wien,
F. Czermak 1869.)

Mit dem täglich sich steigernden Bedürfnisse nach allgemein verständlicher Be¬
lehrung in den verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaft, welche in den letzten
Jahrzehnten eine so überaus rasche Entwickelung genommen hat, wächst auch der
Umfang und die Bedeutung der populären naturwissenschaftlichen Literatur. Es ist
eine dankenswerthe Aufgabe gerade unserer Zeit geworden, die Resultate der For¬
schungen im Gebiete der Naturwissenschaft zu einem Gemeingute aller Gebildeten
zu machen durch Wort und Schrift. Das lebendige Wort populärer Vorträge
kommt verhältnißmäßig nur Wenigen zu Gute. Die große Menge bleibt noch
immer auf Belehrung durch Bücher angewiesen.

Daß auch Vertreter der strengen Wissenschaft nicht verschmähen, an dieser Ar¬
beit Theil zu nehmen, zeigten uns neuerdings in erfreulicher Weise Czermak's im
Druck erschienene populäre Vorträge.

Dieselben bieten aus dem gedrängten Raume von 120 Seiten ohne die Vor¬
aussetzung propädeutischer Kenntniß dem Leser klare, durchaus leicht faßliche Be-
sprechungen von 3 wichtigen physiologischen Kapiteln, deren erstes vom Herzen und
dem Einfluß des Nervensystems auf dasselbe, deren zweites vom Ohr und dem Hören;
das dritte von Stimme und Sprache handelt.

Daß der Verf. vornehmlich bemüht gewesen ist, die Leser durch Deutlichkeit


die beiden Führer der gegenwärtigen französischen Regierung dazu, der Frage
nach den Beziehungen zu Rom eine blos secundäre Rolle anzuweisen. In
Rom selbst scheint der Sieg der Jesuitenpartei so ausgemachte Sache zu sein,
daß die Ereignisse wahrscheinlich Daru's Absichten überholen und der Ollivier-
sehen Auffassung das Uebergewicht sichern werden. Was weiter geschieht,
liegt außerhalb des Bereichs der Berechenbarkeit; nachdem Katholiken von
der Entschiedenheit des Pater Gratry und des kürzlich verstorbenen Monta-
lembert das Jnfallibilitäts-Dogma für einen Bruch mit der gesammten katho¬
lischen Entwickelung erklärt haben, scheint eine Katastrophe unvermeidlich zu
werden. Auch für die staatlichen Verhältnisse Frankreichs, auf welche das
gegenwärtige Ministerium bis jetzt unerwartet raschen Einfluß erlangt hat, wird
diese Katastrophe in den mannigfachsten Beziehungen von Bedeutung sein.
Freilich haben wir so viel moralische Unmöglichkeiten erlebt, daß sich nicht
vorhersagen läßt, ob nicht am Ende auch die angekündigte Krönung des
ultramontanen Zwing-Uri von der Welt hingenommen und eine Weile
ruhig ertragen werden wird.




Literatur.
Prof. or. Joh. N. Czermak's populäre physiologische Vorträge. <Wien,
F. Czermak 1869.)

Mit dem täglich sich steigernden Bedürfnisse nach allgemein verständlicher Be¬
lehrung in den verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaft, welche in den letzten
Jahrzehnten eine so überaus rasche Entwickelung genommen hat, wächst auch der
Umfang und die Bedeutung der populären naturwissenschaftlichen Literatur. Es ist
eine dankenswerthe Aufgabe gerade unserer Zeit geworden, die Resultate der For¬
schungen im Gebiete der Naturwissenschaft zu einem Gemeingute aller Gebildeten
zu machen durch Wort und Schrift. Das lebendige Wort populärer Vorträge
kommt verhältnißmäßig nur Wenigen zu Gute. Die große Menge bleibt noch
immer auf Belehrung durch Bücher angewiesen.

Daß auch Vertreter der strengen Wissenschaft nicht verschmähen, an dieser Ar¬
beit Theil zu nehmen, zeigten uns neuerdings in erfreulicher Weise Czermak's im
Druck erschienene populäre Vorträge.

Dieselben bieten aus dem gedrängten Raume von 120 Seiten ohne die Vor¬
aussetzung propädeutischer Kenntniß dem Leser klare, durchaus leicht faßliche Be-
sprechungen von 3 wichtigen physiologischen Kapiteln, deren erstes vom Herzen und
dem Einfluß des Nervensystems auf dasselbe, deren zweites vom Ohr und dem Hören;
das dritte von Stimme und Sprache handelt.

Daß der Verf. vornehmlich bemüht gewesen ist, die Leser durch Deutlichkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/523>, abgerufen am 26.06.2024.