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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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wunderlichem Contrast zu der Seelenruhe, welche das britische Unter¬
haus bei den Verhandlungen über die Pachtreform gezeigt hat. So viele
Blößen die Vorlage auch hat, die Opposition ließ sich an lahmen Schein¬
angriffen auf dieselbe genügen und die Freunde stimmten zu, wesentlich weil
sie nichts Besseres zu bieten wußten. Die für die grüne Insel decretirten
Ausnahmezustände werden den wildentbrannten Maxen- und Interessenkampf
wenigstens zunächst ebensowenig zum Schweigen bringen, wie die neuen Ge¬
setze über Pachtermine und Meliorationsentschädigungen. -- Neben den Er--
sparungen für Armee und Flotte, welche dem Parlament zugestanden wor¬
den, hat das Forster'sche Unterrichtsgesetz eine gewisse Rolle gespielt. Dixons
Versuch, das Problem auf eontinentale Weise zu lösen und die konfessions¬
lose Volksschule ohne jede Rücksicht auf den Willen der Gemeinden und
Ortsvorstände zu decretiren, ist an der Festigkeit der altenglischen Traditio¬
nen gescheitert und Mr. Forster hat alle Aussicht auf eine im Wesentlichen un¬
veränderte Annahme seines Plans.

Vielleicht Spanien allein ausgenommen, wo das Duell Montpensiers
mit dem Infanten Enrique eine neue Phase der Thronfrage eingeleitet hat,
ist die kathol isch-ro manischeWelt während des letzten Monats vorwiegend
mit dem verhängnißvollen Dogma beschäftigt gewesen, welches der katholischen
Kirche unter Beihilfe des Concils octroyirt werden soll. Selbst in Frank¬
reich prävaliren seit dem verhängnißvollen 24. Februar, dem Tage, an dem
Ollivier mit den Arcadiern offen brach, -- die kirchlichen Interessen vor den
politischen. Die Entschiedenheit, mit welcher die Regierung ihr Programm
nach rechts hin abgrenzte, hat die Stellung Olliviers nach beiden Seiten hin
befestigt, den Wogen revolutionärer Erregung wenigstens für eine Weile
ebenso Schweigen geboten, wie den unermüdlichen Intriguen Rouhers und
der Reactionäre, die sich nur noch im Senat recht heimisch fühlen. Die
Partei der Arcadier fühlt sich so gründlich bei Seite geschoben, daß sie ohne
Rücksicht auf ihre stolze Vergangenheit gute Miene zum bösen Spiel macht
und gelegentlich das Bedürfniß zeigt, ein gewisses Verständniß für die ver¬
änderten Bedürfnisse des kaiserlichen Frankreich zu beweisen; das überraschende
Resultat bei der Abstimmung über die Zukunft Algiers spielt in dieser Rück¬
sicht die Rolle eines Zeichens der Zeit. -- Auf kirchlich religiösem Gebiet
hat das neue Cabinet sich weder so einig, noch so entschlossen gezeigt,
wie.im Kampf mit den feindlichen politischen Parteien. Daru's Bedürfniß,
Ehre und Einheit der katholischen Kirche um jeden Preis, selbst um den
einer Compromittirung der Unabhängigkeit Frankreichs in kirchlicher Be¬
ziehung, zu wahren steht mit Olliviers Nichtinterventionsprincip in ausge¬
sprochenem Gegensatz und nur die gebieterische Nothwendigkeit, die mit ver¬
einten Kräften erzielten politischen Resultate in Händen zu behalten, zwingt


wunderlichem Contrast zu der Seelenruhe, welche das britische Unter¬
haus bei den Verhandlungen über die Pachtreform gezeigt hat. So viele
Blößen die Vorlage auch hat, die Opposition ließ sich an lahmen Schein¬
angriffen auf dieselbe genügen und die Freunde stimmten zu, wesentlich weil
sie nichts Besseres zu bieten wußten. Die für die grüne Insel decretirten
Ausnahmezustände werden den wildentbrannten Maxen- und Interessenkampf
wenigstens zunächst ebensowenig zum Schweigen bringen, wie die neuen Ge¬
setze über Pachtermine und Meliorationsentschädigungen. — Neben den Er--
sparungen für Armee und Flotte, welche dem Parlament zugestanden wor¬
den, hat das Forster'sche Unterrichtsgesetz eine gewisse Rolle gespielt. Dixons
Versuch, das Problem auf eontinentale Weise zu lösen und die konfessions¬
lose Volksschule ohne jede Rücksicht auf den Willen der Gemeinden und
Ortsvorstände zu decretiren, ist an der Festigkeit der altenglischen Traditio¬
nen gescheitert und Mr. Forster hat alle Aussicht auf eine im Wesentlichen un¬
veränderte Annahme seines Plans.

Vielleicht Spanien allein ausgenommen, wo das Duell Montpensiers
mit dem Infanten Enrique eine neue Phase der Thronfrage eingeleitet hat,
ist die kathol isch-ro manischeWelt während des letzten Monats vorwiegend
mit dem verhängnißvollen Dogma beschäftigt gewesen, welches der katholischen
Kirche unter Beihilfe des Concils octroyirt werden soll. Selbst in Frank¬
reich prävaliren seit dem verhängnißvollen 24. Februar, dem Tage, an dem
Ollivier mit den Arcadiern offen brach, — die kirchlichen Interessen vor den
politischen. Die Entschiedenheit, mit welcher die Regierung ihr Programm
nach rechts hin abgrenzte, hat die Stellung Olliviers nach beiden Seiten hin
befestigt, den Wogen revolutionärer Erregung wenigstens für eine Weile
ebenso Schweigen geboten, wie den unermüdlichen Intriguen Rouhers und
der Reactionäre, die sich nur noch im Senat recht heimisch fühlen. Die
Partei der Arcadier fühlt sich so gründlich bei Seite geschoben, daß sie ohne
Rücksicht auf ihre stolze Vergangenheit gute Miene zum bösen Spiel macht
und gelegentlich das Bedürfniß zeigt, ein gewisses Verständniß für die ver¬
änderten Bedürfnisse des kaiserlichen Frankreich zu beweisen; das überraschende
Resultat bei der Abstimmung über die Zukunft Algiers spielt in dieser Rück¬
sicht die Rolle eines Zeichens der Zeit. — Auf kirchlich religiösem Gebiet
hat das neue Cabinet sich weder so einig, noch so entschlossen gezeigt,
wie.im Kampf mit den feindlichen politischen Parteien. Daru's Bedürfniß,
Ehre und Einheit der katholischen Kirche um jeden Preis, selbst um den
einer Compromittirung der Unabhängigkeit Frankreichs in kirchlicher Be¬
ziehung, zu wahren steht mit Olliviers Nichtinterventionsprincip in ausge¬
sprochenem Gegensatz und nur die gebieterische Nothwendigkeit, die mit ver¬
einten Kräften erzielten politischen Resultate in Händen zu behalten, zwingt


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[0522] wunderlichem Contrast zu der Seelenruhe, welche das britische Unter¬ haus bei den Verhandlungen über die Pachtreform gezeigt hat. So viele Blößen die Vorlage auch hat, die Opposition ließ sich an lahmen Schein¬ angriffen auf dieselbe genügen und die Freunde stimmten zu, wesentlich weil sie nichts Besseres zu bieten wußten. Die für die grüne Insel decretirten Ausnahmezustände werden den wildentbrannten Maxen- und Interessenkampf wenigstens zunächst ebensowenig zum Schweigen bringen, wie die neuen Ge¬ setze über Pachtermine und Meliorationsentschädigungen. — Neben den Er-- sparungen für Armee und Flotte, welche dem Parlament zugestanden wor¬ den, hat das Forster'sche Unterrichtsgesetz eine gewisse Rolle gespielt. Dixons Versuch, das Problem auf eontinentale Weise zu lösen und die konfessions¬ lose Volksschule ohne jede Rücksicht auf den Willen der Gemeinden und Ortsvorstände zu decretiren, ist an der Festigkeit der altenglischen Traditio¬ nen gescheitert und Mr. Forster hat alle Aussicht auf eine im Wesentlichen un¬ veränderte Annahme seines Plans. Vielleicht Spanien allein ausgenommen, wo das Duell Montpensiers mit dem Infanten Enrique eine neue Phase der Thronfrage eingeleitet hat, ist die kathol isch-ro manischeWelt während des letzten Monats vorwiegend mit dem verhängnißvollen Dogma beschäftigt gewesen, welches der katholischen Kirche unter Beihilfe des Concils octroyirt werden soll. Selbst in Frank¬ reich prävaliren seit dem verhängnißvollen 24. Februar, dem Tage, an dem Ollivier mit den Arcadiern offen brach, — die kirchlichen Interessen vor den politischen. Die Entschiedenheit, mit welcher die Regierung ihr Programm nach rechts hin abgrenzte, hat die Stellung Olliviers nach beiden Seiten hin befestigt, den Wogen revolutionärer Erregung wenigstens für eine Weile ebenso Schweigen geboten, wie den unermüdlichen Intriguen Rouhers und der Reactionäre, die sich nur noch im Senat recht heimisch fühlen. Die Partei der Arcadier fühlt sich so gründlich bei Seite geschoben, daß sie ohne Rücksicht auf ihre stolze Vergangenheit gute Miene zum bösen Spiel macht und gelegentlich das Bedürfniß zeigt, ein gewisses Verständniß für die ver¬ änderten Bedürfnisse des kaiserlichen Frankreich zu beweisen; das überraschende Resultat bei der Abstimmung über die Zukunft Algiers spielt in dieser Rück¬ sicht die Rolle eines Zeichens der Zeit. — Auf kirchlich religiösem Gebiet hat das neue Cabinet sich weder so einig, noch so entschlossen gezeigt, wie.im Kampf mit den feindlichen politischen Parteien. Daru's Bedürfniß, Ehre und Einheit der katholischen Kirche um jeden Preis, selbst um den einer Compromittirung der Unabhängigkeit Frankreichs in kirchlicher Be¬ ziehung, zu wahren steht mit Olliviers Nichtinterventionsprincip in ausge¬ sprochenem Gegensatz und nur die gebieterische Nothwendigkeit, die mit ver¬ einten Kräften erzielten politischen Resultate in Händen zu behalten, zwingt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/522>, abgerufen am 26.06.2024.