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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Landes gewählt werden und wesentlich dieser verantwortlich sein; außerdem
wurden die Abhaltung des Gottesdienstes in bulgarischer Sprache, Einfluß
der Gemeinden auf die Priesterwahl u. s. w. gefordert. Die hohe Pfordte,
die keine Gelegenheit zur Schwächung des griechischen Einflusses unbenutzt
läßt, erwies sich den bulgarischen Ansprüchen um so freundlicher, als dieselben
u. A. forderten, der Exarch und die Bischöfe sollten nicht vom Patriarchen,
sondern vom Sultan bestätigt werden. Die Hartnäckigkeit, mit welcher der
Patriarch und dessen Synode der bulgarischen Petition das übliche "Non
xoWumus" entgegensetzten, goß Oel ins Feuer und schon im vorigen Sommer
war die gegenseitige Erbitterung der Gemüther so weit gediehen, daß in den
bulgarischen Kirchen öffentlich um Befreiung vom griechischen Joch und --
iuoi-Läibs äietu für die Gesundheit des Sultans, des Schirmherrn bulgari¬
scher Kirchenfreiheit, gebetet wurde.

Die türkischen Minister nahmen sich der Sache der bulgarischen Natio¬
nalkirche immer nachdrücklicher an und brachten den Patriarchen Gregorius
dadurch in so peinliche Verlegenheit, daß derselbe sich auf den Rath des russi¬
schen Gesandten Jgnatjew nach Petersburg wandte und von der dortigen
Oberktrchenbehörde die Einberufung eines allgemeinen, griechisch-orthodoxen
Concils zur Entscheidung der obschwebenden Streitfrage erbat. Rußland hat
an den griechischen Patriarchen in Constantinopel zu allen Zeiten eifrige
Freunde seiner orientalischen Politik gehabt und von jeher großes Gewicht
darauf gelegt, die kirchlichen Angelegenheiten des gesammten rechtgläubigen
Morgenlandes in den Händen dieses Kirchenfürsten concentrirr zu sehen. Man
nahm darum ziemlich allgemein an, der Hilferuf-des Patriarchen werde in
Petersburg offene Ohren finden und zu der Einberufung eines rechtgläubigen
Concils in Kiew führen, wie es von Panslavisten und Slavophilen seit lange
eifrig gewünscht worden war. Aber es kam anders: auf Weisung der Re¬
gierung lehnte der Petersburger "allerheiligste spröd" den Vorschlag des
Patriarchen ab, indem er auf die mögliche Eventualität eines förmlichen Abfalls
der Bulgaren von der morgenländischen Kirche hinwies und in allgemeinen
Redensarten zu Frieden, Versöhnlichkeit u. s. w. mahnte. Die Bemühungen
des Patriarchen die Synoden von Belgrad, Athen, Bukarest oder Karlowitz
zur Einberufung des Concils zu vermögen, scheinen gleichfalls gescheitert zu
sein, denn wie die neuesten Posten melden, hat die "Turquie" einen gro߬
herrlichen Fernau publicirt, der einen vom öcumenischen Patriarchen unab¬
hängigen bulgarischen Exarchen ernennt und diesem die selbständige Leitung
der Angelegenheiten seiner Diöcese überträgt. Damit ist ein Sieg des türki¬
schen über das griechische Interesse entschieden, der schon als Präcedens ins
Gewicht fällt und allenthalben in der panslavistischen -- wenn auch nicht
der slavischen -- Welt peinlich berühren wird. -- Gleichzeitig hat die Pfordte


Grenzboten I. 1870. 65

Landes gewählt werden und wesentlich dieser verantwortlich sein; außerdem
wurden die Abhaltung des Gottesdienstes in bulgarischer Sprache, Einfluß
der Gemeinden auf die Priesterwahl u. s. w. gefordert. Die hohe Pfordte,
die keine Gelegenheit zur Schwächung des griechischen Einflusses unbenutzt
läßt, erwies sich den bulgarischen Ansprüchen um so freundlicher, als dieselben
u. A. forderten, der Exarch und die Bischöfe sollten nicht vom Patriarchen,
sondern vom Sultan bestätigt werden. Die Hartnäckigkeit, mit welcher der
Patriarch und dessen Synode der bulgarischen Petition das übliche „Non
xoWumus" entgegensetzten, goß Oel ins Feuer und schon im vorigen Sommer
war die gegenseitige Erbitterung der Gemüther so weit gediehen, daß in den
bulgarischen Kirchen öffentlich um Befreiung vom griechischen Joch und —
iuoi-Läibs äietu für die Gesundheit des Sultans, des Schirmherrn bulgari¬
scher Kirchenfreiheit, gebetet wurde.

Die türkischen Minister nahmen sich der Sache der bulgarischen Natio¬
nalkirche immer nachdrücklicher an und brachten den Patriarchen Gregorius
dadurch in so peinliche Verlegenheit, daß derselbe sich auf den Rath des russi¬
schen Gesandten Jgnatjew nach Petersburg wandte und von der dortigen
Oberktrchenbehörde die Einberufung eines allgemeinen, griechisch-orthodoxen
Concils zur Entscheidung der obschwebenden Streitfrage erbat. Rußland hat
an den griechischen Patriarchen in Constantinopel zu allen Zeiten eifrige
Freunde seiner orientalischen Politik gehabt und von jeher großes Gewicht
darauf gelegt, die kirchlichen Angelegenheiten des gesammten rechtgläubigen
Morgenlandes in den Händen dieses Kirchenfürsten concentrirr zu sehen. Man
nahm darum ziemlich allgemein an, der Hilferuf-des Patriarchen werde in
Petersburg offene Ohren finden und zu der Einberufung eines rechtgläubigen
Concils in Kiew führen, wie es von Panslavisten und Slavophilen seit lange
eifrig gewünscht worden war. Aber es kam anders: auf Weisung der Re¬
gierung lehnte der Petersburger „allerheiligste spröd" den Vorschlag des
Patriarchen ab, indem er auf die mögliche Eventualität eines förmlichen Abfalls
der Bulgaren von der morgenländischen Kirche hinwies und in allgemeinen
Redensarten zu Frieden, Versöhnlichkeit u. s. w. mahnte. Die Bemühungen
des Patriarchen die Synoden von Belgrad, Athen, Bukarest oder Karlowitz
zur Einberufung des Concils zu vermögen, scheinen gleichfalls gescheitert zu
sein, denn wie die neuesten Posten melden, hat die „Turquie" einen gro߬
herrlichen Fernau publicirt, der einen vom öcumenischen Patriarchen unab¬
hängigen bulgarischen Exarchen ernennt und diesem die selbständige Leitung
der Angelegenheiten seiner Diöcese überträgt. Damit ist ein Sieg des türki¬
schen über das griechische Interesse entschieden, der schon als Präcedens ins
Gewicht fällt und allenthalben in der panslavistischen — wenn auch nicht
der slavischen — Welt peinlich berühren wird. — Gleichzeitig hat die Pfordte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/519>, abgerufen am 26.06.2024.