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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Zahlung hinzuhalten -- daß die Stellung des Kriegsministers unhaltbar ge-
worden ist, wird von allen Seiten bestätigt. Die kleine nationale Partei
in Stuttgart wird natürlich ihr Möglichstes thun, um wenigstens die Principien
zu retten, auf denen die neue Wehrverfassung Würtembergs beruht: ihre Pflicht
erheischt, der Eventualität eines directen Bruchs mit dem Norden vorzubeugen.
Sauer genug mag den entschiedenen unter unsern Freunden am Neesenbach die
Erfüllung dieser Pflicht aber werden; im günstigsten Fall wird die unter den Ein¬
drücken von 1866 unternommene Militärreorganisation dazu verurtheilt sein, ein
schwindsüchtiges Dasein zu fristen, mit dem Niemand gedient ist, als den
gegenwärtigen Machthabern über das souveräne schwäbische Volk. Wie die
Dinge gegenwärtig liegen, beschränken unsere Hoffnungen sich darauf, daß
der Bogen, der sich nicht biegen will, breche, -- möglichst bald und mit mög¬
lichst viel Eclat breche. Das Zerren und Nörgeln an den im Herbst des
Jahres 1866 abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnissen hat in Würtemberg
schon seit Jahr und Tag einen unerträglichen Grad erreicht; mögen die Weisen,
die Stuttgart für den Nabel der Erde, Herrn Karl Mayer für die Jncarna-
tion deutscher Staatsweisheit halten, den Lohn einernten, der des Schweißes
dieser Edlen allein werth ist -- die vollständige Jsolirung der 354 in Meilen
deutscher Erde, die ihnen das ganze Vaterland, die ganze Welt bedeuten.
An der Grenze ihres Witzes werden die Herren erst angelangt sein, wenn sie
vor frisch gestrichenen Zollbarrieren stehen und Gelegenheit haben, ihren
Römermuth aus die Probe des tarpejischen Felsen zu stellen.--In Bayern
ist es so weit noch nicht gekommen und trotz der Kolb'schen Anträge wird
der blau-weiße Patriotismus sich wohl noch für eine Weile mit dem Be¬
kenntniß begnügen müssen, "die Kraft ist schwach, jedoch die Lust ist groß".
Graf de Bray hat sich nach allen Seiten hin als Vertreter eines Mes ruilisu
vorgestellt, das keinen Schritt vorwärts, aber auch kein Stück zurück gehen,
mit anderen Worten, von der Hand in den Mund leben will. Das bedingt
freilich, daß diese Hand frei bleibe von lästigen Fesseln, mögen dieselben be¬
schaffen sein, wie sie wollen. Die Bequemlichkeit dieser Politik steht außer
Frage, -- ihre Nützlichkeit ist minder und am wenigsten vom bayrischen
Standpunkt einleuchtend. Das schwache Band, das die Wittelsbacher Dy¬
nastie mit den heterogenen Provinzen verbindet, die sich den bayrischen Staat
nennen, muß schwächer und immer schwächer werden, wenn diese Dynastie
keine andere Energie als die absoluter Passivität bethätigt, wenn den Staats¬
angehörigen täglich direct und indirect zugerufen wird, dieser Staat sei zu
schwach, um selbständige Politik treiben zu können, zu stark und zu groß, um
das Glied eines fremden, nicht specifisch bayrischen Organismus werden zu
können. Dem verschämten Bankerott, der sich hinter dieser Formel verbirgt,
muß über kurz oder lang der öffentliche Bankbruch folgen und von den Glan-


Zahlung hinzuhalten — daß die Stellung des Kriegsministers unhaltbar ge-
worden ist, wird von allen Seiten bestätigt. Die kleine nationale Partei
in Stuttgart wird natürlich ihr Möglichstes thun, um wenigstens die Principien
zu retten, auf denen die neue Wehrverfassung Würtembergs beruht: ihre Pflicht
erheischt, der Eventualität eines directen Bruchs mit dem Norden vorzubeugen.
Sauer genug mag den entschiedenen unter unsern Freunden am Neesenbach die
Erfüllung dieser Pflicht aber werden; im günstigsten Fall wird die unter den Ein¬
drücken von 1866 unternommene Militärreorganisation dazu verurtheilt sein, ein
schwindsüchtiges Dasein zu fristen, mit dem Niemand gedient ist, als den
gegenwärtigen Machthabern über das souveräne schwäbische Volk. Wie die
Dinge gegenwärtig liegen, beschränken unsere Hoffnungen sich darauf, daß
der Bogen, der sich nicht biegen will, breche, — möglichst bald und mit mög¬
lichst viel Eclat breche. Das Zerren und Nörgeln an den im Herbst des
Jahres 1866 abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnissen hat in Würtemberg
schon seit Jahr und Tag einen unerträglichen Grad erreicht; mögen die Weisen,
die Stuttgart für den Nabel der Erde, Herrn Karl Mayer für die Jncarna-
tion deutscher Staatsweisheit halten, den Lohn einernten, der des Schweißes
dieser Edlen allein werth ist — die vollständige Jsolirung der 354 in Meilen
deutscher Erde, die ihnen das ganze Vaterland, die ganze Welt bedeuten.
An der Grenze ihres Witzes werden die Herren erst angelangt sein, wenn sie
vor frisch gestrichenen Zollbarrieren stehen und Gelegenheit haben, ihren
Römermuth aus die Probe des tarpejischen Felsen zu stellen.—In Bayern
ist es so weit noch nicht gekommen und trotz der Kolb'schen Anträge wird
der blau-weiße Patriotismus sich wohl noch für eine Weile mit dem Be¬
kenntniß begnügen müssen, „die Kraft ist schwach, jedoch die Lust ist groß".
Graf de Bray hat sich nach allen Seiten hin als Vertreter eines Mes ruilisu
vorgestellt, das keinen Schritt vorwärts, aber auch kein Stück zurück gehen,
mit anderen Worten, von der Hand in den Mund leben will. Das bedingt
freilich, daß diese Hand frei bleibe von lästigen Fesseln, mögen dieselben be¬
schaffen sein, wie sie wollen. Die Bequemlichkeit dieser Politik steht außer
Frage, — ihre Nützlichkeit ist minder und am wenigsten vom bayrischen
Standpunkt einleuchtend. Das schwache Band, das die Wittelsbacher Dy¬
nastie mit den heterogenen Provinzen verbindet, die sich den bayrischen Staat
nennen, muß schwächer und immer schwächer werden, wenn diese Dynastie
keine andere Energie als die absoluter Passivität bethätigt, wenn den Staats¬
angehörigen täglich direct und indirect zugerufen wird, dieser Staat sei zu
schwach, um selbständige Politik treiben zu können, zu stark und zu groß, um
das Glied eines fremden, nicht specifisch bayrischen Organismus werden zu
können. Dem verschämten Bankerott, der sich hinter dieser Formel verbirgt,
muß über kurz oder lang der öffentliche Bankbruch folgen und von den Glan-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/517>, abgerufen am 26.06.2024.