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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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vorliegenden Fall keinen Sinn. In großen internationalen Fragen hängen
Zweck und Mittel so eng mit einander zusammen, daß man sich entschließen
muß. Ja oder Nein zu sagen, die diplomatische Action einer Regierung ganz
oder gar nicht zu unterstützen. In England und Belgien -- und die Heran¬
ziehung von Analogien mit diesen constitutionellen Musterstaaten ist ja grade
unseren Liberalen zur Gewohnheit geworden -- würde jeder Minister des
Auswärtigen, Leute, die ihn ohne vorhergegangene Verständigung über die
letzten Ziele seiner Politik vor offenen Thüren interpelliren, seine Handlungs¬
weise rectificiren wollten, für seine schlimmsten Feinde halten; wollten diese
Leute sich hinter ihre guten Absichten verschanzen, so würde man ihnen spöttisch
zur Antwort geben, daß sür solche zarte Empfindungen auf dem rauhen
Boden des wirklichen Lebens kein Platz sei, daß in der Politik überhaupt
nur Handlungen in Betracht kämen.

Wie weit man bei uns davon entfernt ist, diese einfachen Dinge bei
ihren einfachen Namen zu nennen, zeigt das Verhalten, welches die meisten
Organe der deutschen Presse in der vorliegenden Angelegenheit beobachtet
haben. Statt zu untersuchen, ob es schicklich und zulässig ist, von befreun¬
deter Seite den Staatsmann, den man unterstützen will, unvorbereitet sür
sein bisheriges Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen und Vorschläge zur Cor.
rectur desselben zu verlautbaren, ergeht man sich in Erörterungen darüber,
ob die Aufnahme Badens in der That nicht ein Fortschritt zur Einigung
Deutschlands gewesen wäre. Als ob es sich darum, als ob es sich überhaupt
um etwas Anderes, als die Frage gehandelt hat, wie principielle Unter¬
stützung und thatsächliche Infragestellung einer Politik mit einander zu ver¬
einigen sind? Und was war überhaupt beabsichtigt? Auf die Handlungs¬
weise des Bundeskanzlers einzuwirken, wird man schwerlich im Sinn gehabt
haben -- die Zurücknahme des Laster'schen Antrags leistet uns dafür Bürg¬
schaft. Welche andere Wirkungen hat man beabsichtigt? Die einzige mit
Händen greifbare Wirkung ist die Erschwerung der Lage der badischen Re¬
gierung gewesen. Wenn dieselbe im Stande ist, auch den Schwierigkeiten
zu trotzen, welche ihr neuerdings durch ihre Berliner Freunde bereitet worden,
so wird man den Herren Jolly und v. Beyer das Zeugniß einer wahrhaft
unvergleichlichen Geschicklichkeit und einer Energie ausstellen müssen, die zu
erwarten, auf die zu rechnen wir kaum ein Recht haben.

Die Debatte über die süddeutsche Frage wäre hinreichend gewesen,
auch bei sonst glänzenden Aspecten einen peinlichen Schatten aus die
heurige Reichstagssesston zu werfen. Aber die Aspecten sind nichts weniger
als günstig. Das Zustandekommen des norddeutschen Strafgesetzbuchs ist
durch den Beschluß über die Abschaffung der Todesstrafe, das Gesetz über den
Schutz des literarischen Eigenthums durch die Wunderlichkeiten unserer Frei-


vorliegenden Fall keinen Sinn. In großen internationalen Fragen hängen
Zweck und Mittel so eng mit einander zusammen, daß man sich entschließen
muß. Ja oder Nein zu sagen, die diplomatische Action einer Regierung ganz
oder gar nicht zu unterstützen. In England und Belgien — und die Heran¬
ziehung von Analogien mit diesen constitutionellen Musterstaaten ist ja grade
unseren Liberalen zur Gewohnheit geworden — würde jeder Minister des
Auswärtigen, Leute, die ihn ohne vorhergegangene Verständigung über die
letzten Ziele seiner Politik vor offenen Thüren interpelliren, seine Handlungs¬
weise rectificiren wollten, für seine schlimmsten Feinde halten; wollten diese
Leute sich hinter ihre guten Absichten verschanzen, so würde man ihnen spöttisch
zur Antwort geben, daß sür solche zarte Empfindungen auf dem rauhen
Boden des wirklichen Lebens kein Platz sei, daß in der Politik überhaupt
nur Handlungen in Betracht kämen.

Wie weit man bei uns davon entfernt ist, diese einfachen Dinge bei
ihren einfachen Namen zu nennen, zeigt das Verhalten, welches die meisten
Organe der deutschen Presse in der vorliegenden Angelegenheit beobachtet
haben. Statt zu untersuchen, ob es schicklich und zulässig ist, von befreun¬
deter Seite den Staatsmann, den man unterstützen will, unvorbereitet sür
sein bisheriges Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen und Vorschläge zur Cor.
rectur desselben zu verlautbaren, ergeht man sich in Erörterungen darüber,
ob die Aufnahme Badens in der That nicht ein Fortschritt zur Einigung
Deutschlands gewesen wäre. Als ob es sich darum, als ob es sich überhaupt
um etwas Anderes, als die Frage gehandelt hat, wie principielle Unter¬
stützung und thatsächliche Infragestellung einer Politik mit einander zu ver¬
einigen sind? Und was war überhaupt beabsichtigt? Auf die Handlungs¬
weise des Bundeskanzlers einzuwirken, wird man schwerlich im Sinn gehabt
haben — die Zurücknahme des Laster'schen Antrags leistet uns dafür Bürg¬
schaft. Welche andere Wirkungen hat man beabsichtigt? Die einzige mit
Händen greifbare Wirkung ist die Erschwerung der Lage der badischen Re¬
gierung gewesen. Wenn dieselbe im Stande ist, auch den Schwierigkeiten
zu trotzen, welche ihr neuerdings durch ihre Berliner Freunde bereitet worden,
so wird man den Herren Jolly und v. Beyer das Zeugniß einer wahrhaft
unvergleichlichen Geschicklichkeit und einer Energie ausstellen müssen, die zu
erwarten, auf die zu rechnen wir kaum ein Recht haben.

Die Debatte über die süddeutsche Frage wäre hinreichend gewesen,
auch bei sonst glänzenden Aspecten einen peinlichen Schatten aus die
heurige Reichstagssesston zu werfen. Aber die Aspecten sind nichts weniger
als günstig. Das Zustandekommen des norddeutschen Strafgesetzbuchs ist
durch den Beschluß über die Abschaffung der Todesstrafe, das Gesetz über den
Schutz des literarischen Eigenthums durch die Wunderlichkeiten unserer Frei-


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[0514] vorliegenden Fall keinen Sinn. In großen internationalen Fragen hängen Zweck und Mittel so eng mit einander zusammen, daß man sich entschließen muß. Ja oder Nein zu sagen, die diplomatische Action einer Regierung ganz oder gar nicht zu unterstützen. In England und Belgien — und die Heran¬ ziehung von Analogien mit diesen constitutionellen Musterstaaten ist ja grade unseren Liberalen zur Gewohnheit geworden — würde jeder Minister des Auswärtigen, Leute, die ihn ohne vorhergegangene Verständigung über die letzten Ziele seiner Politik vor offenen Thüren interpelliren, seine Handlungs¬ weise rectificiren wollten, für seine schlimmsten Feinde halten; wollten diese Leute sich hinter ihre guten Absichten verschanzen, so würde man ihnen spöttisch zur Antwort geben, daß sür solche zarte Empfindungen auf dem rauhen Boden des wirklichen Lebens kein Platz sei, daß in der Politik überhaupt nur Handlungen in Betracht kämen. Wie weit man bei uns davon entfernt ist, diese einfachen Dinge bei ihren einfachen Namen zu nennen, zeigt das Verhalten, welches die meisten Organe der deutschen Presse in der vorliegenden Angelegenheit beobachtet haben. Statt zu untersuchen, ob es schicklich und zulässig ist, von befreun¬ deter Seite den Staatsmann, den man unterstützen will, unvorbereitet sür sein bisheriges Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen und Vorschläge zur Cor. rectur desselben zu verlautbaren, ergeht man sich in Erörterungen darüber, ob die Aufnahme Badens in der That nicht ein Fortschritt zur Einigung Deutschlands gewesen wäre. Als ob es sich darum, als ob es sich überhaupt um etwas Anderes, als die Frage gehandelt hat, wie principielle Unter¬ stützung und thatsächliche Infragestellung einer Politik mit einander zu ver¬ einigen sind? Und was war überhaupt beabsichtigt? Auf die Handlungs¬ weise des Bundeskanzlers einzuwirken, wird man schwerlich im Sinn gehabt haben — die Zurücknahme des Laster'schen Antrags leistet uns dafür Bürg¬ schaft. Welche andere Wirkungen hat man beabsichtigt? Die einzige mit Händen greifbare Wirkung ist die Erschwerung der Lage der badischen Re¬ gierung gewesen. Wenn dieselbe im Stande ist, auch den Schwierigkeiten zu trotzen, welche ihr neuerdings durch ihre Berliner Freunde bereitet worden, so wird man den Herren Jolly und v. Beyer das Zeugniß einer wahrhaft unvergleichlichen Geschicklichkeit und einer Energie ausstellen müssen, die zu erwarten, auf die zu rechnen wir kaum ein Recht haben. Die Debatte über die süddeutsche Frage wäre hinreichend gewesen, auch bei sonst glänzenden Aspecten einen peinlichen Schatten aus die heurige Reichstagssesston zu werfen. Aber die Aspecten sind nichts weniger als günstig. Das Zustandekommen des norddeutschen Strafgesetzbuchs ist durch den Beschluß über die Abschaffung der Todesstrafe, das Gesetz über den Schutz des literarischen Eigenthums durch die Wunderlichkeiten unserer Frei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/514>, abgerufen am 26.06.2024.