Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bekannt und außerdem gern bereit war, das aufgenommene Problem, wenn
erforderlich, auch wieder fallen zu lassen.

An der guten Absicht derer, die so raisonnirt und auf Grund dieses
Raisonnements gehandelt haben, ist freilich nicht zu zweifeln. Aber wenn
irgendwo, so ist in der Politik der Weg zur Hölle mit guten Absichten
gepflastert. Auch uns ist lange Zeit zweifelhaft gewesen, ob die Devise "Erst
Bayern, dann Baden" die richtige ist, auch wir sind um ernste Gründe, die
gegen diese Formulirung sprechen, noch gegenwärtig nicht verlegen; aber es
hat uns für das Alphabet parlamentarischen Menschenverstandes gegolten,
daß nicht alle Dinge, die man aus dem Herzen hat. an allen Orten gesagt
werden können, und daß es widersinnig ist. einer Politik, die man unter¬
stützen will, Schwierigkeiten zu bereiten. Sache der systematischen Opposition
ist es, einer Regierung öffentlich Fragen über ihre künftige auswärtige Po¬
litik vorzulegen und die gegen ihre bisherige Haltung sprechenden Argumente
wohlformulirt von der Tribüne in das Publikum zu werfen. War die natio¬
nalliberale Partei in einer Frage von so eminenter Wichtigkeit, wie der süd¬
deutschen, allen Ernstes der Meinung, daß Graf Bismarck falsche Wege
gehe, so hätte sie das vor zwei Jahren an gehöriger Stelle sagen, und wenn
ihre Worte keine gute Statt fanden, dem Bundeskanzleramt in aller Form
ihre Unterstützung kündigen sollen; hielt man es im gegenwärtigen Augen¬
blicke für nothwendig, die Alternative "Baden oder Bayern" noch ein Mal
in Erwägung zu ziehen, so war eine private Auseinandersetzung der Partei¬
führer mit dem Bundeskanzleramt am Platz. Nichts von dem Allen ist ge¬
schehen, man hat die Dinge Jahr aus und Jahr ein den Weg nehmen lassen,
welcher ihnen vom Berliner Cabinet angewiesen worden, man hat bei jeder
Gelegenheit wiederholt, die nationale Partei befinde sich in vollem Einver-
ständniß mit der auswärtigen Politik des leitenden Staatsmanns: plötzlich
aber besinnt man sich eines Besseren, tritt unerwartet mit der Behauptung
hervor, die bisher gegangenen Wege könnten nimmer zum Ziel führen, mit
der Aufnahme Badens müsse der Anfang zur Lösung der süddeutschen Frage
gemacht und solches allem Volk verkündet werden. Und um das Maß des
Unbegreiflichen voll zu machen, versichert man mit demselben Athem, der diese
plötzliche Erleuchtung kund thut, die nationalliberale Partei sei nach wie vor
zur Unterstützung des Bundeskanzlers bereit, ihres Vertrauens zu demselben
wohl bewußt, ja sie finde es unbegreiflich, daß der Minister ihre wohl¬
gemeinten Rathschläge für ein Mißtrauensvotum nehme. Was heißt Mi߬
trauensvotum einer parlamentarischen Partei? Doch Wohl die öffentlich
ausgesprochene Meinung.- der leitende Staatsmann gehe auf falschem Wegej
Die Ausrede, daß man über das Ziel einig, nur über die zweckentsprechenden
Mittel verschiedener Meinung sei, hat -- so weit wir sehen können -- im


64*

bekannt und außerdem gern bereit war, das aufgenommene Problem, wenn
erforderlich, auch wieder fallen zu lassen.

An der guten Absicht derer, die so raisonnirt und auf Grund dieses
Raisonnements gehandelt haben, ist freilich nicht zu zweifeln. Aber wenn
irgendwo, so ist in der Politik der Weg zur Hölle mit guten Absichten
gepflastert. Auch uns ist lange Zeit zweifelhaft gewesen, ob die Devise „Erst
Bayern, dann Baden" die richtige ist, auch wir sind um ernste Gründe, die
gegen diese Formulirung sprechen, noch gegenwärtig nicht verlegen; aber es
hat uns für das Alphabet parlamentarischen Menschenverstandes gegolten,
daß nicht alle Dinge, die man aus dem Herzen hat. an allen Orten gesagt
werden können, und daß es widersinnig ist. einer Politik, die man unter¬
stützen will, Schwierigkeiten zu bereiten. Sache der systematischen Opposition
ist es, einer Regierung öffentlich Fragen über ihre künftige auswärtige Po¬
litik vorzulegen und die gegen ihre bisherige Haltung sprechenden Argumente
wohlformulirt von der Tribüne in das Publikum zu werfen. War die natio¬
nalliberale Partei in einer Frage von so eminenter Wichtigkeit, wie der süd¬
deutschen, allen Ernstes der Meinung, daß Graf Bismarck falsche Wege
gehe, so hätte sie das vor zwei Jahren an gehöriger Stelle sagen, und wenn
ihre Worte keine gute Statt fanden, dem Bundeskanzleramt in aller Form
ihre Unterstützung kündigen sollen; hielt man es im gegenwärtigen Augen¬
blicke für nothwendig, die Alternative „Baden oder Bayern" noch ein Mal
in Erwägung zu ziehen, so war eine private Auseinandersetzung der Partei¬
führer mit dem Bundeskanzleramt am Platz. Nichts von dem Allen ist ge¬
schehen, man hat die Dinge Jahr aus und Jahr ein den Weg nehmen lassen,
welcher ihnen vom Berliner Cabinet angewiesen worden, man hat bei jeder
Gelegenheit wiederholt, die nationale Partei befinde sich in vollem Einver-
ständniß mit der auswärtigen Politik des leitenden Staatsmanns: plötzlich
aber besinnt man sich eines Besseren, tritt unerwartet mit der Behauptung
hervor, die bisher gegangenen Wege könnten nimmer zum Ziel führen, mit
der Aufnahme Badens müsse der Anfang zur Lösung der süddeutschen Frage
gemacht und solches allem Volk verkündet werden. Und um das Maß des
Unbegreiflichen voll zu machen, versichert man mit demselben Athem, der diese
plötzliche Erleuchtung kund thut, die nationalliberale Partei sei nach wie vor
zur Unterstützung des Bundeskanzlers bereit, ihres Vertrauens zu demselben
wohl bewußt, ja sie finde es unbegreiflich, daß der Minister ihre wohl¬
gemeinten Rathschläge für ein Mißtrauensvotum nehme. Was heißt Mi߬
trauensvotum einer parlamentarischen Partei? Doch Wohl die öffentlich
ausgesprochene Meinung.- der leitende Staatsmann gehe auf falschem Wegej
Die Ausrede, daß man über das Ziel einig, nur über die zweckentsprechenden
Mittel verschiedener Meinung sei, hat — so weit wir sehen können — im


64*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123601"/>
          <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> bekannt und außerdem gern bereit war, das aufgenommene Problem, wenn<lb/>
erforderlich, auch wieder fallen zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1482" next="#ID_1483"> An der guten Absicht derer, die so raisonnirt und auf Grund dieses<lb/>
Raisonnements gehandelt haben, ist freilich nicht zu zweifeln. Aber wenn<lb/>
irgendwo, so ist in der Politik der Weg zur Hölle mit guten Absichten<lb/>
gepflastert. Auch uns ist lange Zeit zweifelhaft gewesen, ob die Devise &#x201E;Erst<lb/>
Bayern, dann Baden" die richtige ist, auch wir sind um ernste Gründe, die<lb/>
gegen diese Formulirung sprechen, noch gegenwärtig nicht verlegen; aber es<lb/>
hat uns für das Alphabet parlamentarischen Menschenverstandes gegolten,<lb/>
daß nicht alle Dinge, die man aus dem Herzen hat. an allen Orten gesagt<lb/>
werden können, und daß es widersinnig ist. einer Politik, die man unter¬<lb/>
stützen will, Schwierigkeiten zu bereiten. Sache der systematischen Opposition<lb/>
ist es, einer Regierung öffentlich Fragen über ihre künftige auswärtige Po¬<lb/>
litik vorzulegen und die gegen ihre bisherige Haltung sprechenden Argumente<lb/>
wohlformulirt von der Tribüne in das Publikum zu werfen. War die natio¬<lb/>
nalliberale Partei in einer Frage von so eminenter Wichtigkeit, wie der süd¬<lb/>
deutschen, allen Ernstes der Meinung, daß Graf Bismarck falsche Wege<lb/>
gehe, so hätte sie das vor zwei Jahren an gehöriger Stelle sagen, und wenn<lb/>
ihre Worte keine gute Statt fanden, dem Bundeskanzleramt in aller Form<lb/>
ihre Unterstützung kündigen sollen; hielt man es im gegenwärtigen Augen¬<lb/>
blicke für nothwendig, die Alternative &#x201E;Baden oder Bayern" noch ein Mal<lb/>
in Erwägung zu ziehen, so war eine private Auseinandersetzung der Partei¬<lb/>
führer mit dem Bundeskanzleramt am Platz. Nichts von dem Allen ist ge¬<lb/>
schehen, man hat die Dinge Jahr aus und Jahr ein den Weg nehmen lassen,<lb/>
welcher ihnen vom Berliner Cabinet angewiesen worden, man hat bei jeder<lb/>
Gelegenheit wiederholt, die nationale Partei befinde sich in vollem Einver-<lb/>
ständniß mit der auswärtigen Politik des leitenden Staatsmanns: plötzlich<lb/>
aber besinnt man sich eines Besseren, tritt unerwartet mit der Behauptung<lb/>
hervor, die bisher gegangenen Wege könnten nimmer zum Ziel führen, mit<lb/>
der Aufnahme Badens müsse der Anfang zur Lösung der süddeutschen Frage<lb/>
gemacht und solches allem Volk verkündet werden. Und um das Maß des<lb/>
Unbegreiflichen voll zu machen, versichert man mit demselben Athem, der diese<lb/>
plötzliche Erleuchtung kund thut, die nationalliberale Partei sei nach wie vor<lb/>
zur Unterstützung des Bundeskanzlers bereit, ihres Vertrauens zu demselben<lb/>
wohl bewußt, ja sie finde es unbegreiflich, daß der Minister ihre wohl¬<lb/>
gemeinten Rathschläge für ein Mißtrauensvotum nehme. Was heißt Mi߬<lb/>
trauensvotum einer parlamentarischen Partei? Doch Wohl die öffentlich<lb/>
ausgesprochene Meinung.- der leitende Staatsmann gehe auf falschem Wegej<lb/>
Die Ausrede, daß man über das Ziel einig, nur über die zweckentsprechenden<lb/>
Mittel verschiedener Meinung sei, hat &#x2014; so weit wir sehen können &#x2014; im</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 64*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] bekannt und außerdem gern bereit war, das aufgenommene Problem, wenn erforderlich, auch wieder fallen zu lassen. An der guten Absicht derer, die so raisonnirt und auf Grund dieses Raisonnements gehandelt haben, ist freilich nicht zu zweifeln. Aber wenn irgendwo, so ist in der Politik der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert. Auch uns ist lange Zeit zweifelhaft gewesen, ob die Devise „Erst Bayern, dann Baden" die richtige ist, auch wir sind um ernste Gründe, die gegen diese Formulirung sprechen, noch gegenwärtig nicht verlegen; aber es hat uns für das Alphabet parlamentarischen Menschenverstandes gegolten, daß nicht alle Dinge, die man aus dem Herzen hat. an allen Orten gesagt werden können, und daß es widersinnig ist. einer Politik, die man unter¬ stützen will, Schwierigkeiten zu bereiten. Sache der systematischen Opposition ist es, einer Regierung öffentlich Fragen über ihre künftige auswärtige Po¬ litik vorzulegen und die gegen ihre bisherige Haltung sprechenden Argumente wohlformulirt von der Tribüne in das Publikum zu werfen. War die natio¬ nalliberale Partei in einer Frage von so eminenter Wichtigkeit, wie der süd¬ deutschen, allen Ernstes der Meinung, daß Graf Bismarck falsche Wege gehe, so hätte sie das vor zwei Jahren an gehöriger Stelle sagen, und wenn ihre Worte keine gute Statt fanden, dem Bundeskanzleramt in aller Form ihre Unterstützung kündigen sollen; hielt man es im gegenwärtigen Augen¬ blicke für nothwendig, die Alternative „Baden oder Bayern" noch ein Mal in Erwägung zu ziehen, so war eine private Auseinandersetzung der Partei¬ führer mit dem Bundeskanzleramt am Platz. Nichts von dem Allen ist ge¬ schehen, man hat die Dinge Jahr aus und Jahr ein den Weg nehmen lassen, welcher ihnen vom Berliner Cabinet angewiesen worden, man hat bei jeder Gelegenheit wiederholt, die nationale Partei befinde sich in vollem Einver- ständniß mit der auswärtigen Politik des leitenden Staatsmanns: plötzlich aber besinnt man sich eines Besseren, tritt unerwartet mit der Behauptung hervor, die bisher gegangenen Wege könnten nimmer zum Ziel führen, mit der Aufnahme Badens müsse der Anfang zur Lösung der süddeutschen Frage gemacht und solches allem Volk verkündet werden. Und um das Maß des Unbegreiflichen voll zu machen, versichert man mit demselben Athem, der diese plötzliche Erleuchtung kund thut, die nationalliberale Partei sei nach wie vor zur Unterstützung des Bundeskanzlers bereit, ihres Vertrauens zu demselben wohl bewußt, ja sie finde es unbegreiflich, daß der Minister ihre wohl¬ gemeinten Rathschläge für ein Mißtrauensvotum nehme. Was heißt Mi߬ trauensvotum einer parlamentarischen Partei? Doch Wohl die öffentlich ausgesprochene Meinung.- der leitende Staatsmann gehe auf falschem Wegej Die Ausrede, daß man über das Ziel einig, nur über die zweckentsprechenden Mittel verschiedener Meinung sei, hat — so weit wir sehen können — im 64*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/513>, abgerufen am 26.06.2024.