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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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erreicht, wo dieser Kunst eine Wissenschaft zu Grunde gelegt werden konnte.....
Die der Kriegskunst zu Grunde liegende Wissenschaft ist von ganz anderer
Art, als die übrigen, und blieb eben darum unerforscht, weil man eine Ver-
wandtschaft mit derselben und namentlich mit der Mathematik, der abstrac-
testen und positivsten unter ihnen, gewaltsam ausfinden wollte, während hier
lauter Elemente zur Sprache kommen, welche bis jetzt jeder positiven Bestim¬
mung durchaus widerstreben. - General Clausewitz ist der Erste, der diesen
Uebelstand gefühlt und es sich -- von einem tiefen philosophischen Blick
unterstützt -- zur Aufgabe gemacht hat, die eigentlichen Gesetze zu ermitteln
und somit den Grund zur Wissenschaft zu legen. Dies Streben gibt dem
Werke ein ganz eigenthümliches, höchst auffallendes Gepräge."

"Einige könnten es seicht finden, weil ihnen das Gefühl kommen wird;
""das hätte ich ja auch sagen können."" Dieselben übersehen aber dabei,
daß gerade solche Schriften, welche der Leser am meisten aus sich hervor¬
gehen fühlt, die er -- so zu sagen -- selbst milderte, am schwersten zu schrei¬
ben sind, weil nur ihre ungemeine Klarheit, diese eigenthümliche Täuschung
hervorbringt."

"Andere werden im Gegentheil den General tadeln, daß er zu viel Phi¬
losophie hinein verwebt hat, um dann auf ganz triviale Grundsätze, die schon
der Fähnrich kennte, zurückgeführt zu werden. Diese vergessen, daß die Kunst,
Krieg zu führen, nur auf wenigen Grundsätzen beruhen kann, die dem Ver¬
stände nahe liegen müssen, da so viele große Feldherren sich ihrer ohne Vor¬
studien bedient haben.",

Wir sind über die Zeiten weg, wo man noch annahm, daß Empirie das
eigentliche Kennzeichen aller technisch ausführbaren menschlichen Handlungen
sei, daß sie sich nicht wissenschaftlichen Grundsätzen unterwerfen lassen."

"General Clausewitz hat gefühlt, daß auch Geister sich nach Gesetzen be¬
wegen, er hat diese Gesetze zu erkennen versucht und damit eine Bahn ge¬
brochen, deren Ende nicht abzusehen ist. Sein klarer praktischer Geist hat
ihn vor Irrwegen bewahrt; die Einfachheit des Resultates ist der Beweis,
daß er sich nicht in Spekulationen verloren, sondern den leitenden Faden der
Erfahrung stets im Auge gehabt."

Der Todestag Clausewitzens, der 16. November wurde von dem Offi-
ciercorps der 1. Artilleriebrigade, dessen Inspector er gewesen 'war, feierlich
Agangen. Eine Gedächtnißrede, die Decker als Brigade-Commandeur bei
dieser Gelegenheit hielt, schließt mit den trefflichen Worten: "Ob die Mög¬
lichkeit, eines Systems der Kriegskunst überhaupt vorhanden ist oder nicht,
möge hier unerörtert bleiben. Aber angenommen, diese Möglichkeit wäre
wirklich vorhanden, so hat noch nie ein Schriftsteller gediegenere Materialien
dazu gesammelt, liebevollere Ideen und klarere Ansichten darüber verbreitet


erreicht, wo dieser Kunst eine Wissenschaft zu Grunde gelegt werden konnte.....
Die der Kriegskunst zu Grunde liegende Wissenschaft ist von ganz anderer
Art, als die übrigen, und blieb eben darum unerforscht, weil man eine Ver-
wandtschaft mit derselben und namentlich mit der Mathematik, der abstrac-
testen und positivsten unter ihnen, gewaltsam ausfinden wollte, während hier
lauter Elemente zur Sprache kommen, welche bis jetzt jeder positiven Bestim¬
mung durchaus widerstreben. - General Clausewitz ist der Erste, der diesen
Uebelstand gefühlt und es sich — von einem tiefen philosophischen Blick
unterstützt — zur Aufgabe gemacht hat, die eigentlichen Gesetze zu ermitteln
und somit den Grund zur Wissenschaft zu legen. Dies Streben gibt dem
Werke ein ganz eigenthümliches, höchst auffallendes Gepräge."

„Einige könnten es seicht finden, weil ihnen das Gefühl kommen wird;
„„das hätte ich ja auch sagen können."" Dieselben übersehen aber dabei,
daß gerade solche Schriften, welche der Leser am meisten aus sich hervor¬
gehen fühlt, die er — so zu sagen — selbst milderte, am schwersten zu schrei¬
ben sind, weil nur ihre ungemeine Klarheit, diese eigenthümliche Täuschung
hervorbringt."

„Andere werden im Gegentheil den General tadeln, daß er zu viel Phi¬
losophie hinein verwebt hat, um dann auf ganz triviale Grundsätze, die schon
der Fähnrich kennte, zurückgeführt zu werden. Diese vergessen, daß die Kunst,
Krieg zu führen, nur auf wenigen Grundsätzen beruhen kann, die dem Ver¬
stände nahe liegen müssen, da so viele große Feldherren sich ihrer ohne Vor¬
studien bedient haben.",

Wir sind über die Zeiten weg, wo man noch annahm, daß Empirie das
eigentliche Kennzeichen aller technisch ausführbaren menschlichen Handlungen
sei, daß sie sich nicht wissenschaftlichen Grundsätzen unterwerfen lassen."

„General Clausewitz hat gefühlt, daß auch Geister sich nach Gesetzen be¬
wegen, er hat diese Gesetze zu erkennen versucht und damit eine Bahn ge¬
brochen, deren Ende nicht abzusehen ist. Sein klarer praktischer Geist hat
ihn vor Irrwegen bewahrt; die Einfachheit des Resultates ist der Beweis,
daß er sich nicht in Spekulationen verloren, sondern den leitenden Faden der
Erfahrung stets im Auge gehabt."

Der Todestag Clausewitzens, der 16. November wurde von dem Offi-
ciercorps der 1. Artilleriebrigade, dessen Inspector er gewesen 'war, feierlich
Agangen. Eine Gedächtnißrede, die Decker als Brigade-Commandeur bei
dieser Gelegenheit hielt, schließt mit den trefflichen Worten: „Ob die Mög¬
lichkeit, eines Systems der Kriegskunst überhaupt vorhanden ist oder nicht,
möge hier unerörtert bleiben. Aber angenommen, diese Möglichkeit wäre
wirklich vorhanden, so hat noch nie ein Schriftsteller gediegenere Materialien
dazu gesammelt, liebevollere Ideen und klarere Ansichten darüber verbreitet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/493>, abgerufen am 29.06.2024.