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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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merksamkeit auf dafselbefzu lenken. Indeß einige Bemerkungen dem reichen
Stoff zu entnehmen, sei verstattet.

In den Jahren 1817 und 1818 erschien Rüste's Handbuch für die Offi-
ctere zur Belehrung im Krieg und Frieden und zum Gebrauch im Felde, ein
Hauptwerk aus jener Periode. -- Aus den Resultaten des bedeutsamen Um¬
schwunges der Kriegsführung, welche Rüste handelnd mit durchlebt, hat er
eine ganz veränderte wissenschaftliche Behandlung der Taktik hervorgerufen,
welche namentlich in der Gefechtslehre zu Tage tritt, von der bis dahin eine
vollständige und zweckmäßige Behandlung ganz fehlte. Die wahrhaft pro¬
phetische Gabe, welche mehrere Stellen dieses noch immer werthvollen Buches
bekunden, spricht sich unter anderem, in folgenden Worten aus, wÄche der
"hochgebildete, freisinnige" Generalstabsofficier vor mehr als SO Jahren
aussprach: "Es ist noch keineswegs entschieden, inwiefern nach dem Vorbilde
der Büchsenläufe gezogene Geschützröhre erhebliche Vortheile gewähren mögen
oder nicht. Aus theoretischen Gründen geht ihre absolute Verwerflichkeit
nicht hervor, die aus der Praxis genommenen Einwürfe gründen sich auf
eine viel zu geringe und auf mangelhaften Vorrichtungen und Versuchen be¬
ruhende Erfahrung. Gewiß scheint es, daß solche Geschütze von hinten ge¬
laden werden müssen, daß man sie mit Fernröhren versehen, die dazu ge¬
hörigen Kugeln mit Pflastern und wahrscheinlich mit einer Rinde von
weichem Metall umgeben müßte."

"Wie neben dem Genie, ein schönes Talent" fährt hierbei von Troschke
fort, "so erscheint Decker neben Rüste in mannichfacher Beziehung einen inter¬
essanten Contrast bildend. Beide in Berlin geboren, fehlte dem Einen der
örtliche Typus ganz, der in dem Anderem merklich hervortrat. Rastlose Be"
trievsamkeit, überaus anregende Einwirkung auf Andere, verbunden mit eige¬
ner vielseitiger Empfänglichkeit, führten Decker auf einen lebhaften Verkehr
nach außen, auf eine vorherrschend praktische Richtung hin und erzeugten die
Neigung, durch leichtes Erfassen die Dinge in Fluß zu bringen.

Während bei Rüste die ethische Auffassung der Erscheinungen entschieden
Lebensaufgabe war, tritt bei Decker eine solche ernste Richtung häufig hinter
die scherzhafte Weise zurück, die seine meisten -- hier nicht weiter zu erörtern¬
den belletristischen Schriften kennzeichnet und die sich in seinen wissenschaft¬
lichen Arbeiten nicht selten zu scharfer Satyre zuspitzt. Gleichwohl fehlte es
ihm nicht an geistigem Schwung, wenn es galt, an die ernsteren Ausgaben
des Lebens heranzutreten, denen er gern ein warmes Herz entgegenge¬
bracht hat."

In richtiger Erkenntniß des Geistes, der in dem preußischen Heere herr¬
schend werden müsse, war übrigens Decker der Erste, welcher die Sorge für
eine angemessene Lectüre für Unterofficiere und Soldaten ins Auge gefaßt


merksamkeit auf dafselbefzu lenken. Indeß einige Bemerkungen dem reichen
Stoff zu entnehmen, sei verstattet.

In den Jahren 1817 und 1818 erschien Rüste's Handbuch für die Offi-
ctere zur Belehrung im Krieg und Frieden und zum Gebrauch im Felde, ein
Hauptwerk aus jener Periode. — Aus den Resultaten des bedeutsamen Um¬
schwunges der Kriegsführung, welche Rüste handelnd mit durchlebt, hat er
eine ganz veränderte wissenschaftliche Behandlung der Taktik hervorgerufen,
welche namentlich in der Gefechtslehre zu Tage tritt, von der bis dahin eine
vollständige und zweckmäßige Behandlung ganz fehlte. Die wahrhaft pro¬
phetische Gabe, welche mehrere Stellen dieses noch immer werthvollen Buches
bekunden, spricht sich unter anderem, in folgenden Worten aus, wÄche der
„hochgebildete, freisinnige" Generalstabsofficier vor mehr als SO Jahren
aussprach: „Es ist noch keineswegs entschieden, inwiefern nach dem Vorbilde
der Büchsenläufe gezogene Geschützröhre erhebliche Vortheile gewähren mögen
oder nicht. Aus theoretischen Gründen geht ihre absolute Verwerflichkeit
nicht hervor, die aus der Praxis genommenen Einwürfe gründen sich auf
eine viel zu geringe und auf mangelhaften Vorrichtungen und Versuchen be¬
ruhende Erfahrung. Gewiß scheint es, daß solche Geschütze von hinten ge¬
laden werden müssen, daß man sie mit Fernröhren versehen, die dazu ge¬
hörigen Kugeln mit Pflastern und wahrscheinlich mit einer Rinde von
weichem Metall umgeben müßte."

„Wie neben dem Genie, ein schönes Talent" fährt hierbei von Troschke
fort, „so erscheint Decker neben Rüste in mannichfacher Beziehung einen inter¬
essanten Contrast bildend. Beide in Berlin geboren, fehlte dem Einen der
örtliche Typus ganz, der in dem Anderem merklich hervortrat. Rastlose Be«
trievsamkeit, überaus anregende Einwirkung auf Andere, verbunden mit eige¬
ner vielseitiger Empfänglichkeit, führten Decker auf einen lebhaften Verkehr
nach außen, auf eine vorherrschend praktische Richtung hin und erzeugten die
Neigung, durch leichtes Erfassen die Dinge in Fluß zu bringen.

Während bei Rüste die ethische Auffassung der Erscheinungen entschieden
Lebensaufgabe war, tritt bei Decker eine solche ernste Richtung häufig hinter
die scherzhafte Weise zurück, die seine meisten — hier nicht weiter zu erörtern¬
den belletristischen Schriften kennzeichnet und die sich in seinen wissenschaft¬
lichen Arbeiten nicht selten zu scharfer Satyre zuspitzt. Gleichwohl fehlte es
ihm nicht an geistigem Schwung, wenn es galt, an die ernsteren Ausgaben
des Lebens heranzutreten, denen er gern ein warmes Herz entgegenge¬
bracht hat."

In richtiger Erkenntniß des Geistes, der in dem preußischen Heere herr¬
schend werden müsse, war übrigens Decker der Erste, welcher die Sorge für
eine angemessene Lectüre für Unterofficiere und Soldaten ins Auge gefaßt


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[0490] merksamkeit auf dafselbefzu lenken. Indeß einige Bemerkungen dem reichen Stoff zu entnehmen, sei verstattet. In den Jahren 1817 und 1818 erschien Rüste's Handbuch für die Offi- ctere zur Belehrung im Krieg und Frieden und zum Gebrauch im Felde, ein Hauptwerk aus jener Periode. — Aus den Resultaten des bedeutsamen Um¬ schwunges der Kriegsführung, welche Rüste handelnd mit durchlebt, hat er eine ganz veränderte wissenschaftliche Behandlung der Taktik hervorgerufen, welche namentlich in der Gefechtslehre zu Tage tritt, von der bis dahin eine vollständige und zweckmäßige Behandlung ganz fehlte. Die wahrhaft pro¬ phetische Gabe, welche mehrere Stellen dieses noch immer werthvollen Buches bekunden, spricht sich unter anderem, in folgenden Worten aus, wÄche der „hochgebildete, freisinnige" Generalstabsofficier vor mehr als SO Jahren aussprach: „Es ist noch keineswegs entschieden, inwiefern nach dem Vorbilde der Büchsenläufe gezogene Geschützröhre erhebliche Vortheile gewähren mögen oder nicht. Aus theoretischen Gründen geht ihre absolute Verwerflichkeit nicht hervor, die aus der Praxis genommenen Einwürfe gründen sich auf eine viel zu geringe und auf mangelhaften Vorrichtungen und Versuchen be¬ ruhende Erfahrung. Gewiß scheint es, daß solche Geschütze von hinten ge¬ laden werden müssen, daß man sie mit Fernröhren versehen, die dazu ge¬ hörigen Kugeln mit Pflastern und wahrscheinlich mit einer Rinde von weichem Metall umgeben müßte." „Wie neben dem Genie, ein schönes Talent" fährt hierbei von Troschke fort, „so erscheint Decker neben Rüste in mannichfacher Beziehung einen inter¬ essanten Contrast bildend. Beide in Berlin geboren, fehlte dem Einen der örtliche Typus ganz, der in dem Anderem merklich hervortrat. Rastlose Be« trievsamkeit, überaus anregende Einwirkung auf Andere, verbunden mit eige¬ ner vielseitiger Empfänglichkeit, führten Decker auf einen lebhaften Verkehr nach außen, auf eine vorherrschend praktische Richtung hin und erzeugten die Neigung, durch leichtes Erfassen die Dinge in Fluß zu bringen. Während bei Rüste die ethische Auffassung der Erscheinungen entschieden Lebensaufgabe war, tritt bei Decker eine solche ernste Richtung häufig hinter die scherzhafte Weise zurück, die seine meisten — hier nicht weiter zu erörtern¬ den belletristischen Schriften kennzeichnet und die sich in seinen wissenschaft¬ lichen Arbeiten nicht selten zu scharfer Satyre zuspitzt. Gleichwohl fehlte es ihm nicht an geistigem Schwung, wenn es galt, an die ernsteren Ausgaben des Lebens heranzutreten, denen er gern ein warmes Herz entgegenge¬ bracht hat." In richtiger Erkenntniß des Geistes, der in dem preußischen Heere herr¬ schend werden müsse, war übrigens Decker der Erste, welcher die Sorge für eine angemessene Lectüre für Unterofficiere und Soldaten ins Auge gefaßt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/490>, abgerufen am 29.06.2024.