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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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ten, die irgend auf Bildung Anspruch machen, gesprochen und verstanden.
Obgleich in der Bureaukratie sehr zahlreiche Polen dienen und die alt-polni¬
schen Ansprüche auf die Herrschaft im Buchenlande nicht ganz verstummt
find, ist in der Beamtenwelt der herrschende Typus doch der deutsche; die
Mehrzahl der zu dieser wichtigen Schicht gehörigen Personen dürfte beide
Sprachen verstehen und das Deutsch der Beamten in Czernowitz hat nicht
selten ein polnisches Timbre. Die Presse ist natürlich noch in dem Zustande
glücklicher Kindheit; das Regierungsorgan erscheint drei Mal wöchentlich in
deutscher Sprache, außerdem haben Rumänen, Ruthenen und Polen je ein
kleines Zeitungsblatt zu ihrer Verfügung. Die Unbildung der beiden Haupt¬
stämme des Landes und die ziemlich starke Vertretung des deutschen Elements
in der Bureaukeatie, der Handelswelt und dem Handwerkerstande von Czer¬
nowitz haben aber bewirkt, daß hier noch an der alten, in der übrigen Welt
längst aufgegebenen Fiction einer östreichischen Nationalität festgehalten wird
und daß der Zusammenhang mit dem östreichischen Deutschthum selbst seine ge¬
müthliche Seite hat. In Czernowitz erscheint jährlich ein deutscher "Czerno-
witzer Hauskalender", seit einiger Zeit sogar ein "Bukowiner Volks-
kalender" in derselben Sprache und wenn in dieser Stadt überhaupt
Komödie gespielt wird, so geschieht es in der Sprache der Castelli
und Bäuerle. Einer solchen Vorstellung habe ich beigewohnt. Schau¬
platz derselben war das eigens zu dramatischen Zwecken hergerichtete
obere Stockwerk des "Hotel de Moldavie". einer ziemlich unheimlichen,
zwischen Gasthof und Kneipe stehenden Wirthschaft in der Nähe des heiligen
Geist-Platzes. Unten wogte es in tabakerfüllter Atmosphäre von ruthenischen
und wallachischen Landwirthen, die den Erlös des Jahrmarkts in geistige
Getränke umsetzten, Unterofficieren der Garnison, die Billard spielten und
in allen möglichen Sprachen fluchten und spieen, russischen Kaufleuten aus
Akjermann und Odessa, die im Wolfspelz an va,ore1 Thee tranken und
schmierige Banknoten zählten. Juden, die ihre Dienste deutsch und polnisch
Jedermann und zu jedem Zweck anboten, endlich Zigeunern, die durch die
Reize des Jahrmarkts in die Stadt gelockt worden waren. Ueber diesem
osteuropäischen Pandämonium und unter Assistenz eines Theils der Genossen
desselben wurde "vor einem hohen Adel und verehrungswürdigen Publikum",
"aus allgemeines Verlangen" die Gesangsposse "Postillon und Localsängerm
von G. Kayser" zum Besten gegeben: "Herren Unterofficiere und Studenten
(soll heißen Gymnasiasten) zahlen die Hälfte des Eintrittspreises", der für die
Logen 7S Kreuzer, für das Parterre, wenn ich nicht irre, einen halben Gul¬
den betrug. Die Hühnersteige, welche zu dem Kunsttempel hinaufführt,
war mit rauchenden Jünglingen besetzt, Vertretern der Kunst. Künstler und
Künstlerinnen beschützenden goldenen Jugend des Orts -- der Tempel selbst


ten, die irgend auf Bildung Anspruch machen, gesprochen und verstanden.
Obgleich in der Bureaukratie sehr zahlreiche Polen dienen und die alt-polni¬
schen Ansprüche auf die Herrschaft im Buchenlande nicht ganz verstummt
find, ist in der Beamtenwelt der herrschende Typus doch der deutsche; die
Mehrzahl der zu dieser wichtigen Schicht gehörigen Personen dürfte beide
Sprachen verstehen und das Deutsch der Beamten in Czernowitz hat nicht
selten ein polnisches Timbre. Die Presse ist natürlich noch in dem Zustande
glücklicher Kindheit; das Regierungsorgan erscheint drei Mal wöchentlich in
deutscher Sprache, außerdem haben Rumänen, Ruthenen und Polen je ein
kleines Zeitungsblatt zu ihrer Verfügung. Die Unbildung der beiden Haupt¬
stämme des Landes und die ziemlich starke Vertretung des deutschen Elements
in der Bureaukeatie, der Handelswelt und dem Handwerkerstande von Czer¬
nowitz haben aber bewirkt, daß hier noch an der alten, in der übrigen Welt
längst aufgegebenen Fiction einer östreichischen Nationalität festgehalten wird
und daß der Zusammenhang mit dem östreichischen Deutschthum selbst seine ge¬
müthliche Seite hat. In Czernowitz erscheint jährlich ein deutscher „Czerno-
witzer Hauskalender", seit einiger Zeit sogar ein „Bukowiner Volks-
kalender" in derselben Sprache und wenn in dieser Stadt überhaupt
Komödie gespielt wird, so geschieht es in der Sprache der Castelli
und Bäuerle. Einer solchen Vorstellung habe ich beigewohnt. Schau¬
platz derselben war das eigens zu dramatischen Zwecken hergerichtete
obere Stockwerk des „Hotel de Moldavie". einer ziemlich unheimlichen,
zwischen Gasthof und Kneipe stehenden Wirthschaft in der Nähe des heiligen
Geist-Platzes. Unten wogte es in tabakerfüllter Atmosphäre von ruthenischen
und wallachischen Landwirthen, die den Erlös des Jahrmarkts in geistige
Getränke umsetzten, Unterofficieren der Garnison, die Billard spielten und
in allen möglichen Sprachen fluchten und spieen, russischen Kaufleuten aus
Akjermann und Odessa, die im Wolfspelz an va,ore1 Thee tranken und
schmierige Banknoten zählten. Juden, die ihre Dienste deutsch und polnisch
Jedermann und zu jedem Zweck anboten, endlich Zigeunern, die durch die
Reize des Jahrmarkts in die Stadt gelockt worden waren. Ueber diesem
osteuropäischen Pandämonium und unter Assistenz eines Theils der Genossen
desselben wurde „vor einem hohen Adel und verehrungswürdigen Publikum",
„aus allgemeines Verlangen" die Gesangsposse „Postillon und Localsängerm
von G. Kayser" zum Besten gegeben: „Herren Unterofficiere und Studenten
(soll heißen Gymnasiasten) zahlen die Hälfte des Eintrittspreises", der für die
Logen 7S Kreuzer, für das Parterre, wenn ich nicht irre, einen halben Gul¬
den betrug. Die Hühnersteige, welche zu dem Kunsttempel hinaufführt,
war mit rauchenden Jünglingen besetzt, Vertretern der Kunst. Künstler und
Künstlerinnen beschützenden goldenen Jugend des Orts — der Tempel selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/483>, abgerufen am 28.09.2024.