Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hier die Station, über welche Sadik Pascha und Gontscharow, der Hetmann
der türkisch-polnischen Kasakenlegion, ihre geheimen Nachrichten aus Rußland
erhielten und kurz vor Ausbruch des polnischen Aufstandes zog der Herr
dieses Hauses nach Moskau, wo ein Concil "aller wahren Gläubigen" ver¬
sammelt war, um ihm als seinen Oberhirten zu huldigen, von ihm die Er¬
nennung der Erzbischöfe und Bischöfe für Rußland und die Türkei zu erbitten.
Von geschickten Händen geleitet, hätte die Einwohnerschaft des Bauernklosters
von Fontina Alba der russischen Regierung endlose Schwierigkeiten bereiten,
der Sache des nach Westen vorrückenden Panslavismus manchen unbequemen
Damm vorziehen können. Aber diese geschickten Hände fehlten, die letzten
Jahre haben das Band zwischen dem Oberhirten in Bjelo-Krinitza und seiner
russischen Heerde wieder gelockert und die "Lipowaner", deren Lippen sonst
von Versicherungen der Treue gegen das Haus Habsburg und das k. k. "Un-
terthans-Vaterland" Überflossen, murren darüber, daß man ihnen das alte
Privilegium der Militärfreiheit entzogen hat und drohen mit der Rückehr nach
Rußland. -- Zu bemerken ist bei dieser Gelegenheit, daß der östliche Theil
der Bukowina und der Moldau Lieblingstummelplätze aller Arten von russi¬
schen Flüchtlingen, namentlich Sectirern siud und daß das Treiben derselben den
drei Regierungen, deren Grenzen bei dem bukowinischen Dorf Triplex confi-
nium zusammentreffen*) -- zahlreiche Händel und Unannehmlichkeiten bereitet hat.
Der russische Socialist Wassily Kelssiew, der im Sommer 1867 nach jahre¬
langem Aufenthalt in diesen Grenzländern seinen Frieden mit der russischen
Regierung machte, hat von diesem Flüchtlingstreiben und den Zuständen
Galiziens, der Moldau-Wallachei, Bulgariens :c. in seinen Schriften ein in¬
teressantes, wenn auch nur sehr theilweise getreues Bild entworfen**)

So treffen auf dem engbegrenzten Boden dieses im Jahre 1849 geschaf¬
fenen Herzogthums religiöse, politische und nationale Gegensätze der hetero¬
gensten Art zusammen, um sich zu einem wunderlichen Ganzen zu verbinden.
Mit Galizien verglichen, trägt die Bukowina trotz der Auflösung der alten
Verhältnisse freilich immer noch den Stempel einer von Deutschen regierten
k. k. Provinz. In Behörden und Schulen ist die deutsche Sprache die erst¬
berechtigte und herrschende; sie hat aus dem Landtage Bürgerrecht, sie ist auf
allen Schildern und öffentlichen Gebäuden vertreten und wird von allen Leu-




") Dieser Punkt wird jährlich von reisenden Engländern besticht, die in dem Dorf die Nacht
zubringen, um "aus der Grenze dreier Kaiserreiche" geschlafen zu haben.
Unter diesen Schriften, die der Bearbeitung in deutscher oder französischer Sprache wohl
werth wären sind namentlich zu nennen: Ueber Galizien und die Moldau, Petersburg 1868 und
Durchlebtes und Durchdachtes. Von besonderem Interesse durften die in diesen Büchern ent¬
haltenen Angaben üoer die Geschichte der russischen Propaganda in Galizien und die Mittheilungen
liber die Stellung der Westslavcn zur polnischen Frage sein.

hier die Station, über welche Sadik Pascha und Gontscharow, der Hetmann
der türkisch-polnischen Kasakenlegion, ihre geheimen Nachrichten aus Rußland
erhielten und kurz vor Ausbruch des polnischen Aufstandes zog der Herr
dieses Hauses nach Moskau, wo ein Concil „aller wahren Gläubigen" ver¬
sammelt war, um ihm als seinen Oberhirten zu huldigen, von ihm die Er¬
nennung der Erzbischöfe und Bischöfe für Rußland und die Türkei zu erbitten.
Von geschickten Händen geleitet, hätte die Einwohnerschaft des Bauernklosters
von Fontina Alba der russischen Regierung endlose Schwierigkeiten bereiten,
der Sache des nach Westen vorrückenden Panslavismus manchen unbequemen
Damm vorziehen können. Aber diese geschickten Hände fehlten, die letzten
Jahre haben das Band zwischen dem Oberhirten in Bjelo-Krinitza und seiner
russischen Heerde wieder gelockert und die „Lipowaner", deren Lippen sonst
von Versicherungen der Treue gegen das Haus Habsburg und das k. k. „Un-
terthans-Vaterland" Überflossen, murren darüber, daß man ihnen das alte
Privilegium der Militärfreiheit entzogen hat und drohen mit der Rückehr nach
Rußland. — Zu bemerken ist bei dieser Gelegenheit, daß der östliche Theil
der Bukowina und der Moldau Lieblingstummelplätze aller Arten von russi¬
schen Flüchtlingen, namentlich Sectirern siud und daß das Treiben derselben den
drei Regierungen, deren Grenzen bei dem bukowinischen Dorf Triplex confi-
nium zusammentreffen*) — zahlreiche Händel und Unannehmlichkeiten bereitet hat.
Der russische Socialist Wassily Kelssiew, der im Sommer 1867 nach jahre¬
langem Aufenthalt in diesen Grenzländern seinen Frieden mit der russischen
Regierung machte, hat von diesem Flüchtlingstreiben und den Zuständen
Galiziens, der Moldau-Wallachei, Bulgariens :c. in seinen Schriften ein in¬
teressantes, wenn auch nur sehr theilweise getreues Bild entworfen**)

So treffen auf dem engbegrenzten Boden dieses im Jahre 1849 geschaf¬
fenen Herzogthums religiöse, politische und nationale Gegensätze der hetero¬
gensten Art zusammen, um sich zu einem wunderlichen Ganzen zu verbinden.
Mit Galizien verglichen, trägt die Bukowina trotz der Auflösung der alten
Verhältnisse freilich immer noch den Stempel einer von Deutschen regierten
k. k. Provinz. In Behörden und Schulen ist die deutsche Sprache die erst¬
berechtigte und herrschende; sie hat aus dem Landtage Bürgerrecht, sie ist auf
allen Schildern und öffentlichen Gebäuden vertreten und wird von allen Leu-




") Dieser Punkt wird jährlich von reisenden Engländern besticht, die in dem Dorf die Nacht
zubringen, um „aus der Grenze dreier Kaiserreiche" geschlafen zu haben.
Unter diesen Schriften, die der Bearbeitung in deutscher oder französischer Sprache wohl
werth wären sind namentlich zu nennen: Ueber Galizien und die Moldau, Petersburg 1868 und
Durchlebtes und Durchdachtes. Von besonderem Interesse durften die in diesen Büchern ent¬
haltenen Angaben üoer die Geschichte der russischen Propaganda in Galizien und die Mittheilungen
liber die Stellung der Westslavcn zur polnischen Frage sein.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123570"/>
            <p xml:id="ID_1357" prev="#ID_1356"> hier die Station, über welche Sadik Pascha und Gontscharow, der Hetmann<lb/>
der türkisch-polnischen Kasakenlegion, ihre geheimen Nachrichten aus Rußland<lb/>
erhielten und kurz vor Ausbruch des polnischen Aufstandes zog der Herr<lb/>
dieses Hauses nach Moskau, wo ein Concil &#x201E;aller wahren Gläubigen" ver¬<lb/>
sammelt war, um ihm als seinen Oberhirten zu huldigen, von ihm die Er¬<lb/>
nennung der Erzbischöfe und Bischöfe für Rußland und die Türkei zu erbitten.<lb/>
Von geschickten Händen geleitet, hätte die Einwohnerschaft des Bauernklosters<lb/>
von Fontina Alba der russischen Regierung endlose Schwierigkeiten bereiten,<lb/>
der Sache des nach Westen vorrückenden Panslavismus manchen unbequemen<lb/>
Damm vorziehen können. Aber diese geschickten Hände fehlten, die letzten<lb/>
Jahre haben das Band zwischen dem Oberhirten in Bjelo-Krinitza und seiner<lb/>
russischen Heerde wieder gelockert und die &#x201E;Lipowaner", deren Lippen sonst<lb/>
von Versicherungen der Treue gegen das Haus Habsburg und das k. k. &#x201E;Un-<lb/>
terthans-Vaterland" Überflossen, murren darüber, daß man ihnen das alte<lb/>
Privilegium der Militärfreiheit entzogen hat und drohen mit der Rückehr nach<lb/>
Rußland. &#x2014; Zu bemerken ist bei dieser Gelegenheit, daß der östliche Theil<lb/>
der Bukowina und der Moldau Lieblingstummelplätze aller Arten von russi¬<lb/>
schen Flüchtlingen, namentlich Sectirern siud und daß das Treiben derselben den<lb/>
drei Regierungen, deren Grenzen bei dem bukowinischen Dorf Triplex confi-<lb/>
nium zusammentreffen*) &#x2014; zahlreiche Händel und Unannehmlichkeiten bereitet hat.<lb/>
Der russische Socialist Wassily Kelssiew, der im Sommer 1867 nach jahre¬<lb/>
langem Aufenthalt in diesen Grenzländern seinen Frieden mit der russischen<lb/>
Regierung machte, hat von diesem Flüchtlingstreiben und den Zuständen<lb/>
Galiziens, der Moldau-Wallachei, Bulgariens :c. in seinen Schriften ein in¬<lb/>
teressantes, wenn auch nur sehr theilweise getreues Bild entworfen**)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1358" next="#ID_1359"> So treffen auf dem engbegrenzten Boden dieses im Jahre 1849 geschaf¬<lb/>
fenen Herzogthums religiöse, politische und nationale Gegensätze der hetero¬<lb/>
gensten Art zusammen, um sich zu einem wunderlichen Ganzen zu verbinden.<lb/>
Mit Galizien verglichen, trägt die Bukowina trotz der Auflösung der alten<lb/>
Verhältnisse freilich immer noch den Stempel einer von Deutschen regierten<lb/>
k. k. Provinz. In Behörden und Schulen ist die deutsche Sprache die erst¬<lb/>
berechtigte und herrschende; sie hat aus dem Landtage Bürgerrecht, sie ist auf<lb/>
allen Schildern und öffentlichen Gebäuden vertreten und wird von allen Leu-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_69" place="foot"> ") Dieser Punkt wird jährlich von reisenden Engländern besticht, die in dem Dorf die Nacht<lb/>
zubringen, um &#x201E;aus der Grenze dreier Kaiserreiche" geschlafen zu haben.</note><lb/>
            <note xml:id="FID_70" place="foot"> Unter diesen Schriften, die der Bearbeitung in deutscher oder französischer Sprache wohl<lb/>
werth wären sind namentlich zu nennen: Ueber Galizien und die Moldau, Petersburg 1868 und<lb/>
Durchlebtes und Durchdachtes. Von besonderem Interesse durften die in diesen Büchern ent¬<lb/>
haltenen Angaben üoer die Geschichte der russischen Propaganda in Galizien und die Mittheilungen<lb/>
liber die Stellung der Westslavcn zur polnischen Frage sein.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0482] hier die Station, über welche Sadik Pascha und Gontscharow, der Hetmann der türkisch-polnischen Kasakenlegion, ihre geheimen Nachrichten aus Rußland erhielten und kurz vor Ausbruch des polnischen Aufstandes zog der Herr dieses Hauses nach Moskau, wo ein Concil „aller wahren Gläubigen" ver¬ sammelt war, um ihm als seinen Oberhirten zu huldigen, von ihm die Er¬ nennung der Erzbischöfe und Bischöfe für Rußland und die Türkei zu erbitten. Von geschickten Händen geleitet, hätte die Einwohnerschaft des Bauernklosters von Fontina Alba der russischen Regierung endlose Schwierigkeiten bereiten, der Sache des nach Westen vorrückenden Panslavismus manchen unbequemen Damm vorziehen können. Aber diese geschickten Hände fehlten, die letzten Jahre haben das Band zwischen dem Oberhirten in Bjelo-Krinitza und seiner russischen Heerde wieder gelockert und die „Lipowaner", deren Lippen sonst von Versicherungen der Treue gegen das Haus Habsburg und das k. k. „Un- terthans-Vaterland" Überflossen, murren darüber, daß man ihnen das alte Privilegium der Militärfreiheit entzogen hat und drohen mit der Rückehr nach Rußland. — Zu bemerken ist bei dieser Gelegenheit, daß der östliche Theil der Bukowina und der Moldau Lieblingstummelplätze aller Arten von russi¬ schen Flüchtlingen, namentlich Sectirern siud und daß das Treiben derselben den drei Regierungen, deren Grenzen bei dem bukowinischen Dorf Triplex confi- nium zusammentreffen*) — zahlreiche Händel und Unannehmlichkeiten bereitet hat. Der russische Socialist Wassily Kelssiew, der im Sommer 1867 nach jahre¬ langem Aufenthalt in diesen Grenzländern seinen Frieden mit der russischen Regierung machte, hat von diesem Flüchtlingstreiben und den Zuständen Galiziens, der Moldau-Wallachei, Bulgariens :c. in seinen Schriften ein in¬ teressantes, wenn auch nur sehr theilweise getreues Bild entworfen**) So treffen auf dem engbegrenzten Boden dieses im Jahre 1849 geschaf¬ fenen Herzogthums religiöse, politische und nationale Gegensätze der hetero¬ gensten Art zusammen, um sich zu einem wunderlichen Ganzen zu verbinden. Mit Galizien verglichen, trägt die Bukowina trotz der Auflösung der alten Verhältnisse freilich immer noch den Stempel einer von Deutschen regierten k. k. Provinz. In Behörden und Schulen ist die deutsche Sprache die erst¬ berechtigte und herrschende; sie hat aus dem Landtage Bürgerrecht, sie ist auf allen Schildern und öffentlichen Gebäuden vertreten und wird von allen Leu- ") Dieser Punkt wird jährlich von reisenden Engländern besticht, die in dem Dorf die Nacht zubringen, um „aus der Grenze dreier Kaiserreiche" geschlafen zu haben. Unter diesen Schriften, die der Bearbeitung in deutscher oder französischer Sprache wohl werth wären sind namentlich zu nennen: Ueber Galizien und die Moldau, Petersburg 1868 und Durchlebtes und Durchdachtes. Von besonderem Interesse durften die in diesen Büchern ent¬ haltenen Angaben üoer die Geschichte der russischen Propaganda in Galizien und die Mittheilungen liber die Stellung der Westslavcn zur polnischen Frage sein.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/482
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/482>, abgerufen am 29.06.2024.