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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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tiges Argument gegen die Möglichkeit einer Weitersristung des gegenwärti¬
gen Systems gelten.

Wenn die in Wien beliebte Exprimental-Politik noch einige Jahre in dem
Fahrwasser bleibt, von dem sie gegenwärtig getrieben wird, so werden die
Dinge freilich auch hier einem Umschwung entgegen getrieben werden. So
schwach auch die großrumänischen und großrussischen Agitationsversuche sind,
die in der Bukowina ihre kindischen Flügel regen, der ihnen entgegenstehende
Widerstand ist noch schwächer und das allgemeine Gefühl des Mißbehagens,
das sich über die österreichischen Länder slavischer wie deutscher Zunge zu ver¬
breiten begonnen hat, wird auch an den Pruth und Sereth seinen Weg finden.
Keine der in Wien möglichen Regierungsformen ist im Stande neues Blut
in die Adern des trägen Stillebens zu gießen, das in diesem von Russen und
Rumänen bedrohten Grenzlande gefristet wird. Selbst die von Haß gegen
die Intoleranz der griechisch-russischen Kirche aus Rußland vertriebenen alt¬
gläubigen sentir,er, welche in der Bukowina unter dem Namen der Lipo-
waner ihr Wesen treiben, wenden sich von dem schwarz-gelben Banner, von
dem sie sonst alles Heil erwarteten, ab, und machen Miene, in die verlassene
und gehaßte Heimath jenseit der Grenze zurückzukehren. Etwa drei Stunden
von Czernowitz liegt ein Dorf, das russisch Bjelo-Krinitza, rumänisch Fontina
Alba heißt und in der neueren Geschichte der morgenländischen Kirche eine
nicht unwichtige Rolle gespielt hat. In dem großen, roh aus Holz gezim¬
merten Kloster, das den Mittelpunkt dieses Orts bildet, ist die Residenz des
altgläubigen Metropoliten aufgeschlagen, den noch vor wenigen Jahren
Millionen zu den altgläubigen hierarchischen Secten gehöriger russischer Schis¬
matiker als ihr geweihtes Oberhaupt verehrten, und der noch gegenwärtig
Hunderttausende wilder Fanatiker beherrscht, über dessen Führung in Moskau
und Petersburg genau Buch geführt wird. Fast ein Jahrzehnt lang galt
der unwissende bäurische alte Mann, der hier mit einem zahlreichen Stäbe
von Archimandriten und Mönchen Hof hält, für den Papst des größten
Theils aller Sectirer in Rußland und mehr wie einmal hat das Peters¬
burger Cabinet in Wien darüber Beschwerde geführt, daß das ärmliche Dorf
in der Bukowina der Mittelpunkt aller kirchlichen und politischen Umtriebe
sei, die gegen den Beherrscher von Staat und Kirche Rußlands geschmiedet
würden. Durch die Thore des Klosters von Fontina Alba gingen unaufhör¬
lich Emissäre erbitterter Häretiker von Moskau und Kursk, Sendboten unzufrie¬
dener Kosaken vom Don, Agenten der polnischen Emigration und der hohen
Pforte, reich mit Gold beladene Almosensammler, die in hundert verschiede¬
nen Verkleidungen die Ebene diesseit und jenseit des Ural durchwandert hat¬
ten, um für den "Feldherrn des Heeres der Gerechten" Spenden in der Art
des Peterspfennigs zu sammeln. Während des orientalischen Krieges war


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tiges Argument gegen die Möglichkeit einer Weitersristung des gegenwärti¬
gen Systems gelten.

Wenn die in Wien beliebte Exprimental-Politik noch einige Jahre in dem
Fahrwasser bleibt, von dem sie gegenwärtig getrieben wird, so werden die
Dinge freilich auch hier einem Umschwung entgegen getrieben werden. So
schwach auch die großrumänischen und großrussischen Agitationsversuche sind,
die in der Bukowina ihre kindischen Flügel regen, der ihnen entgegenstehende
Widerstand ist noch schwächer und das allgemeine Gefühl des Mißbehagens,
das sich über die österreichischen Länder slavischer wie deutscher Zunge zu ver¬
breiten begonnen hat, wird auch an den Pruth und Sereth seinen Weg finden.
Keine der in Wien möglichen Regierungsformen ist im Stande neues Blut
in die Adern des trägen Stillebens zu gießen, das in diesem von Russen und
Rumänen bedrohten Grenzlande gefristet wird. Selbst die von Haß gegen
die Intoleranz der griechisch-russischen Kirche aus Rußland vertriebenen alt¬
gläubigen sentir,er, welche in der Bukowina unter dem Namen der Lipo-
waner ihr Wesen treiben, wenden sich von dem schwarz-gelben Banner, von
dem sie sonst alles Heil erwarteten, ab, und machen Miene, in die verlassene
und gehaßte Heimath jenseit der Grenze zurückzukehren. Etwa drei Stunden
von Czernowitz liegt ein Dorf, das russisch Bjelo-Krinitza, rumänisch Fontina
Alba heißt und in der neueren Geschichte der morgenländischen Kirche eine
nicht unwichtige Rolle gespielt hat. In dem großen, roh aus Holz gezim¬
merten Kloster, das den Mittelpunkt dieses Orts bildet, ist die Residenz des
altgläubigen Metropoliten aufgeschlagen, den noch vor wenigen Jahren
Millionen zu den altgläubigen hierarchischen Secten gehöriger russischer Schis¬
matiker als ihr geweihtes Oberhaupt verehrten, und der noch gegenwärtig
Hunderttausende wilder Fanatiker beherrscht, über dessen Führung in Moskau
und Petersburg genau Buch geführt wird. Fast ein Jahrzehnt lang galt
der unwissende bäurische alte Mann, der hier mit einem zahlreichen Stäbe
von Archimandriten und Mönchen Hof hält, für den Papst des größten
Theils aller Sectirer in Rußland und mehr wie einmal hat das Peters¬
burger Cabinet in Wien darüber Beschwerde geführt, daß das ärmliche Dorf
in der Bukowina der Mittelpunkt aller kirchlichen und politischen Umtriebe
sei, die gegen den Beherrscher von Staat und Kirche Rußlands geschmiedet
würden. Durch die Thore des Klosters von Fontina Alba gingen unaufhör¬
lich Emissäre erbitterter Häretiker von Moskau und Kursk, Sendboten unzufrie¬
dener Kosaken vom Don, Agenten der polnischen Emigration und der hohen
Pforte, reich mit Gold beladene Almosensammler, die in hundert verschiede¬
nen Verkleidungen die Ebene diesseit und jenseit des Ural durchwandert hat¬
ten, um für den „Feldherrn des Heeres der Gerechten" Spenden in der Art
des Peterspfennigs zu sammeln. Während des orientalischen Krieges war


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[0481] tiges Argument gegen die Möglichkeit einer Weitersristung des gegenwärti¬ gen Systems gelten. Wenn die in Wien beliebte Exprimental-Politik noch einige Jahre in dem Fahrwasser bleibt, von dem sie gegenwärtig getrieben wird, so werden die Dinge freilich auch hier einem Umschwung entgegen getrieben werden. So schwach auch die großrumänischen und großrussischen Agitationsversuche sind, die in der Bukowina ihre kindischen Flügel regen, der ihnen entgegenstehende Widerstand ist noch schwächer und das allgemeine Gefühl des Mißbehagens, das sich über die österreichischen Länder slavischer wie deutscher Zunge zu ver¬ breiten begonnen hat, wird auch an den Pruth und Sereth seinen Weg finden. Keine der in Wien möglichen Regierungsformen ist im Stande neues Blut in die Adern des trägen Stillebens zu gießen, das in diesem von Russen und Rumänen bedrohten Grenzlande gefristet wird. Selbst die von Haß gegen die Intoleranz der griechisch-russischen Kirche aus Rußland vertriebenen alt¬ gläubigen sentir,er, welche in der Bukowina unter dem Namen der Lipo- waner ihr Wesen treiben, wenden sich von dem schwarz-gelben Banner, von dem sie sonst alles Heil erwarteten, ab, und machen Miene, in die verlassene und gehaßte Heimath jenseit der Grenze zurückzukehren. Etwa drei Stunden von Czernowitz liegt ein Dorf, das russisch Bjelo-Krinitza, rumänisch Fontina Alba heißt und in der neueren Geschichte der morgenländischen Kirche eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat. In dem großen, roh aus Holz gezim¬ merten Kloster, das den Mittelpunkt dieses Orts bildet, ist die Residenz des altgläubigen Metropoliten aufgeschlagen, den noch vor wenigen Jahren Millionen zu den altgläubigen hierarchischen Secten gehöriger russischer Schis¬ matiker als ihr geweihtes Oberhaupt verehrten, und der noch gegenwärtig Hunderttausende wilder Fanatiker beherrscht, über dessen Führung in Moskau und Petersburg genau Buch geführt wird. Fast ein Jahrzehnt lang galt der unwissende bäurische alte Mann, der hier mit einem zahlreichen Stäbe von Archimandriten und Mönchen Hof hält, für den Papst des größten Theils aller Sectirer in Rußland und mehr wie einmal hat das Peters¬ burger Cabinet in Wien darüber Beschwerde geführt, daß das ärmliche Dorf in der Bukowina der Mittelpunkt aller kirchlichen und politischen Umtriebe sei, die gegen den Beherrscher von Staat und Kirche Rußlands geschmiedet würden. Durch die Thore des Klosters von Fontina Alba gingen unaufhör¬ lich Emissäre erbitterter Häretiker von Moskau und Kursk, Sendboten unzufrie¬ dener Kosaken vom Don, Agenten der polnischen Emigration und der hohen Pforte, reich mit Gold beladene Almosensammler, die in hundert verschiede¬ nen Verkleidungen die Ebene diesseit und jenseit des Ural durchwandert hat¬ ten, um für den „Feldherrn des Heeres der Gerechten" Spenden in der Art des Peterspfennigs zu sammeln. Während des orientalischen Krieges war 60*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/481>, abgerufen am 29.06.2024.