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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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nen" in bedenklicher Weise. Die Gewohnheit, die Hälfte des Lebens müßig
zu verträumen, ist hier so tief eingewurzelt, daß selbst außerordentlich" Noth¬
stände nicht im Stande sind, sie zu unterbrechen und eine erhöhte Rührigkeit
zu erzwingen. Während im Jahre 1867 Tausende von rumänischen Bewoh¬
nern dieses Landes sammt Weibern und Kindern elend in Noth und Hunger
verkamen, mußten zur Fortführung der Eisenbahnlinie Czernowitz-Suczawa-
Jassy polnische, italienische und deutsche Arbeiter verschrieben werden, weil
sich innerhalb Landes die erforderlichen Arbeitskräfte absolut nicht auftreiben
ließen.

Was es heißen will, wenn in einem Lande, das noch so tief in morgen
ländischer Barbarei steckt, die wenigen vorhandenen geistigen Kräfte in na¬
tionalen und "politischen" Händeln verbraucht und aufgerieben werden, wird
der Leser sich ohne weiteren Commentar sagen können. Für Länder, wie die
Bukowina eines ist, erscheint das in Oestreich neu erweckte konstitutionelle Leben
nicht nur verfrüht, sondern geradezu verderblich, indem es die kaum erwachte.
Intelligenz der Bevölkerung den primären Lebensforderungen ab- und Zielen
zuwendet, die bei dem herrschenden Bildungsgrade absolut unerreichbar sind.
Was sollenden Rumänen von Suczawa, Triplex confinium, Fontina Alba u. f. w.
die "Segnungen des Parlamentarismus", Discussionen über provinzielle Autono¬
mie oder liberalen Centralismus? Hier wäre einfach ein aufgeklärter, derb zu¬
schlagender Absolutismus am Platz, wenn überhaupt jemals etwas werden soll.
Für die nächsten hundert Jahre ist an Selbsthilfe oder eine vernünftige Be¬
nutzung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung auch nicht zu denken;
die Bedürfnisse der deutsch-östreichischen Provinzen sind von denen der Buko¬
wina so himmelweit verschieden, wie etwa die ländlichen Verhältnisse Sach¬
sens von denen in der Türkei. Die Spielereien mit "Nationalitätsprincip"
und modernem Bewußtsein, die am Pruth getrieben werden, sind darum als
die Todtfeinde jedes gesunden Fortschritts anzusehen und es erscheint ge¬
radezu lächerlich, wenn -- wie neulich geschehen -- ein bukowinischer Volks-
treter im Wiener Reichsrath das Bedürfniß zur Sprache brachte, seinem
Vaterlande dieselbe autonome Stellung vindicirt zu sehen, wie sie von Czechen
und Polen beansprucht werden. -- So wenig die deutsch-östreichische, noch
immer in schwarzgelben Traditionen steckende Bureaukratie im Uebrigen be¬
rechtigt und befähigt ist, sich als leitende Macht und Trägerin des östreichi
schen Staatswesens zu geriren -- hier hat sie noch eine Mission, hier erscheinen
ihre Apostel noch wie höhere Wesen, Joseph II. und Maria Theresia wären
für die Bukowina die zeitgemäßen Regenten! Schon die Verschiedenheit zwi¬
schen dem Bildungszustände und den Bedürfnissen in Erdgegenden, wie die
Bukowina ist, und den Zuständen in Deutsch-Oestreich kann für ein gewich-


nen" in bedenklicher Weise. Die Gewohnheit, die Hälfte des Lebens müßig
zu verträumen, ist hier so tief eingewurzelt, daß selbst außerordentlich« Noth¬
stände nicht im Stande sind, sie zu unterbrechen und eine erhöhte Rührigkeit
zu erzwingen. Während im Jahre 1867 Tausende von rumänischen Bewoh¬
nern dieses Landes sammt Weibern und Kindern elend in Noth und Hunger
verkamen, mußten zur Fortführung der Eisenbahnlinie Czernowitz-Suczawa-
Jassy polnische, italienische und deutsche Arbeiter verschrieben werden, weil
sich innerhalb Landes die erforderlichen Arbeitskräfte absolut nicht auftreiben
ließen.

Was es heißen will, wenn in einem Lande, das noch so tief in morgen
ländischer Barbarei steckt, die wenigen vorhandenen geistigen Kräfte in na¬
tionalen und „politischen" Händeln verbraucht und aufgerieben werden, wird
der Leser sich ohne weiteren Commentar sagen können. Für Länder, wie die
Bukowina eines ist, erscheint das in Oestreich neu erweckte konstitutionelle Leben
nicht nur verfrüht, sondern geradezu verderblich, indem es die kaum erwachte.
Intelligenz der Bevölkerung den primären Lebensforderungen ab- und Zielen
zuwendet, die bei dem herrschenden Bildungsgrade absolut unerreichbar sind.
Was sollenden Rumänen von Suczawa, Triplex confinium, Fontina Alba u. f. w.
die „Segnungen des Parlamentarismus", Discussionen über provinzielle Autono¬
mie oder liberalen Centralismus? Hier wäre einfach ein aufgeklärter, derb zu¬
schlagender Absolutismus am Platz, wenn überhaupt jemals etwas werden soll.
Für die nächsten hundert Jahre ist an Selbsthilfe oder eine vernünftige Be¬
nutzung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung auch nicht zu denken;
die Bedürfnisse der deutsch-östreichischen Provinzen sind von denen der Buko¬
wina so himmelweit verschieden, wie etwa die ländlichen Verhältnisse Sach¬
sens von denen in der Türkei. Die Spielereien mit „Nationalitätsprincip"
und modernem Bewußtsein, die am Pruth getrieben werden, sind darum als
die Todtfeinde jedes gesunden Fortschritts anzusehen und es erscheint ge¬
radezu lächerlich, wenn — wie neulich geschehen — ein bukowinischer Volks-
treter im Wiener Reichsrath das Bedürfniß zur Sprache brachte, seinem
Vaterlande dieselbe autonome Stellung vindicirt zu sehen, wie sie von Czechen
und Polen beansprucht werden. — So wenig die deutsch-östreichische, noch
immer in schwarzgelben Traditionen steckende Bureaukratie im Uebrigen be¬
rechtigt und befähigt ist, sich als leitende Macht und Trägerin des östreichi
schen Staatswesens zu geriren — hier hat sie noch eine Mission, hier erscheinen
ihre Apostel noch wie höhere Wesen, Joseph II. und Maria Theresia wären
für die Bukowina die zeitgemäßen Regenten! Schon die Verschiedenheit zwi¬
schen dem Bildungszustände und den Bedürfnissen in Erdgegenden, wie die
Bukowina ist, und den Zuständen in Deutsch-Oestreich kann für ein gewich-


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[0480] nen" in bedenklicher Weise. Die Gewohnheit, die Hälfte des Lebens müßig zu verträumen, ist hier so tief eingewurzelt, daß selbst außerordentlich« Noth¬ stände nicht im Stande sind, sie zu unterbrechen und eine erhöhte Rührigkeit zu erzwingen. Während im Jahre 1867 Tausende von rumänischen Bewoh¬ nern dieses Landes sammt Weibern und Kindern elend in Noth und Hunger verkamen, mußten zur Fortführung der Eisenbahnlinie Czernowitz-Suczawa- Jassy polnische, italienische und deutsche Arbeiter verschrieben werden, weil sich innerhalb Landes die erforderlichen Arbeitskräfte absolut nicht auftreiben ließen. Was es heißen will, wenn in einem Lande, das noch so tief in morgen ländischer Barbarei steckt, die wenigen vorhandenen geistigen Kräfte in na¬ tionalen und „politischen" Händeln verbraucht und aufgerieben werden, wird der Leser sich ohne weiteren Commentar sagen können. Für Länder, wie die Bukowina eines ist, erscheint das in Oestreich neu erweckte konstitutionelle Leben nicht nur verfrüht, sondern geradezu verderblich, indem es die kaum erwachte. Intelligenz der Bevölkerung den primären Lebensforderungen ab- und Zielen zuwendet, die bei dem herrschenden Bildungsgrade absolut unerreichbar sind. Was sollenden Rumänen von Suczawa, Triplex confinium, Fontina Alba u. f. w. die „Segnungen des Parlamentarismus", Discussionen über provinzielle Autono¬ mie oder liberalen Centralismus? Hier wäre einfach ein aufgeklärter, derb zu¬ schlagender Absolutismus am Platz, wenn überhaupt jemals etwas werden soll. Für die nächsten hundert Jahre ist an Selbsthilfe oder eine vernünftige Be¬ nutzung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung auch nicht zu denken; die Bedürfnisse der deutsch-östreichischen Provinzen sind von denen der Buko¬ wina so himmelweit verschieden, wie etwa die ländlichen Verhältnisse Sach¬ sens von denen in der Türkei. Die Spielereien mit „Nationalitätsprincip" und modernem Bewußtsein, die am Pruth getrieben werden, sind darum als die Todtfeinde jedes gesunden Fortschritts anzusehen und es erscheint ge¬ radezu lächerlich, wenn — wie neulich geschehen — ein bukowinischer Volks- treter im Wiener Reichsrath das Bedürfniß zur Sprache brachte, seinem Vaterlande dieselbe autonome Stellung vindicirt zu sehen, wie sie von Czechen und Polen beansprucht werden. — So wenig die deutsch-östreichische, noch immer in schwarzgelben Traditionen steckende Bureaukratie im Uebrigen be¬ rechtigt und befähigt ist, sich als leitende Macht und Trägerin des östreichi schen Staatswesens zu geriren — hier hat sie noch eine Mission, hier erscheinen ihre Apostel noch wie höhere Wesen, Joseph II. und Maria Theresia wären für die Bukowina die zeitgemäßen Regenten! Schon die Verschiedenheit zwi¬ schen dem Bildungszustände und den Bedürfnissen in Erdgegenden, wie die Bukowina ist, und den Zuständen in Deutsch-Oestreich kann für ein gewich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/480>, abgerufen am 29.06.2024.