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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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nutziger sind, als die russischen Geistlichen in den verkommensten Gegenden
des großen Nachbarstaates, -- Bauern, die an Fleiß, Betriebsamkeit und
Energie weit hinter ihren ruthenischen Mitbürgern zurückstehen und an deren
Bildungsfähigkeit gerade die genausten Kenner von Land und Leuten die
ernstesten Zweifel hegen. Der Adel hat sich im günstigsten Fall, d. h. in
seinen hervorragendsten Exemplaren, den Lack französischer Bildung erworben,
-- selbstverständlich ohne von der großen Metropole des Westens mehr zu
kennen, als was man im Jardin Mahn und in Cafe's dritten Ranges zu
sehen bekommt; von den Brocken, die der wohlhabendere Bojar während
seiner "Bildungsreise" aufgeschnappt, zehren er selbst, seine Nachkommen und
seine Freunde. Von Arbeit ist unter diesen Leuten absolut nicht die Rede.
"Diesen Grad von Nichtsnutzigkeit und Faulheit" sagte mir ein deutscher
Beamter, der seit vielen Jahren in Czernowitz lebt, "hält man nur für
glaublich, wenn man ihn mit Augen gesehen hat. Alles was sie bei Russen,
Lithauern u. s. w. in dieser Beziehung gesehen und erlebt haben mögen,
hält mit der Lebensführung unserer rumänischen "Aristokraten" absolut keinen
Vergleich aus. Bei Männern wie Weibern bilden Rauchen und Essen die
einzige Beschäftigung: nicht nur seine Pfeife oder Cigarrette, auch seinen
Kukurus (Maispudding) läßt der Vollblut-Bojar sich durch den Lakaien in
den Mund stecken. Und das will Politik treiben!" -- Was mein Gewährs¬
mann mir erzählte, ist von zehn verschiedenen Seiten später bestätigt worden.

Was man von Moldau-Wallachischen Bauern auf den Straßen und Märkten
von Czernowitz zu sehen bekam, sah gleichfalls wenig ermuthigend aus. Die
Weiber, die über das bloße Hemd einen braunen Ueberrock und an den nack¬
ten Beinen hohe Stiefel trugen, sind -- aus der Ferne betrachtet -- von
den Männern nur durch ihre weißen, rings um das Gesicht geknüpften Kopf¬
tücher zu unterscheiden. Die Männer-- das Hemd über den Hosen und den
Leib mit einem franzenbehangenen Gürtel umgeben -- sahen ungleich roher
und untüchtiger aus, als die ruthenischen Bauern, die ihnen -- soviel auch
zu wünschen übrig bleibt -- in Bezug auf Fleiß und Energie entschieden
überlegen sind. Die Landwirthschaft wird von beiden Stämmen gleich roh
und primär betrieben. "Wenn sie bei uns einen Landbewohner sehen, der
Schuh und Strümpfe trägt, wie ein civilisirter Mensch aussieht und nicht
nur Mais, sondern auch Früchte oder gar Gemüse seil hält, so ist das alle Mal
ein Schwab (deutscher Colonist). Ohne diese Leute wäre es unmöglich, auch
nur hier in der Hauptstadt eine ordentliche Menage zu führen". Dieser
Ausspruch einer deutschen Dame scheint mir für den Grad wirthschaftlicher
Cultur in der Bukowina bezeichnender zu sein, als es irgend statistische No¬
tizen zu sein vermöchten. Freilich nähren die Fruchtbarkeit des Landes und
die bäuerliche Bedürfnißlosigkeit die angeborene Trägheit des "Daco-Roma-


Grenzboten I. 1870. 60

nutziger sind, als die russischen Geistlichen in den verkommensten Gegenden
des großen Nachbarstaates, — Bauern, die an Fleiß, Betriebsamkeit und
Energie weit hinter ihren ruthenischen Mitbürgern zurückstehen und an deren
Bildungsfähigkeit gerade die genausten Kenner von Land und Leuten die
ernstesten Zweifel hegen. Der Adel hat sich im günstigsten Fall, d. h. in
seinen hervorragendsten Exemplaren, den Lack französischer Bildung erworben,
— selbstverständlich ohne von der großen Metropole des Westens mehr zu
kennen, als was man im Jardin Mahn und in Cafe's dritten Ranges zu
sehen bekommt; von den Brocken, die der wohlhabendere Bojar während
seiner „Bildungsreise" aufgeschnappt, zehren er selbst, seine Nachkommen und
seine Freunde. Von Arbeit ist unter diesen Leuten absolut nicht die Rede.
„Diesen Grad von Nichtsnutzigkeit und Faulheit" sagte mir ein deutscher
Beamter, der seit vielen Jahren in Czernowitz lebt, „hält man nur für
glaublich, wenn man ihn mit Augen gesehen hat. Alles was sie bei Russen,
Lithauern u. s. w. in dieser Beziehung gesehen und erlebt haben mögen,
hält mit der Lebensführung unserer rumänischen „Aristokraten" absolut keinen
Vergleich aus. Bei Männern wie Weibern bilden Rauchen und Essen die
einzige Beschäftigung: nicht nur seine Pfeife oder Cigarrette, auch seinen
Kukurus (Maispudding) läßt der Vollblut-Bojar sich durch den Lakaien in
den Mund stecken. Und das will Politik treiben!" — Was mein Gewährs¬
mann mir erzählte, ist von zehn verschiedenen Seiten später bestätigt worden.

Was man von Moldau-Wallachischen Bauern auf den Straßen und Märkten
von Czernowitz zu sehen bekam, sah gleichfalls wenig ermuthigend aus. Die
Weiber, die über das bloße Hemd einen braunen Ueberrock und an den nack¬
ten Beinen hohe Stiefel trugen, sind — aus der Ferne betrachtet — von
den Männern nur durch ihre weißen, rings um das Gesicht geknüpften Kopf¬
tücher zu unterscheiden. Die Männer— das Hemd über den Hosen und den
Leib mit einem franzenbehangenen Gürtel umgeben — sahen ungleich roher
und untüchtiger aus, als die ruthenischen Bauern, die ihnen — soviel auch
zu wünschen übrig bleibt — in Bezug auf Fleiß und Energie entschieden
überlegen sind. Die Landwirthschaft wird von beiden Stämmen gleich roh
und primär betrieben. „Wenn sie bei uns einen Landbewohner sehen, der
Schuh und Strümpfe trägt, wie ein civilisirter Mensch aussieht und nicht
nur Mais, sondern auch Früchte oder gar Gemüse seil hält, so ist das alle Mal
ein Schwab (deutscher Colonist). Ohne diese Leute wäre es unmöglich, auch
nur hier in der Hauptstadt eine ordentliche Menage zu führen". Dieser
Ausspruch einer deutschen Dame scheint mir für den Grad wirthschaftlicher
Cultur in der Bukowina bezeichnender zu sein, als es irgend statistische No¬
tizen zu sein vermöchten. Freilich nähren die Fruchtbarkeit des Landes und
die bäuerliche Bedürfnißlosigkeit die angeborene Trägheit des „Daco-Roma-


Grenzboten I. 1870. 60
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/479>, abgerufen am 28.09.2024.