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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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gar nicht in Betracht kämen, erklären die moldau-wallachischen Bewohner des
Landes, die alleinberechtigten Herren desselben zu sein und ihm den Stempel
ihrer "Cultur" aufdrücken zu müssen. Auf dem im vorigen Herbst abgehalte¬
nen Landtage haben sie einen Majoritätsbeschluß herbeigeführt, nach welchem
die Landtagsprotokolle künftig nur noch deutsch und rumänisch geführt werden
dürfen, da die Sprache der Ruthenen auf dem Boden des Buchenlandes ab¬
solut kein Bürgerrecht habe. Den Ausschlag hatten bei der betreffenden Ab¬
stimmung die Voden sieben ruthenischer Bauern gegeben, welche durch ihren
rumänischen Popen instruirt worden waren, gegen die Sache ihres eigenen
Stammes zu stimmen. Zwar hat der Statthalter diesem Beschluß Namens
der Regierung die Zustimmung versagt, aber derselbe ist nichtsdestoweniger
zum Fehdehandschuh zwischen den beiden Nationalitäten geword.en, welche sich
seitdem als erbitterte Feinde bekämpfen; in Jassy hat sich bereits ein patrio¬
tisches Comite' gebildet, welches die Sache seiner Landsleute am Pruth mit
Rath und That unterstützt. Den Ruthenen der Bukowina sind wiederum
ihre galizischen Mitbrüder zu Hilfe gekommen. Das russische Casino in Czer-
nowitz, das bisher in den engen Räumen eines an der Klokuczkastraße be-
legenen Häuschens ein mehr wie bescheidenes Dasein fristete und kaum mehr
als ein Dutzend Mitglieder gezählt haben mag, macht seitdem Miene, ein
Clubb, der Mittelpunkt einer nationalen Agitation zu werden. Der Secre-
tär dieser Gesellschaft, Herr Glebowizki, Professor der slavischen Sprachen am
Czernowitzer Gymnasium, gibt seit dem Januar dieses Jahres ein russisches
Journal "Bukowinskaja Sorja" (Bukowinische Morgenröthe) heraus, das
zwar bis jetzt wenig politischer Natur ist, diese aber zweifellos mit der Zeit
annehmen wird: "Kräftigung des russischen Patriotismus in unserem Lande"
ist in dem Programm als Hauptzweck dieses literarischen Unternehmens
bezeichnet.

Zur Zeit bewegt der rumänisch-russische Nationalitätenkampf sich aller¬
dings in höchst bescheidenen Verhältnissen: spielte er nicht in einem Winkel,
'der durch seine Lage an der Grenze dreier großer Staaten an und für sich
gefährlich ist, und hätte die Erfahrung nicht gelehrt, daß nationale Ver¬
wickelungen sich fast immer aus kleinen Anfängen entwickeln -- man wäre in
der That versucht, den ganzen Handel für eine schlechte Parodie des großen
und ernsthaften Kampfes anzusehen, der weiter nördlich am San und Pellew
auf Tod und Leben ausgekämpft wird. Wer sind diese Rumänen, die den
Anspruch erheben, das slavische Element als eine ihnen untergebene Race zu
behandeln und die Herren der Bukowina zu spielen? Bojaren, deren Faul¬
heit. Liederlichkeit, Indolenz und sittliche Verwahrlosung sie zum Gespött aller
ihrer Nachbarn macht und auf die der Pole mit grenzenloser aber gerechter Ver¬
achtung herabsieht -- Popen, die noch sehr viel unwissender und gewiß nichts-


gar nicht in Betracht kämen, erklären die moldau-wallachischen Bewohner des
Landes, die alleinberechtigten Herren desselben zu sein und ihm den Stempel
ihrer „Cultur" aufdrücken zu müssen. Auf dem im vorigen Herbst abgehalte¬
nen Landtage haben sie einen Majoritätsbeschluß herbeigeführt, nach welchem
die Landtagsprotokolle künftig nur noch deutsch und rumänisch geführt werden
dürfen, da die Sprache der Ruthenen auf dem Boden des Buchenlandes ab¬
solut kein Bürgerrecht habe. Den Ausschlag hatten bei der betreffenden Ab¬
stimmung die Voden sieben ruthenischer Bauern gegeben, welche durch ihren
rumänischen Popen instruirt worden waren, gegen die Sache ihres eigenen
Stammes zu stimmen. Zwar hat der Statthalter diesem Beschluß Namens
der Regierung die Zustimmung versagt, aber derselbe ist nichtsdestoweniger
zum Fehdehandschuh zwischen den beiden Nationalitäten geword.en, welche sich
seitdem als erbitterte Feinde bekämpfen; in Jassy hat sich bereits ein patrio¬
tisches Comite' gebildet, welches die Sache seiner Landsleute am Pruth mit
Rath und That unterstützt. Den Ruthenen der Bukowina sind wiederum
ihre galizischen Mitbrüder zu Hilfe gekommen. Das russische Casino in Czer-
nowitz, das bisher in den engen Räumen eines an der Klokuczkastraße be-
legenen Häuschens ein mehr wie bescheidenes Dasein fristete und kaum mehr
als ein Dutzend Mitglieder gezählt haben mag, macht seitdem Miene, ein
Clubb, der Mittelpunkt einer nationalen Agitation zu werden. Der Secre-
tär dieser Gesellschaft, Herr Glebowizki, Professor der slavischen Sprachen am
Czernowitzer Gymnasium, gibt seit dem Januar dieses Jahres ein russisches
Journal „Bukowinskaja Sorja" (Bukowinische Morgenröthe) heraus, das
zwar bis jetzt wenig politischer Natur ist, diese aber zweifellos mit der Zeit
annehmen wird: „Kräftigung des russischen Patriotismus in unserem Lande"
ist in dem Programm als Hauptzweck dieses literarischen Unternehmens
bezeichnet.

Zur Zeit bewegt der rumänisch-russische Nationalitätenkampf sich aller¬
dings in höchst bescheidenen Verhältnissen: spielte er nicht in einem Winkel,
'der durch seine Lage an der Grenze dreier großer Staaten an und für sich
gefährlich ist, und hätte die Erfahrung nicht gelehrt, daß nationale Ver¬
wickelungen sich fast immer aus kleinen Anfängen entwickeln — man wäre in
der That versucht, den ganzen Handel für eine schlechte Parodie des großen
und ernsthaften Kampfes anzusehen, der weiter nördlich am San und Pellew
auf Tod und Leben ausgekämpft wird. Wer sind diese Rumänen, die den
Anspruch erheben, das slavische Element als eine ihnen untergebene Race zu
behandeln und die Herren der Bukowina zu spielen? Bojaren, deren Faul¬
heit. Liederlichkeit, Indolenz und sittliche Verwahrlosung sie zum Gespött aller
ihrer Nachbarn macht und auf die der Pole mit grenzenloser aber gerechter Ver¬
achtung herabsieht — Popen, die noch sehr viel unwissender und gewiß nichts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/478>, abgerufen am 29.06.2024.