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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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liebe Vorzug unserer Zeit, nationale Gegensätze, wo immer dieselben
sich vorfinden mögen, auf Unkosten der Civilisation bis zum Unsinn zuzuspitzen,
hat sich auch hier geltend gemacht. Im Zusammenhang mit der großrumäni¬
schen Bewegung, welche in der nahe benachbarten Moldau ihr Wesen treibt,
hat sich bei den "daco-romanischen" Bewohnern der Bukowina das Bedürfniß
ausschließlicher Herrschaft kund gethan. Schon seit Jahren war es Gegenstand
ruthenischer Klagen gewesen, daß rumänische Geistliche ihre russischen Gemeinden
von dem unirten zum griechisch-orthodoxen Bekenntniß überführten und dann
allmälig rumänisirten. Es dauerte eine Weile, ehe man sich über dieses Ver-
hältniß klar wurde und zur richtigen Beurtheilung desselben gelangte: die
griechisch-orthodoxe Kirche ist nicht nur die Kirche der Donaufürstenthümer
und des gesammten "daco-romanischen" Stammes, sie ist zugleich die Kirche
Rußlands und des größten Theils jener slavischen Welt, zu welcher sich auch
die Ruthenen mit Stolz rechnen. Sollten sie, die in Galizien mehr wie ein
Mal gesagt hatten, daß die Union mit den Lateinern ein Unglück und ein
Mißgriff gewesen sei, der der ostgalizischen Kirche unermeßlichen Schaden ge¬
than -- sollten sie sich dem Uebertritt ihrer Landsleute zu der großen orien¬
talischen Kirchengemeinschaft widersetzen? Nicht nur in Galizien und der Bu¬
kowina, auch in Rußland ist über diese Frage vielfach gestritten worden; aber
selbst in diesem Lande des Ostens, wo sonst die kirchlichen Gegensätze stets
die eigentlich durchschlagenden sind, hat die nationale Rücksicht schließlich den
leitenden Gesichtspunkt abgegeben. "Die Propaganda des rumänischen Clerus
-- so sagen die Ruthenen -- nimmt den Eifer für die orthodoxe Kirche nur
zum Vorwande, um uns um unsere Nationalität zu bringen." -- In der
That ist diese Auffassung durch das Verhalten der Rumänen in der Neuzeit
als richtig bestätigt worden. Die Bojaren und Cleriker dieses Stammes
halten sich berufen, dem ruthenischen Bauernvolk gegenüber dieselbe Rolle
anzustreben, welche die Polen in Galizien spielen. Unter Berufung darauf,
daß die Bukowina, nachdem sie im Jahre 1482 von Siebenbürgen losgerissen
worden, einen Theil der Moldau gebildet habe, daß alle polnischen Ansprüche
auf dieses Land stets mit blanker Waffe zurückgewiesen worden seien und daß
die im I7ten Jahrhundert eingewanderten Ruthenen als Fremdlinge eigentlich


der Bukowina" gibt unter Rubrik "die Bevölkerung nach Konfessionen" folgende auf die Buko¬
wina bezüglichen Daten-
Römische Katholiken . . . 42.762
Orthodoxe Griechen . . . SS3.403
Juden.......29,187
Unirte Griechen .... 9,118
Diese letzte Ziffer erscheint mehr wie zweifelhaft, wenn man in Betracht zieht, daß die Ru¬
thenen, welche 4S Procent der bukowinischen Gesammtbevölkerung von 447,095 Köpfen ausmachen,
überwiegend der unirten Kirche angehören.

liebe Vorzug unserer Zeit, nationale Gegensätze, wo immer dieselben
sich vorfinden mögen, auf Unkosten der Civilisation bis zum Unsinn zuzuspitzen,
hat sich auch hier geltend gemacht. Im Zusammenhang mit der großrumäni¬
schen Bewegung, welche in der nahe benachbarten Moldau ihr Wesen treibt,
hat sich bei den „daco-romanischen" Bewohnern der Bukowina das Bedürfniß
ausschließlicher Herrschaft kund gethan. Schon seit Jahren war es Gegenstand
ruthenischer Klagen gewesen, daß rumänische Geistliche ihre russischen Gemeinden
von dem unirten zum griechisch-orthodoxen Bekenntniß überführten und dann
allmälig rumänisirten. Es dauerte eine Weile, ehe man sich über dieses Ver-
hältniß klar wurde und zur richtigen Beurtheilung desselben gelangte: die
griechisch-orthodoxe Kirche ist nicht nur die Kirche der Donaufürstenthümer
und des gesammten „daco-romanischen" Stammes, sie ist zugleich die Kirche
Rußlands und des größten Theils jener slavischen Welt, zu welcher sich auch
die Ruthenen mit Stolz rechnen. Sollten sie, die in Galizien mehr wie ein
Mal gesagt hatten, daß die Union mit den Lateinern ein Unglück und ein
Mißgriff gewesen sei, der der ostgalizischen Kirche unermeßlichen Schaden ge¬
than — sollten sie sich dem Uebertritt ihrer Landsleute zu der großen orien¬
talischen Kirchengemeinschaft widersetzen? Nicht nur in Galizien und der Bu¬
kowina, auch in Rußland ist über diese Frage vielfach gestritten worden; aber
selbst in diesem Lande des Ostens, wo sonst die kirchlichen Gegensätze stets
die eigentlich durchschlagenden sind, hat die nationale Rücksicht schließlich den
leitenden Gesichtspunkt abgegeben. „Die Propaganda des rumänischen Clerus
— so sagen die Ruthenen — nimmt den Eifer für die orthodoxe Kirche nur
zum Vorwande, um uns um unsere Nationalität zu bringen." — In der
That ist diese Auffassung durch das Verhalten der Rumänen in der Neuzeit
als richtig bestätigt worden. Die Bojaren und Cleriker dieses Stammes
halten sich berufen, dem ruthenischen Bauernvolk gegenüber dieselbe Rolle
anzustreben, welche die Polen in Galizien spielen. Unter Berufung darauf,
daß die Bukowina, nachdem sie im Jahre 1482 von Siebenbürgen losgerissen
worden, einen Theil der Moldau gebildet habe, daß alle polnischen Ansprüche
auf dieses Land stets mit blanker Waffe zurückgewiesen worden seien und daß
die im I7ten Jahrhundert eingewanderten Ruthenen als Fremdlinge eigentlich


der Bukowina" gibt unter Rubrik „die Bevölkerung nach Konfessionen" folgende auf die Buko¬
wina bezüglichen Daten-
Römische Katholiken . . . 42.762
Orthodoxe Griechen . . . SS3.403
Juden.......29,187
Unirte Griechen .... 9,118
Diese letzte Ziffer erscheint mehr wie zweifelhaft, wenn man in Betracht zieht, daß die Ru¬
thenen, welche 4S Procent der bukowinischen Gesammtbevölkerung von 447,095 Köpfen ausmachen,
überwiegend der unirten Kirche angehören.
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[0477] liebe Vorzug unserer Zeit, nationale Gegensätze, wo immer dieselben sich vorfinden mögen, auf Unkosten der Civilisation bis zum Unsinn zuzuspitzen, hat sich auch hier geltend gemacht. Im Zusammenhang mit der großrumäni¬ schen Bewegung, welche in der nahe benachbarten Moldau ihr Wesen treibt, hat sich bei den „daco-romanischen" Bewohnern der Bukowina das Bedürfniß ausschließlicher Herrschaft kund gethan. Schon seit Jahren war es Gegenstand ruthenischer Klagen gewesen, daß rumänische Geistliche ihre russischen Gemeinden von dem unirten zum griechisch-orthodoxen Bekenntniß überführten und dann allmälig rumänisirten. Es dauerte eine Weile, ehe man sich über dieses Ver- hältniß klar wurde und zur richtigen Beurtheilung desselben gelangte: die griechisch-orthodoxe Kirche ist nicht nur die Kirche der Donaufürstenthümer und des gesammten „daco-romanischen" Stammes, sie ist zugleich die Kirche Rußlands und des größten Theils jener slavischen Welt, zu welcher sich auch die Ruthenen mit Stolz rechnen. Sollten sie, die in Galizien mehr wie ein Mal gesagt hatten, daß die Union mit den Lateinern ein Unglück und ein Mißgriff gewesen sei, der der ostgalizischen Kirche unermeßlichen Schaden ge¬ than — sollten sie sich dem Uebertritt ihrer Landsleute zu der großen orien¬ talischen Kirchengemeinschaft widersetzen? Nicht nur in Galizien und der Bu¬ kowina, auch in Rußland ist über diese Frage vielfach gestritten worden; aber selbst in diesem Lande des Ostens, wo sonst die kirchlichen Gegensätze stets die eigentlich durchschlagenden sind, hat die nationale Rücksicht schließlich den leitenden Gesichtspunkt abgegeben. „Die Propaganda des rumänischen Clerus — so sagen die Ruthenen — nimmt den Eifer für die orthodoxe Kirche nur zum Vorwande, um uns um unsere Nationalität zu bringen." — In der That ist diese Auffassung durch das Verhalten der Rumänen in der Neuzeit als richtig bestätigt worden. Die Bojaren und Cleriker dieses Stammes halten sich berufen, dem ruthenischen Bauernvolk gegenüber dieselbe Rolle anzustreben, welche die Polen in Galizien spielen. Unter Berufung darauf, daß die Bukowina, nachdem sie im Jahre 1482 von Siebenbürgen losgerissen worden, einen Theil der Moldau gebildet habe, daß alle polnischen Ansprüche auf dieses Land stets mit blanker Waffe zurückgewiesen worden seien und daß die im I7ten Jahrhundert eingewanderten Ruthenen als Fremdlinge eigentlich der Bukowina" gibt unter Rubrik „die Bevölkerung nach Konfessionen" folgende auf die Buko¬ wina bezüglichen Daten- Römische Katholiken . . . 42.762 Orthodoxe Griechen . . . SS3.403 Juden.......29,187 Unirte Griechen .... 9,118 Diese letzte Ziffer erscheint mehr wie zweifelhaft, wenn man in Betracht zieht, daß die Ru¬ thenen, welche 4S Procent der bukowinischen Gesammtbevölkerung von 447,095 Köpfen ausmachen, überwiegend der unirten Kirche angehören.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/477>, abgerufen am 29.06.2024.