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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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häufiger die Versicherung wiederholte: "Hier ist Aegypten -- man braucht
nur zu kratzen und Alles, was man hineinwirft, wächst" hat den Augen¬
schein und das Zeugniß Aller, die sich in die Bukowina verirrt haben,
für sich.

Es war schon längst Abend geworden, als der Zug das breite prächtige
Silberband des Pruth überschritt; die Mondessichel, die sich in der mächti¬
gen Wasserfläche des schiffbaren Stromes spiegelt, wirst ihre Streiflichter
über eine Oede, deren Einförmigkeit durch menschliche Wohnungen nicht ge¬
stört wird. Ohne Wiederhall tönt der Ruf der Schaffner und Zugführer
durch die stille Nacht und wenn diese schweigen, herrscht rings feierliche
Stille: selbst die Fluthen des mächtigen Stroms, die gegen die Brücken¬
pfeiler anstürmen, murmeln ihre Sprüche fast unhörbar. Zwanzig Minuten
später ist der Bahnhof von Czernowitz erreicht und in rasender Eile jagt ein
wallachischer Kutscher bergauf und bergab der Hauptstadt seines Vaterlandes
zu, die in dunkler Nacht begraben liegt. Der Mond hat sein blasses Gesicht
hinter herbstliche Wolken so dicht versteckt, daß der Instinkt der kleinen, raschen
Pferdeden Weg suchen muß; endlich --die Fahrt hat trotz ihrer stürmischen
Eile zwanzig Minuten gekostet -- halten sie schnaubend vor dem "schwar¬
zen Adler", dessen Fenster auf den geräumigen "Ring" hinabsehen. Kutscher
und Portier tauschen einige Worte, die weder slavisch noch germanisch klingen
und es wird das Thor eines Gasthofs aufgethan, dessen weite Räume zu¬
gleich ein Kaufmannsgeschäft beherbergen, übrigens anständiger aussehen,
als die "großen" Hütels der Hauptstadt Lemberg.

Czernowitz, die von 26,345 Menschen bewohnte Metropole der Bulo>
wina ist einer Spinne zu vergleichen, die aus einer großen Nuß sitzt und ihre
langen.Beine nach allen Richtungen ausstreckt. Auf einer mäßigen Höhe
gelegen sendet diese Stadt lange schmale Häusergruppen nach drei Seiten in
das Thal oder die Ebene hinaus. Nirgend, auch nicht auf dem Ring, an
dem das adlergeschmückte Rathhaus steht, hat man die Empfindung wirklich
in einer Stadt zu sein; ein paar hundert Schritte -- und durch die Lücken
der schmalen Häuserreihe, die man durchschreitet, sehen Felder, Bäume und
Gärten hinein. Selbst mit Lemberg ist jeder Vergleich ausgeschlossen, weil
Alles einen kleinstädtischen, fast ländlichen Eindruck macht. Zwischen nie¬
drigen, nur hie und da von stattlichen Gebäuden unterbrochenen Häuserreihen
ziehen sich Straßen, deren Koth jeder Beschreibung und jedes Vergleichs
spottet; die Plätze, zu welchen diese Gassen und Gäßchen führen, sind von
unförmlicher Größe und schon ihre Namen (Holzplatz. Sturmplatz. Getreide¬
platz) lassen errathen, daß es sich hier nicht um Sammelpunkte städtischen
Lebens, sondern um Stapel- und Fuhrenplätze für die Landbewohner handelt,
welche ihre Produkte zu Markt bringen. Daß die Stadt vier Porstädte


häufiger die Versicherung wiederholte: „Hier ist Aegypten — man braucht
nur zu kratzen und Alles, was man hineinwirft, wächst" hat den Augen¬
schein und das Zeugniß Aller, die sich in die Bukowina verirrt haben,
für sich.

Es war schon längst Abend geworden, als der Zug das breite prächtige
Silberband des Pruth überschritt; die Mondessichel, die sich in der mächti¬
gen Wasserfläche des schiffbaren Stromes spiegelt, wirst ihre Streiflichter
über eine Oede, deren Einförmigkeit durch menschliche Wohnungen nicht ge¬
stört wird. Ohne Wiederhall tönt der Ruf der Schaffner und Zugführer
durch die stille Nacht und wenn diese schweigen, herrscht rings feierliche
Stille: selbst die Fluthen des mächtigen Stroms, die gegen die Brücken¬
pfeiler anstürmen, murmeln ihre Sprüche fast unhörbar. Zwanzig Minuten
später ist der Bahnhof von Czernowitz erreicht und in rasender Eile jagt ein
wallachischer Kutscher bergauf und bergab der Hauptstadt seines Vaterlandes
zu, die in dunkler Nacht begraben liegt. Der Mond hat sein blasses Gesicht
hinter herbstliche Wolken so dicht versteckt, daß der Instinkt der kleinen, raschen
Pferdeden Weg suchen muß; endlich —die Fahrt hat trotz ihrer stürmischen
Eile zwanzig Minuten gekostet — halten sie schnaubend vor dem „schwar¬
zen Adler", dessen Fenster auf den geräumigen „Ring" hinabsehen. Kutscher
und Portier tauschen einige Worte, die weder slavisch noch germanisch klingen
und es wird das Thor eines Gasthofs aufgethan, dessen weite Räume zu¬
gleich ein Kaufmannsgeschäft beherbergen, übrigens anständiger aussehen,
als die „großen" Hütels der Hauptstadt Lemberg.

Czernowitz, die von 26,345 Menschen bewohnte Metropole der Bulo>
wina ist einer Spinne zu vergleichen, die aus einer großen Nuß sitzt und ihre
langen.Beine nach allen Richtungen ausstreckt. Auf einer mäßigen Höhe
gelegen sendet diese Stadt lange schmale Häusergruppen nach drei Seiten in
das Thal oder die Ebene hinaus. Nirgend, auch nicht auf dem Ring, an
dem das adlergeschmückte Rathhaus steht, hat man die Empfindung wirklich
in einer Stadt zu sein; ein paar hundert Schritte — und durch die Lücken
der schmalen Häuserreihe, die man durchschreitet, sehen Felder, Bäume und
Gärten hinein. Selbst mit Lemberg ist jeder Vergleich ausgeschlossen, weil
Alles einen kleinstädtischen, fast ländlichen Eindruck macht. Zwischen nie¬
drigen, nur hie und da von stattlichen Gebäuden unterbrochenen Häuserreihen
ziehen sich Straßen, deren Koth jeder Beschreibung und jedes Vergleichs
spottet; die Plätze, zu welchen diese Gassen und Gäßchen führen, sind von
unförmlicher Größe und schon ihre Namen (Holzplatz. Sturmplatz. Getreide¬
platz) lassen errathen, daß es sich hier nicht um Sammelpunkte städtischen
Lebens, sondern um Stapel- und Fuhrenplätze für die Landbewohner handelt,
welche ihre Produkte zu Markt bringen. Daß die Stadt vier Porstädte


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[0475] häufiger die Versicherung wiederholte: „Hier ist Aegypten — man braucht nur zu kratzen und Alles, was man hineinwirft, wächst" hat den Augen¬ schein und das Zeugniß Aller, die sich in die Bukowina verirrt haben, für sich. Es war schon längst Abend geworden, als der Zug das breite prächtige Silberband des Pruth überschritt; die Mondessichel, die sich in der mächti¬ gen Wasserfläche des schiffbaren Stromes spiegelt, wirst ihre Streiflichter über eine Oede, deren Einförmigkeit durch menschliche Wohnungen nicht ge¬ stört wird. Ohne Wiederhall tönt der Ruf der Schaffner und Zugführer durch die stille Nacht und wenn diese schweigen, herrscht rings feierliche Stille: selbst die Fluthen des mächtigen Stroms, die gegen die Brücken¬ pfeiler anstürmen, murmeln ihre Sprüche fast unhörbar. Zwanzig Minuten später ist der Bahnhof von Czernowitz erreicht und in rasender Eile jagt ein wallachischer Kutscher bergauf und bergab der Hauptstadt seines Vaterlandes zu, die in dunkler Nacht begraben liegt. Der Mond hat sein blasses Gesicht hinter herbstliche Wolken so dicht versteckt, daß der Instinkt der kleinen, raschen Pferdeden Weg suchen muß; endlich —die Fahrt hat trotz ihrer stürmischen Eile zwanzig Minuten gekostet — halten sie schnaubend vor dem „schwar¬ zen Adler", dessen Fenster auf den geräumigen „Ring" hinabsehen. Kutscher und Portier tauschen einige Worte, die weder slavisch noch germanisch klingen und es wird das Thor eines Gasthofs aufgethan, dessen weite Räume zu¬ gleich ein Kaufmannsgeschäft beherbergen, übrigens anständiger aussehen, als die „großen" Hütels der Hauptstadt Lemberg. Czernowitz, die von 26,345 Menschen bewohnte Metropole der Bulo> wina ist einer Spinne zu vergleichen, die aus einer großen Nuß sitzt und ihre langen.Beine nach allen Richtungen ausstreckt. Auf einer mäßigen Höhe gelegen sendet diese Stadt lange schmale Häusergruppen nach drei Seiten in das Thal oder die Ebene hinaus. Nirgend, auch nicht auf dem Ring, an dem das adlergeschmückte Rathhaus steht, hat man die Empfindung wirklich in einer Stadt zu sein; ein paar hundert Schritte — und durch die Lücken der schmalen Häuserreihe, die man durchschreitet, sehen Felder, Bäume und Gärten hinein. Selbst mit Lemberg ist jeder Vergleich ausgeschlossen, weil Alles einen kleinstädtischen, fast ländlichen Eindruck macht. Zwischen nie¬ drigen, nur hie und da von stattlichen Gebäuden unterbrochenen Häuserreihen ziehen sich Straßen, deren Koth jeder Beschreibung und jedes Vergleichs spottet; die Plätze, zu welchen diese Gassen und Gäßchen führen, sind von unförmlicher Größe und schon ihre Namen (Holzplatz. Sturmplatz. Getreide¬ platz) lassen errathen, daß es sich hier nicht um Sammelpunkte städtischen Lebens, sondern um Stapel- und Fuhrenplätze für die Landbewohner handelt, welche ihre Produkte zu Markt bringen. Daß die Stadt vier Porstädte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/475>, abgerufen am 28.09.2024.